Das Rubikon-Papier. Christoph Güsken

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Название Das Rubikon-Papier
Автор произведения Christoph Güsken
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754179727



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sie, was sie von der Möglich­keit hält, dass Marsmenschen ihren Mann ermordeten.“

      Das Telefon klingelte. Andersen nahm ab.

      „Frau Holm für Sie“, teilte ihm die Zentrale mit.

      Andersen warf seinem Kollegen einen Blick zu. „Wenn man vom Teu­fel spricht ... - Was kann ich für Sie tun, Frau Holm?“

      „Es wurde eingebrochen.“

      „Das wissen wir bereits.“

      „Sie verstehen mich nicht. Ich meine, dass diese Nacht eingebro­chen wurde.“

      „Noch einmal?“

      „Ja. Jemand hat sich Zugang durch die Seitentür der Garage ver­schafft und ist so ins Haus gelangt.“

      „Hat er etwas gestohlen?“

      „Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben, Herr Kommissar. Derjenige, der Benno ermordete, wollte nichts stehlen. Er hat nach etwas ge­sucht.“

      ***

      Hauptkommissar Andersen gehörte nicht zu den Menschen, die sich oft in etwas ver­rannten. So wie andere gab er nicht gern Fehler zu oder nahm eine Meinung zurück, wenn sie sich als falsch erwies. Doch es schien ihm leichter zu gelingen als den meisten. Manche be­neideten ihn um diese Eigenart, anderen galt er deshalb als windiger Typ. Für Andersen selbst stand fest, dass die Fähigkeit, Fehler zu ma­chen und sie einzu­gestehen, einen nicht unerheblichen Anteil an sei­nem beruflichen Fortkommen hatte. Gerade wenn man über Talent und einen guten In­stinkt verfügte, durfte man nicht in die Attitüde des Superbullen ver­fallen, dessen untrügliche Spürnase immer richtig lag. Wer eine Sack­gasse betrat und den Rückweg aus Ehrengründen aus­schloss, war ein Dummkopf. Viele Kollegen würden das niemals be­greifen.

      So wie es aussah, hatte er den Mordfall von Zabern falsch beurteilt. Hatte noch gestern alles nach einem Raubmord ausgesehen, so war diese Theorie heute nicht mehr viel wert. Es kam nicht vor, dass an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im selben Haus eingebrochen wur­de, schon gar nicht, wenn das erste Mal mit einem Mord geendet hat­te. Das Fehlen der Schmuckschatulle hatte Andersen voreilig über­zeugt, denn er hatte nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass der Täter keinen Einbruch vorgetäuscht, sondern tatsächlich einen be­gangen hatte, um von dem abzulenken, was sich hinter dem Mord ver­barg. Vielleicht hätte er dann auch Frank Grunwalds Bemerkung über das Chaos auf dem Schreibtisch nicht mit einer flapsigen Bemerkung abgetan.

      Dieses Mal fuhr er allein zum Tatort. Unterwegs rief er Lingen an und erfuhr, dass dessen Suche nach der mysteriösen Datei, die der Monitor angezeigt hatte, leider vergeblich gewesen war. Das Dokument befand sich auf keiner der CDs, die am Tatort gefunden worden waren.

      Zwei Kollegen der Spurensicherung, die er in von Zaberns Haus antraf, informierten ihn über den Stand der Dinge: Der neuerliche Ein­bruch hatte zwischen neun und zehn Uhr stattgefunden, während Nelli einen Arztbesuch machte. Da die Beamten verschiedene Abdrücke ge­funden hatten - einen von einem Stiefel und einen von einem Schuh - gingen sie von zwei Tätern aus. Diese waren durch die Garage gekom­men und dann ins Wohnzimmer eingedrungen, das erst Stunden zuvor von der Kripo versiegelt worden war.

      Gut die Hälfte der Bücher war dieses Mal aus den Regalen gerissen worden und lag über den Boden verstreut.

      „Also haben sie gestern nicht gefunden, was sie suchten“, meinte der Hauptkommissar.

      Nachdem die Kollegen sich verabschiedet hatten, wandte er sich an Nelli Holm, die auf der Couch saß und die Arme um ihre Knie ge­schlungen hatte.

      Sie sah erschöpft aus.

      „Haben Sie irgendeine Idee, was diese Leute gesucht haben könn­ten?“

      Nelli starrte vor sich hin und schüttelte den Kopf.

      „Diese Männer haben nicht nur einen Menschen getötet“, erläuterte Andersen, „sondern sind außerdem ein hohes Risiko eingegangen, in­dem sie ein zweites Mal in das Haus eindrangen. Was auch immer sie suchten, es muss für sie von enormem Wert sein.“

      „Ich kann Ihnen nicht mehr sagen als gestern, Herr Kommissar.“

      „Woran arbeitete Dr. von Zabern gerade?“

      Nelli sah auf. „Zur Zeit saß er soviel ich weiß an einer kritischen Würdigung des Kyotoprotokolls. Außerdem sammelte er Material für eine Autobiografie.“

      „Sagt Ihnen die Bezeichnung Rubikon etwas?“

      „Nein, nichts.“

      „Gestern zeigte der Monitor seines Computers eine Datei an, die sich nicht auf der Festplatte befand, sondern wahrscheinlich auf einem USB-Stick. Der war allerdings nicht auffindbar.“

      „Das wundert mich nicht.“

      „Warum nicht?“

      „Benno hätte niemals einen Stick im Rechner stecken lassen, wenn er eine Pause machte. Er bildete sich ein, dass er dann zu heiß werden könnte. Ich habe ihm oft genug gesagt, dass das Unsinn ist, aber er war nicht davon abzubringen.“

      „Sie meinen also, er könnte den Stick herausgenommen haben, be­vor er zum Joggen das Haus verließ?“

      Nelli nickte.

      „Wo könnte er ihn aufbewahrt haben?“

      „Er legte seine Datenträger gewöhnlich auf den Schreibtisch, soviel ich weiß.“

      Andersen schüttelte den Kopf. „Dort haben wir alles überprüft. Au­ßerdem haben die Täter dort mit Sicherheit auch zuerst gesucht.“

      Frau Holm wies mit dem Arm auf die oberen Bücherregale, die noch unangetastet waren. „Er hatte die Angewohnheit, Briefe oder Geld­scheine in Bücher zu stecken und sie dort zu vergessen“, sagte sie. „Wenn er sie dann Monate später zufällig wiederentdeckte, war er selbst überrascht. Da zeigt sich mal wieder, dass Lesen eine spannende Sache ist, sagte er.“

      „Also gut“, meinte Andersen. „Dann werden wir uns die oberen Rei­hen vornehmen.“

      „Vielleicht waren die Mörder aber auch hinter etwas anderem her.“

      „Möglich.“ Er lächelte. „Aber da wir noch nichts anderes haben, ge­hen wir doch einmal von der Annahme aus, sie hätten diesen Stick ge­sucht. Was immer sich darauf befand, es durfte nicht in falsche Hän­de geraten. Da ihr erster Versuch, sie an sich zu bringen, scheiterte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als noch einmal zurückzukommen und wei­terzusuchen.“ Mit der linken Hand strich er sich über das Kinn. „Die Frage ist: Haben sie sie beim zweiten Anlauf gefunden?“

      Nelli Holm antwortete nicht. Immer noch starrte sie mit einem lee­ren Blick vor sich hin, der Andersen verriet, dass sie seinen Gedanken überhaupt nicht folgte.

      „Da ist noch etwas“, fügte er hinzu. „Können Sie sich etwas vor­stel­len, was Dr. von Zabern auf der Seele lag? Etwas, das er gern mit Ih­nen klären wollte und dafür die schriftliche Form wählte?“

      Frau Holm sah ihn fragend an.

      Andersen trat zum Schreibtisch und suchte das Blatt Papier hervor. „Meine Kleine“, las er laut, „ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Vielleicht aber ist es auch gar nicht mehr nötig. Trotzdem werde ich versuchen, dir zu erklären .... Diesen Brief hatte er angefangen. Viel­leicht wollte er ihn fertigstellen, nachdem er vom Joggen zurückkam.“

      Nelli schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht denken, was er meint. Und er hat mich nie meine Kleine genannt.“

      „Der Brief ist auch nicht an dich gerichtet, sondern an mich“, er­klärte eine andere Frau, die in diesem Moment das Zimmer betrat. Sie war schmal und zierlich und hatte langes, dunkles Haar. Das genaue Gegenstück zu Nelli Holm. Andersen schätzte sie auf Anfang dreißig.

      „Anne?“, wunderte sich Nelli. „Wie bist du hereingekommen?“

      „Mit dem Schlüssel.“ Die Frau warf Nelli