Название | Das Rubikon-Papier |
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Автор произведения | Christoph Güsken |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754179727 |
„Wer waren denn seine Feinde?“
„Er legte sich mit der Industrie an, mit Politikern, mit großen Konzernen. Vielen von denen war er ein Dorn im Auge.“
„Die Politiker? Oder die Konzerne?“, fragte Grunwald nach. Ein spöttischer Unterton hatte sich in seine Stimme geschlichen. „Wer von ihnen hat Ihrer Meinung nach Ihren Mann ermordet?“
Nelli schüttelte trotzig den Kopf.
„Gibt es einen akuten Anlass für Ihren Verdacht?“
„Anlässe gab es immer. Benno war sich im Klaren, dass eines Tages so etwas passieren könnte.“ Sie wandte sich ab und zog ein Taschentuch.
„Wir werden Sie jetzt erst mal in Ruhe lassen“, versprach Andersen, der Grunwald einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, und berührte Frau Holm an der Schulter. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei uns.“
„Und vergessen Sie die Fotos nicht“, mahnte Grunwald. „Die könnten uns zu den Tätern führen.“
4. Kapitel
„Du hältst nicht viel von ihren mysteriösen Andeutungen, was?“, erkundigte sich Grunwald, während sie zum Präsidium zurückfuhren.
„Sie kann sagen, was sie will, aber das ist ein Raubmord wie aus dem Lehrbuch.“ Andersen schüttelte den Kopf. „Mir ist schleierhaft, wie man sich einen solchen Palast leistet und auf die Alarmanlage verzichtet.“
„Frau Holm wird das Interesse der Presse nutzen, ihre Version zu verbreiten.“
„Für Nelli Holm ist ihr Lebensgefährte ein zu bedeutender Mann, als dass er bei einem banalen Einbruch ums Leben kommen könnte“, meinte Andersen. „Es muss ein Märtyrertod sein. Untergegangen für eine Sache, für die er immer an vorderster Front gestanden hat. Ermordet von Handlangern des Systems, so in der Art.“
Grunwald nickte. „Sie strickt an der Legende vom mutigen Wissenschaftler, der den ignoranten Politikern die Stirn bietet. Dabei war er alles andere. Ein Fernsehclown, der sich in jede Talkshow schleifen ließ, um dort Allgemeinplätze über das Wetter abzusondern.”
„Du weißt ja ganz gut über ihn Bescheid.”
„Ach was. Ich hab nur ab und zu die Glotze an. - Übrigens meinte sie, dass von Zabern neulich mit einer Umweltaktivistin im Fernsehen aneinandergeraten sei, die ihm beinahe an die Gurgel gegangen sei.“
Andersen verzog das Gesicht. „Diese Frau ist bei von Zabern eingebrochen, um ihn zu ermorden – das ist ihre Theorie?“, fragte er. „Und dann hat sie obendrein auch noch die Klunker mitgehen lassen? In einer Talkshow unterschiedlicher Meinung zu sein, ist normal. Deshalb bringt man niemanden um.“
„Ich frage mich allerdings, warum der Schreibtisch durchwühlt wurde.“
„Was hattest du denn erwartet?“, spottete Andersen. „Dass die Einbrecher ihn aufräumen würden?“
„Ich meine, wenn jemand Wertgegenstände sucht, Schmuck, goldene Uhren oder Bargeld, warum widmet er sich so ausgiebig dem Schreibtisch?“
„Und dann diese Datei ...“
„Welche Datei?”
„Der Compter zeigte eine Datei namens Rubikon an.”
„Und?”
„Das war‘s schon. Die Datei war auf einem Stick. Der Stick ist verschwunden. Und der Rechner abgestürzt.”
„Du hast also keine Ahnung, was das für eine Datei ist.”
„Nicht die geringste.”
„Na toll.”
Andersen bremste ab und stoppte. Sie standen im Stau, der Regen prasselte. Die Belüftung tat ihr Bestes, damit die Scheiben nicht beschlugen. „Was machen denn deine Urlaubspläne?”, fragte er.
„Na ja, du kennst ja Undine.”
Andersen hörte den Namen zum ersten Mal. Grunwalds Partnerinnen wechselten in einem atemberaubenden Tempo. Es hatte keinen Sinn, sich Namen zu merken.
„Sie möchte unbedingt wohin, wo es warm ist. Also nicht nur ein bisschen, sondern mindestens 30 Grad im Schatten. Und sie hat Flugangst.”
„Dann wünsche ich viel Spaß bei der Suche.” Andersen nahm jetzt doch einen Lappen, um die Scheibe frei zu bekommen. Das da draußen war nicht nur Regen; er meinte auch Schneeflocken dazwischen auszumachen. Wär hätte das gedacht? Und das nennt man jetzt Juni.
Er fragte sich, ob die Sache mit Tatjana anders verlaufen wäre, wenn er nicht damals auch schon mit Frank Grunwald zusammengearbeitet hätte. Sie mochte ihn nicht, nannte ihn einen Matscho, der nicht erwachsen geworden sei. Keine Kinder, keine Familie, alle drei Monate eine neue Frau. Auf Andersen hatte er einen schlechten Einfluss, fand sie.
Aber nein, das mit Frank war nur vorgeschoben. In Wirklichkeit hatte es nur einen Trennungsgrund gegeben: Elmar, das intellektuelle Genie. Er hatte mit Kindern und Familie ebensowenig am Hut wie Frank. Die Politik war sein Ding. Als Prof der Politikwissenschaften erklärte er den Studierenden die Welt und wie man sie radikal veränderte. Offenbar war er einer dieser Typen, die zu allem etwas zu sagen hatten, was viele, besonders Frauen, dazu verleitete zu glauben, dass er alles wisse. - Und Tatjana? Sie erkannte einen Matscho nicht mal, wenn sie mit ihm liiert war, nur weil er kein goldenes Kettchen um den Hals trug und sie nicht Kindchen oder Kleines nannte. Ausschlaggebend für eine Alt-Hausbesetzerin wie sie war, dass Elmar politisch aktiv war und das bedeutete, für eine Sache zu kämpfen und nicht nur seinen Job zu machen. Nicht so wie Andersen, der für Politik nichts übrig hatte.
„Elmar ist einer, der nicht nur daherredet“, hatte sie erklärt, „er will in die Politik, um Dinge zu verändern. So etwas erfordert Mut.“
„Er lebt gut von seinem Professorengehalt und freut sich auf einen Schreibtisch in Düsseldorf, und du tust so, als würde er täglich dem Tod ins Auge sehen.“
„Dass du das so siehst, wundert mich nicht. Weil es dir völlig egal ist, ob du mit deiner Arbeit irgendetwas verändern kannst.“
Vielleicht war es ein gutes Zeichen, dass Luise dem linken Familienidyll nun den Rücken kehrte und zu ihm flüchtete. Wenn es denn eine Flucht war. Aber Tatjanas Weltbild von der emanzipierten, streitbaren Mutter auf der einen und dem egoistischen, eigenbrödlerischen Vater auf der anderen Seite konnte ja nicht ewig gelten. Seit langem freute auch er sich heute zum ersten Mal wieder auf die Zeit nach Dienstschluss. Er freute sich auf Luise.
5. Kapitel
Sie ist wieder einmal zu spät dran. Viel zu spät. Die Veranstaltung im Stadion hat längst begonnen. Marla lässt den kurzen Security-Check über sich ergehen, rennt durch den Gang, dann eine Treppe hinauf und tritt wieder ins Freie, lässt ihren Blick über die Ränge des Stadions schweifen. Alle Plätze sind besetzt. Ein Meer aus Gesichtern. Und Liane kann sie nicht entdecken. Dabei ist sie ganz bestimmt hier und hat lange genug auf ihre Kommilitonin gewartet. Also gut, das geschieht ihr recht. Vielleicht sollte sie einfach wieder gehen. Wahlkampfveranstaltungen sind noch nie ihr Fall gewesen. Und die von Rechtspopulisten schon gar nicht.
Aber gerade deshalb Flagge zeigen - damit hat Liane sie zu dieser Aktion überredet. Dieser Mensch redet von Europa, und wir sind Stipendiaten des von-Zabern-Kollegs. Wir dürfen ihm nicht kampflos die Bühne überlassen. Also schön, dann hat sie sich überreden lassen, mit einer Handvoll anderer Studentinnen ihres Jahrgangs ins Stadion zu gehen und ein Transparent hochzuhalten. Nur jetzt kann sie es nirgends entdecken.