Das Rubikon-Papier. Christoph Güsken

Читать онлайн.
Название Das Rubikon-Papier
Автор произведения Christoph Güsken
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754179727



Скачать книгу

Gedanken verschrie­ben hat. Europäische Geschichte, europäische Traditionen und Errun­genschaften wie Demokratie, Menschenrechte, kulturelle Vielfalt. Die Abschlussarbeit - für Marla fällt sie dieses Jahr an - muss sich natür­lich irgendeinem europäischen Thema widmen.

      „Hey, kannst du mal zur Seite gehen?”, beschwert sich jemand hinter ihr. „Du stehst im Weg.”

      Marla räumt das Feld, tritt zurück auf den Gang, der zwischen den Rängen nach oben führt.

      Applaus brandet auf. Marla dreht sich wieder um und wirft einen Blick auf den Redner, für den eine Tribüne mitten in der Arena er­richtet wurde. Armin Roland steht mit erhobenen Ar­men da und wartet das Ende des Applauses ab. Er wirkt wie ein Diri­gent. Ein Mann um die dreißig, der sich der Wirkung seiner attrakti­ven Erscheinung be­wusst ist. Schlank, glatt rasiert, in in einem creme­farbenen Anzug, der leger wirkt, aber auch nicht unseriös. Der ideale Schwiegersohn. Ein junges Gesicht in der überalterten Politik, das Veränderung und Auf­bruch verspricht.

      Dabei weist er die Bezeich­nung Politiker bei jeder Gelegenheit kokett zurück. Er sei kein Politi­ker, sondern ein normaler Bürger, der eine Vi­si­on habe und etwas ver­ändern wolle. Und ebenso seien seine Anhän­ger keine politische Par­tei, sondern eine Bewegung. Die Bewegung Abendland!.

      Der Applaus ebbt ab.

      Rolands sonore, eindringliche Stimme schallt durch das Stadion. Man hört ihr an, dass der Redner in seinem Ele­ment ist. Trotzdem versteht man ihn nicht so gut, weil das Mikrofon einen Hall erzeugt und die Wiedergabe verzerrt. Einmal mehr be­kräftigt der Redner leiden­schaft­lich, dass er nicht nach Politikerart Verspre­chun­gen machen will. Er habe nichts zu ver­sprechen. Aber er verachte diejeingen, die immer alles kleinredeten und nichts unternähmen. Die keinerlei Probleme damit hätten, Ver­sprechen zu machen, die sie niemals zu halten ge­dächten. Während man ihm vorwerfe, Angst zu schüren. Dass er nicht lache: „Wenn das Boot überfüllt ist, zu kentern droht und am Horizont ein Sturm auf­zieht, ist dann etwa der, der vorsichtsalber Schwimmwe­sten verteilt, einer, der Angst schürt? Der das Unwetter herbeiredet? - Dabei ist es nicht meine Absicht, Schwimmwesten zu verteilen. Ich ru­fe euch alle auf, es nicht dazu kommen zu lassen, dass das Boot zu kentern droht, wenn ein Sturm aufzieht.”

      Applaus.

      Marla Lubitsch meint, Liane entdeckt zu haben, läuft ein paar Trep­penstufen hinunter, bis sie merkt, dass sie sich geirrt hat. Beifälliges Lachen schallt über die Ränge - Roland muss einen Scherz gemacht haben, den sie nicht mitbekommen hat. Jetzt legt er noch nach. Ge­lächter. Roland ist keiner, der den Leuten Angst macht; er bringt sie zum Lachen.

      Sie ist jetzt beinahe ganz oben angekommen. Leider wird das Gedrän­gel hier nicht weniger, im Gegenteil: Sogar die Stehplätze sind knapp. Marla weicht aus bis zum äußersten Rand, hier kann sie unbedrängt stehen und hat das Geschehen im Auge. Unmittelbar hinter ihr ragt ei­ner der Masten in den Himmel, die das Flutlicht tragen. Und dann glaubt sie, hinter sich etwas gehört zu haben. Ein Zischen.

      „Los, weg da!”, kommt es dann etwas lauter, als sie schon denkt, sich verhört zu haben. „Runter mit dem Kopf!”

      Sie dreht sich um.

      Da ist niemand. Bleibt, wo sie ist, aber geht vor­sichtshalber in die Ho­cke. Aber das ist keine angenehme Haltung, au­ßerdem kann sie jetzt nicht mehr viel von dem sehen, was da unten ge­schieht. Also richtet sie sich nach einer Weile wieder auf.

      „Runter, hab ich gesagt!”

      Unmittelbar darauf verspürt sie einen Schlag von hinten gegen ihre Schulter, der sie zu Boden wirft. Sie verliert das Bewusstsein.

      6. Kapitel

      „Na, wie war das Date mit deiner Tochter?“, erkundigte sich Frank am nächsten Morgen, als er gegen zehn Uhr in Andersens Büro kam. „Seid ihr aus essen gewesen?”

      „Na ja, nicht direkt“, murrte Andersen. „Wäre bei dem lausigen Wetter auch kein Spaß gewesen.“

      „Na und? Was habt ihr stattdessen gemacht?“

      „Sie hat angerufen, dass sie mit einer Freundin verabredet ist. Und ich hab vor der Glotze gepennt. Ein Abend wie jeder andere.“

      „Na, das wird schon wieder.“ Grunwald grinste aufmunternd und we­delte mit zwei Din-A4-Blättern. „Das solltest du dir ansehen. Dage­gen sind Frau Holms Mutmaßungen so klar und präzise wie der Satz des Py­thagoras.“

      Es handelte sich um den Ausdruck eines Artikels aus einer Internet-Zeitschrift namens www.news-on-line.de.

       Fragen, die keiner stellen will.

       Am Montag, den 24. Juni, wurde Dr. Benno von Zabern in seinem Haus tot aufgefunden. Bislang hüllt sich die Kriminalpolizei in Schwei­gen, was die näheren Umstände der Tat angeht. Doch man darf damit rechnen, dass wir schon morgen, spätestens übermorgen erfah­ren werden, dass es sich um einen tragischen Unfall handelt. Oder um einen Einbruch mit Todesfolge.

       Warum das so ist? Weil niemand ein Interesse daran hat, näher nach­zufragen und an dem zu rühren, was hinter diesem Mord steht.

       Von Zabern war uns allen ein Begriff als unnachgiebiger Kritiker des allgemeinen Dogmas vom weltweiten Wachs­tum. Außerdem mach­te er sich gegen Umweltvergehen aller Art stark, wie etwa das Abhol­zen des Regenwaldes und die Ölbohrungen im Wattenmeer.

       Doch war er außerdem noch einer Sache auf der Spur, die der Öf­fent­lichkeit - aus welchen Gründen auch immer - bis heute vorenthal­ten wird. Und das Wissen von dieser Sache kostete ihn das Leben.

       Seit Jahren unterhalten gewisse Kreise des weltweiten militärisch-in­dustriellen Komplexes Kontakte zu einer außerirdischen Intelligenz. Seit Jahren starten Raumschiffe von der Erde in Richtung Mars, und seit Jahren landen marsianische Schiffe auf der Erde. Die Start- und Landeplätze werden natürlich geheimgehalten. Zeugen werden zum Schweigen gebracht oder verschwinden auf rätselhafte Weise.

       Was steckt hinter dem Schweigen? Militärische Inter­essen? Die Tat­sache, dass ein solches Top-secret-Projekt Unsummen von Geld ver­schlingt, die irgendwie an den Parlamenten vorbeigeschleust wer­den?Wer finanziert das Vorhaben und mit welchem Ziel?

       Dass es Starts oder Landungen überhaupt gibt, wird von allen offi­zi­ellen Stellen als Ufoquatsch abgetan, als hanebüchener Unsinn, und alle, die nachfragen, für geisteskrank erklärt. Man verweist darauf, dass die bemannte Raumfahrt seit Jahren eingestellt wurde, bis auf die üblichen Mond- und Erdumkreisungen, die exklusive Reiseverant­stalter inzwischen in ihr Programm aufgenommen haben. Das EXTI­REC (Extraterrestrical Intelligence Research Center, www.exti­rec.com) bestreitet dies jedoch nachdrücklich. Zudem ist es erst einen knappen Monat her, dass sich im schottischen Hochland etwa hundert Kilometer westlich von Inverness ein mysteriöser Absturz ereignete. Es gab Zeugen, doch die wurden eingeschüchtert. Alle Spuren wurden über Nacht beseitigt. Jetzt brauchte man nur noch zu dementieren und alles hatte nie stattgefunden.

       Von Zabern, einer der letzten großen Aufklärer unserer Zeit, hat sich daran gewagt, einige dieser Geheimnisse zu lüften und ein Buch da­rüber zu veröffentlichen. Dies bezahlte er mit seinem Leben. Sein Tod ist tragisch, doch allemal Beweis genug dafür, dass er nicht im Trüben herumfischte oder sich mit banalen Ufo-Fantasien abgab, die man heutzutage dutzendweise in Illustrierten ...

      „Das darf ja wohl nicht wahr sein.“ Andersen las nicht weiter. „Solch haarsträubender Blödsinn ist mir seit Jahren nicht untergekom­men.“ Angewidert warf er die Blätter auf den Schreibtisch.

      Grunwald nickte. „Ich habe den Artikel ausgedruckt wegen des Na­mens, der darunter steht.“

      Andersen griff noch einmal nach dem zweiten Blatt. „R. Kerkhoff“, las er.

      „Das