Tod im ewigen Eis. Hans Säurle

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Название Tod im ewigen Eis
Автор произведения Hans Säurle
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753128030



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angebrüllt und geschlagen. Hirgelo verzog keine Miene, doch er war gekränkt und fühlte sich ungerecht behandelt. ʼKeinen einzigen Sommer mehr bleibe ich hierʼ, hatte er sich geschworen.

      VIII

      Am nächsten Morgen kam Wurkaz zusammen mit Walober zum Stollen, um den eingestürzten Gang zu inspizieren. Sie nahmen ein paar Steinbrocken in die Hand und betrachteten sie prüfend von allen Seiten. „Da ist ziemlich viel Erz drin“, murmelte Wurkaz und schnalzte mit der Zunge. „Hier graben wir, das wird sich echt lohnen.

      „Holt die beiden Kinder wieder, die sind jetzt wieder kräftig genug um zu arbeiten,“ befahl Walober. „Den verletzten Jungen schicken wir weg. Es dauert zu lange bis sein gebrochener Arm geheilt ist, solange können wir keinen unnützen Arbeiter durchfüttern.“

      Mit ihren Schlägeln lösten Öcetim und die beiden Kinder das Gestein, bei jedem Schlag fürchteten sie, dass erneut dicke Felsbrocken auf sie fallen könnten. Doch sie hatten Glück, nur kleine Steinchen rieselten vereinzelt auf sie herab. Der rotbraunen Erzader folgend, erweiterten sie die beiden Gänge auch nach oben und dank ihrer harten Arbeit konnte Öcetim bald schon aufrecht stehen. Der kleine Junge fing an zu husten, entkräftet wie er war, konnte er nicht mehr arbeiten. Bald darauf erging es dem Mädchen genauso.

      Beide wurden in die Hütte zu ihren Zieheltern geschickt. Nach zwei Tagen sah man auch sie mit ihrer wenigen Habe den Berg hinunter stolpern, sie wurden zu den Hirten geschickt, um diesen zu helfen. Ihre Stelle nahmen neu auf den Berg gebrachte junge Männer ein. Celso hatte auch sie in einem Dorf mit Versprechungen auf Kostbarkeiten und viele Rad in die Mine gelockt.

      Namos war im Laden tätig, dort gab es außer warmen Kleidungsstücken auch berauschende Getränke und heilende Kräuter zu kaufen. Es war als hätten die Götter diesen Laden mit allen erdenklichen Gütern gesegnet. Man brauchte nur einen Wunsch zu äußern und schon händigte Namos einem die gewünschte Ware aus, es schien als gäbe es alles umsonst. Doch da Namos in die Haselnussstöcke mit einem kupfernen Messer Kerben einritzte, ahnten die Käufer, dass sie für die erstandene Kleidung oder die berauschenden Getränke irgendwann einmal zu bezahlen hätten. Was aber die erworbenen Dinge kosteten, das wusste außer Wurkaz und Marabeo niemand. Man wusste lediglich, dass man für die harte Arbeit in der Mine und den Schmelzöfen entlohnt wurde, dass man sich mit den verdienten Rad alle möglichen Wünsche würde erfüllen können. Selbst Kupferdolche, Schmucksteine, scharfe Feuersteinbeile und Pastosaako sowie die schönsten und wämsten Kleidungsstücke ließen sich dafür eintauschen. Doch die Arbeiter verstanden die seltsamen Zeichen und Einritzungen nicht. Sie wussten nicht, welcher Betrag von ihrem verdienten Lohn abgezogen wurde.

      Auch konnte keiner der Arbeiter ausrechnen, wie viele Rad er in einem Monat erhalten würde, niemand wusste, wie viele Rad Pastosaako oder Kleidungsstücke wert sind, die sie im Laden erstehen konnten. Sie wussten nur, dass Celso für ihre Anwerbung mit vielen Rad belohnt worden war.

      Eindeutig geregelt war, dass niemand ohne Erlaubnis von Marabeo oder Wurkaz das Gelände der Mine verlassen durfte. Versuchte es doch einmal einer, wurde er mit Sicherheit von den Coyos gefangen. So nannten sich die Wächter selbst, die Tag und Nacht um die Mine herum patrouillierten und denen kein Flüchtling entwischte. Der gefangene Flüchtling wurde nackt ausgezogen, an Armen und Beinen gefesselt und an den Pfahl am großen Platz gebunden.

      Damit die schlimme Strafe nicht in Vergessenheit geriet, wandte sie Marabeo auch bei Faulheit an. Zwar wurden die wegen angeblicher Faulheit Bestraften nicht mit Honig eingeschmiert und sie mussten auch höchstens für einen Tag – und manchmal auch für eine Nacht zusätzlich – am Pfahl ausharren. Strafen hagelte es allerdings auch für geringere Vergehen, angefangen bei Entzug des Essens für einen oder mehrere Tage für Raufereien, die Arbeitsausfälle zur Folge hatten bis zum Auspeitschen für Diebstahl.

      Niemand hatte zuvor von derart schlimmen Strafen gehört oder sich ein solch hartes System überhaupt vorstellen können. Doch alle beugten sich, ertrugen mehr oder weniger klaglos Marabeos Herrschaft. Marabeo verhängte die Strafen und Wurkaz führte sie umgehend aus. Es schien, als warte Wurkaz geradezu auf irgendwelche Vergehen, die von Marabeo hart geahndet wurden und die er erbarmungslos vollstrecken konnte. Dann wurde die Arbeit für alle unterbrochen, denn jeder musste der Bestrafung zusehen.

      Namos nahm keinen großen Anteil am Leben auf der Mine, lediglich abends saß er mit Hirgelo, Öcetim und Gilger am Lagerfeuer. Er war ein stiller Mensch, trug nur wenig zur Unterhaltung bei und gab auf Fragen meist nur kurze Antworten. Kam die Unterhaltung aber auf das Strichzahlensystem und die Einritzungen in die Haselnussstöcke, begannen seine Augen zu leuchten und Namos versuchte, ihnen dieses komplizierte System zu erklären.

      Durch seine korrekte Art hatte Namos im Laufe der Zeit Vertrauen bei Marabeo und Wurkaz erlangen können. Bei ihren argwöhnischen Kontrollen hatten sie weder Fehler noch Unterschlagungen feststellen können. Nach mehreren Gesprächen mit ihnen konnte Namos sich ausrechnen, welch große Summen Celso für seine hinterlistige Arbeit erhielt. Was aus den Kindern wurde, die die Mine zu verlassen hatten, wussten auch Marabeo und Wurkaz nicht, es interessierte sie auch gar nicht.

      Nach Namos Schätzungen hatten Öcetim, Hirgelo und Gilger ungefähr vier Monde in der Mine zu arbeiten, um allein Celso die für ihre Anwerbung ausgehändigten Rad abzuzahlen. Für Essen und Trinken wurde jedem von ihnen ein Rad pro Tag von ihrem Lohn abgezogen, für ein Paar Schuhe mussten sie ungefähr einen Mond lang arbeiten, für eine Mütze die Hälfte. Da sich Gilger, Hirgelo und Öcetim abends nach anstrengender Arbeit gerne einen Pastosaako gönnten, schätzte Namos, dass sie zur Begleichung ihrer Schulden vielleicht noch ein halbes Jahr auf der Mine arbeiten müssten, bevor sie von ihrem Verdienst selbst etwas behalten könnten.

      „Das ist ja ungeheuerlich! Das wussten wir nicht. Das weiß keiner in der ganzen Mine“, riefen die drei zusammen.

      „Das hat uns niemand gesagt! Das machen wir nicht mit!“

      „Alles ist fein säuberlich notiert, das alles hier hat seine eigene Ordnung“, bemerkte Namos trocken. „So sind die Bedingungen, auch für mich. Und geflohen ist noch niemand...“

      „Angeblich nicht“, entgegnete Hirgelo. „Wegen der Coyos und der harten Bestrafung.“

      „Wenn die Coyos nach einer Strafaktion zu viel Pastosaako getrunken haben und unaufmerksam sind, im Schutz der Nacht…“, überlegte Öcetim.

      „Wir holen hier Kupfer aus dem Berg, davon will ich etwas mitnehmen“, meinte Hirgelo. „Ohne Lohn gehe ich nicht weg von hier!“

      „Manchmal rollt so ein kleines Stückchen Rohkupfer fort oder vielleicht bricht auch ein kleines Stück vom Kupferfladen ab.“

      „Ja schon, aber das wird fein säuberlich zusammen gekehrt, kein Stück darf davon verloren gehen, da passt immer einer genau darauf auf.“

      „Nicht immer. Manchmal geht beim Transport etwas verloren, kleine Stücke, die nur lose mit dem großen Rest des Kupfergusskuchens verbunden sind, die müssten wir sammeln“, schlug Namos vor.

      „Prima Idee“, fasste Öcetim zusammen. „Jeder von uns, der beim Schmelzen oder beim Transport der Kupferstücke beschäftigt ist, achtet auf diese kleinen Stücke, schiebt sie unauffällig zur Seite und nachts können wir sie dann heimlich einsammeln.“

      „Mühsam und gefährlich“, bemerkte Hirgelo. „Aber machbar. So kommen wir zu Kupfer. Wir brauchen lediglich Geduld und etwas Glück. Die Götter werden uns zur Seite stehen.“

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      Auch nach wochenlangem Abbau war die Erz führende Schicht noch immer mächtig. Um auch an die wertvollen oberen Schichten heran zu kommen, wurden Steigbäume in den Stollen aufgestellt. Auf diesen mit Aussparungen versehenen Baumstämmen konnte man hochsteigen, um das Erz auch ganz oben abzubauen.

      Wie üblich wurden abends Feuer entzündet, um durch die Hitze Sprünge im Gestein entstehen zu lassen. Weil in