Tod im ewigen Eis. Hans Säurle

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Название Tod im ewigen Eis
Автор произведения Hans Säurle
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753128030



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bevor sie sich die restliche Nacht in Schichten aufteilten, um Wache zu halten.

      „Ich gehe nochmals zu ihrem Lager, allein“, sagte Öcetim mit Bestimmtheit. „Wir müssen mehr über sie erfahren.“ Schon vor Mittag kam er wieder zurück und berichtete über seine Eindrücke: „Es scheinen friedliche Leute zu sein, sie haben kein festes Haus, es sieht aus, als wären sie noch nicht lange hier.“

      „Sich auf Dauer verstecken, das mag ich nicht, Weggehen kommt auch nicht in Frage, also doch Kontakt mit der fremden Familie suchen?“

      „Aber dann nur mit einem Gastgeschenk“, warf Gilger ein. „Ein Reh für die Familie“, schlug Hirgelo vor.

      „Und ein paar schöne Federn für das Mädchen“, ergänzte Gilger.

      Öcetim und Gilger schritten auf die fremde Familie zu, während Hirgelo und Namos mit gespannten Bögen im Hintergrund Waffenschutz gaben. Einer der beiden fremden Jungen bemerkte sie zuerst und schlug Alarm, die beiden Männer griffen sofort zu ihren Speeren, die Frauen nahmen ohne zu zögern die Steinbeile in ihre Hände und die beiden Jungen ergriffen Pfeil und Bogen, die Alte und das Mädchen verschwanden rasch in der Hütte. „Wir kommen als Freunde“ sagte Öcetim und legte das kleine Reh auf den Boden, während er hoffte, dass man das Zittern in seiner Stimme nicht bemerken würde. Gilger, dem das Herz bis zum Hals schlug, bückte sich und steckte dem Reh die Federn in die Ohren, was das kleine Tier sehr niedlich aussehen ließ.

      Die Buben senkten ihre Pfeile, die Frauen nahmen eine etwas entspanntere Haltung an, doch die Männer hielten ihre Speere wurfbereit in ihren Händen. „Waffen runter, ihr da hinten“, rief einer der beiden Hirgelo und Namos zu. Diese lockerten die Spannung in den Sehnen ihrer Bögen, senkten die Pfeilspitzen Richtung Boden und traten vorsichtig aus dem Wald heraus.

      „Die Götter mögen mit Euch sein. Wir sind keine Räuber.“ Bei diesen Worten versuchte Gilger ein Lächeln. Der größere der beiden Männer lächelte zurück und beide senkten ebenfalls ihre Speere. „Willkommen in unserer bescheidenen Hütte.“

      „Wir haben noch ein wenig Wildschwein, köstlich gebraten und mit süßen Wurzeln und Sellerieknollen gefüllt. Frau, hol das Essen für unsere Gäste“, ergänzte der andere Mann. Die in einen mit kleinen Stickereien verzierten Umhang gekleidete Frau bückte sich nach dem geschmückten Rehkitz, häutete es ab und briet es über dem Feuer.

      Der Duft des gebratenen Rehs stieg den vier hungrigen Freunden in die Nase und der Speichel lief ihnen im Mund zusammen. Sie setzten sich um das Feuer, bald schon entspann sich ein angeregtes Gespräch. Die vier jungen Männer erzählten über die Mine, ihre Flucht von dort und über ihre anderen Abenteuer. Die Familie berichtete, dass sie ursprünglich aus einer sumpfigen, ehemals wildreichen Gegend komme. Viele Menschen ihres Stammes hatten dort gelebt, die jagdbaren Tiere aber hatten sich verzogen. Aus Nahrungsmangel war es häufig zu Streit gekommen, eine Familie mit drei kleinen Kindern sei vor Kurzem im Streit um ein Reh totgeschlagen worden. So hätten sie entschieden, diese zerstrittene Gruppe zu verlassen.

      Auf ihrer Reise in Richtung der aufgehenden Sonne kamen sie in ein schönes weites Tal, wurden aber von den dort siedelnden Menschen unfreundlich aufgenommen. Dieses Volk – sie nannten sich Rumedullu - lebe straff organisiert in einer großen Gemeinschaft, mit einer kleinen Oberschicht, die sich von den Übrigen aushalten lasse und streng über ihre Vorteile wache.

      Als Fremdlinge mussten sie immer wieder den höher gestellten Familien Knechtsdienste leisten. Die Frauen dort hätten fast keine Rechte, die Männer würden über sie nach Belieben verfügen. Ihrer Tochter, De Thuate, sei ihrer blonden Haare wegen von den Männern dort dauernd nachgestellt worden. Sie waren deshalb weiter gezogen. Ein paar Tage folgten sie dem in Richtung Sonnenaufgang fließenden Strom. Doch da die Gegend immer sumpfiger wurde, folgten sie einem großen Nebenfluss, später dann einem kleineren Fluss und erreichten vor drei Tagen dieses schöne Tal, hier wollten sie bleiben.

      Beim Essen herrschte eine freundliche und vertrauensvolle Atmosphäre. Momola, so hieß die nicht mehr ganz junge, aber immer noch schöne Frau mit ihren langen schwarzen Haaren, holte einen Krug mit vergorenem Saft aus Wildäpfeln, aus dem alle der Reihe nach tranken. Alle freuten sich, wieder mit anderen Menschen zusammen zu treffen, mit Menschen, die offenbar nicht beabsichtigten, sie zu hintergehen, zu bestehlen oder gar zu töten.

      Die jüngere der Frauen brachte eine Trommel und eine kunstvoll geschnitzte Flöte, aus diesen beiden Instrumenten zauberten Momola und De Thuate fröhliche Melodien hervor. Manche waren auch Hirgelo, Öcetim und Gilger bekannt, so dass sie mitsummten. Besonders laut, aber nicht unbedingt schön, sang Hirgelo, der sich dicht neben De Thuate gesetzt hatte. Spät am Abend nahmen sie Abschied von dieser sympathischen Großfamilie, nicht ohne sie zu einem Gegenbesuch in ihrer Höhle eingeladen zu haben.

      „Wir werden ihnen Hirschbraten anbieten“, meinte Gilger großspurig. „Auf die Lichtung am kleinen See kommt jeden Morgen ein Rudel; das wird von einem gewaltig großen Bullen angeführt – mindestens ein Zwölfender muss das sein.“

      X

      Im fahlen Licht des dämmernden Morgens erschien die Silhouette eines großen Hirsches. Ihm folgten mehrere Junghirsche, Kirschkühe und Kälber. Majestätisch und nach allen Seiten witternd schritt der Bulle aus dem dunklen Wald auf die Lichtung, gefolgt von seinem Rudel, langsam bewegte sich die Herde in Richtung des silbern schimmernden Sees. Öcetim, Hirgelo, Gilger und Namos fassten sich an den Händen, ihre Herzen schlugen schneller beim Anblick dieser edlen Tiere. „Der Herrscher des Waldes“, flüsterte Hirgelo.

      Sie hatten sich am Waldrand hinter einer umgestürzten alten Buche versteckt. „Namos und Öcetim schleichen zu dem Felsen dort drüben“, bestimmte Hirgelo. „Der Wind steht günstig, die Tiere können uns nicht wittern. Seid leise, damit sie uns nicht bemerken.“ Mit ihren schussbereiten Waffen in den Händen erreichten Öcetim und Namos einen ungefähr mannshohen Felsbrocken, der ihnen einen guten Ausblick gewährte.

      Im ersten Tageslicht leuchten die Bergspitzen in einem zarten Rosa, noch drang das Licht nicht hinunter ins Tal, doch Felsen und Gras lösten sich allmählich aus der Dunkelheit, das Hirschrudel war jetzt schon deutlicher zu sehen. Die Tiere waren am See angekommen und stillten ihren Durst, der Bulle warf seinen mächtigen Kopf hoch und schaute sich witternd nach allen Seiten um, bemerkte seine gut versteckten Verfolger aber nicht.

      Die vier Jäger waren dem Rudel inzwischen bis auf Speerwurfweite nahe gekommen, vorsichtig und ohne einen Laut zu verursachen schlichen sie weiter, jede Deckung nutzend. Hirgelo blickte jeden an, durch ein Nicken gaben sie ihrem Anführer zu verstehen, dass sie bereit waren. Hirgelo hob seinen Speer, führte die Speerhand nach hinten und zielte auf den Hirschbullen. Seine Kumpane taten es ihm nach. Ihre Körper waren gespannt, ihre Herzen hämmerten wild. Auf Hirgelos Zeichen flogen vier Speere zischend durch die Luft, alle trafen den stattlichen Bullen. Getroffen gab der einen erschütternden Laut von sich, brach aber nicht zusammen. Sein Gefolge, die Hirschkühe, die Junghirsche, die Kälber und auch der verletzte Hirsch selbst, sprangen auf und rannten in Richtung des schützenden Waldes. Mit Geschrei richten sich die Jäger auf und feuerten ihre Pfeile auf das blutende Leittier ab. Zwei davon trafen, aber nicht an entscheidenden Stellen, so dass der waidwunde Geweihträger mit seinem Rudel die Flucht fortsetzen konnte. Nochmals flogen ihre Pfeile durch die Luft, Gilgers Pfeil traf den Bullen in die rechte Hinterbacke, doch auch das konnte seinen Lauf kaum verlangsamen.

      Bis auf den verletzten Bullen hatte das Rudel den schützenden Wald erreicht. „Ihm nach, bevor wir ihn im Wald verlieren“, kommandierte Hirgelo. Auf dem Grasboden sahen sie sowohl hellrot-blasiges als auch dunkles Blut, was auf einen Lungen- und auf einen Leberschuss hin deutete. Der Hirsch musste also doch schwer verletzt sein. Sie folgten der blutigen Spur des mehrfach getroffenen Bullen. Endlich – nach einer langen Verfolgungsjagd – sahen sie, wie der Herrscher des Waldes zusammenbrach. Erst knickten seine Vorderläufe ein und mit ihnen sank sein Kopf mit dem gewaltigen Geweih auf den Boden, der Rest seines mächtigen Körpers folgte kurz darauf. Als seine Jäger sich ihm näherten, raffte er seine ganze Kraft zusammen. Es gelang ihm, sich kurz aufzurichten, doch