Название | Tod im ewigen Eis |
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Автор произведения | Hans Säurle |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753128030 |
Gespannt und in respektvoller Entfernung stehend betrachteten ihn Hirgelo, Gilger und Namos, als wollten sie ihm die letzte Ehre erweisen. Öcetim wollte nicht auf das bald bevorstehende Ende des Herrschers des Waldes warten, sondern ihm mit einem raschen Schnitt die Kehle durchschneiden. Mit seinem Messer in der Hand umschlich er den sterbenden Hirsch. Von dem Bullen unbemerkt, war er hinter dessen Rücken getreten.
Mit seiner linken Hand drückte er das prächtige Hirschgeweih nieder und überstreckte dadurch den Hals des mächtigen Tieres, während seine rechte Hand das Messer zum Hals des Hirsches führte. Mit einem letzten, nicht mehr erwarteten Aufbäumen senkte der Hirsch sein Haupt, um es dann plötzlich nach hinten zu werfen. Damit benutzte er sein großes Geweih zum letzten Mal als Waffe. Eine der Geweihspitzen bohrte sich in Öcetims linke Brust, eine andere in den Oberarm seiner Messerhand. Laut vor Schmerzen schreiend ließ Öcetim das Messer fallen. Zum letzten Mal röhrend, sank der Kopf des Herrschers des Waldes auf den Boden, ein letzter Atemzug, ein letztes Zucken durchlief seinen mächtigen Körper – dann war er tot.
Alles im Wald war plötzlich still geworden, als hätten selbst die Vögel aus Ehrfurcht vor dem Tod des Herrschers des Waldes ihr Gezwitscher eingestellt. Fassungslos blieben Namos, Hirgelo und Gilger wie angewurzelt stehen, Öcetim fasste sich an die verletzte Brust und begann leise zu jammern. Glücklicherweise hatte die Geweihspitze nicht sein Herz getroffen. Dunkelrotes Blut tropfte aus seiner linken Brustseite und seinem Arm, doch schien er zu überleben. Mit einer leichten Drehung löste er sich von der Geweihspitze und legte sich auf das weiche Moos des Waldbodens.
„Du wolltest der Hirschtöter sein, stattdessen warst Du ein Käfer; aufgespießt auf einem Hirsch.“ Hirgelo fand als erster seine Sprache und seinen Humor wieder. Namos untersuchte Öcetims Wunden, drückte feuchtes Moos darauf und band es mit ein paar Lianen zu einem Druckverband zusammen. Nachträglich baten sie den toten Hirsch um Verzeihung für ihre Jagd und legten ihm einen Zweig ins Maul als Dankeszeichen für seinen Tod.
Sie schlitzten dem Hirsch den Bauch auf, nahmen seine Gedärme heraus und stapelten Herz, Lungen, Leber und Nieren auf einem großen sauberen Stein. Fliegen umschwirrten sie und ließen sich in den Pfützen aus tierischem und menschlichem Blut nieder. Sie trennten den Kopf mit dem gewaltigen Geweih ab, Hirgelo wollte schon den Schädel aufschlagen, um an das Hirn zu kommen. Denn rohes Hirn schmeckt nicht nur köstlich, sondern soll auch die Kraft und das Wissen des Toten weiter geben.
„Halt“, rief Namos, „das bewahren wir für die Götter auf! Gilger und ich bringen den Körper in unsere Höhle, wo wir ihn weiter verarbeiten können, Hirgelo nimmt die Innereien und sucht unsere Waffen wieder zusammen. Wir treffen uns in der Höhle, der verletzte Öcetim bleibt einstweilen hier.“
Der Kopf mit dem prächtigen Geweih lag auf einem großen Felsbrocken, Öcetim konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Hirschbulle mit seinen großen toten Augen ihn direkt ansehe. Ihm wurde ganz schummerig. Ob es am Blutverlust lag? Oder ob der Herrscher des Waldes mit ihm sprechen wollte? Öcetim setzte sich auf und versuchte eine straffe Haltung anzunehmen.
„Du hast mich getötet“, schien der tote Hirschkopf zu sagen. „Warum? War mein Fleisch der Grund, dass ihr mich getötet habt?“
Öcetim schluckte. Redete der Herrscher des Waldes mit ihm? War der Hirschbulle nicht tot?
„Ihr hattet keine Erlaubnis mich zu jagen! Vielleicht hätten die Götter sie Euch gegeben, wenn Ihr sie gebeten hättet.“
Öcetim fühlte sich unwohl an diesem Ort, das lag nicht nur an den vielen Fliegen, deren Surren ihn verrückt zu machen drohte. Er fragte sich, ob es vielleicht noch helfen könnte, die Götter nachträglich um Erlaubnis zu bitten und speziell dem Hirschgott ein Opfer zu bringen.
Bevor er den Gedanken zu Ende bringen konnte, fuhr der Hirsch fort: „Ich, der Herrscher des Waldes, bin nun nicht mehr auf dieser Welt. Aber auch nicht in der Oberwelt, wo nie Winter herrscht und es immer genug zu fressen gibt, wo auch andere Tiere leben und sogar manche ausgezeichnete Menschen. Doch Du hast mir den Weg in die immergrüne Oberwelt abgeschnitten.“
Öcetim seufzte tief. Er fühlte, wie sich eine schwere Last auf sein Herz senkte. ʼBin ich nun verloren? Was will der Bulle ausgerechnet von mir?ʼ Schuldbewusst blickte er zu Boden, wagte nicht, in die toten Augen des Hirsches zu blicken. ʼOb es nicht doch eine Möglichkeit gibt, dem Hirsch auf seinem Weg ins Reich der immer satten und glücklichen Tiere zu helfen?ʼ fragte er schließlich leise.
„Es gibt Möglichkeiten, wenn die Götter es wollen, das aber liegt nicht in meiner Hand, auch wenn ich der Herrscher des Waldes bin, das liegt nur bei Dir und Deinen Freunden“, brummelte der Hirsch. Er blickte ihn durchdringend an: „Ihr werdet alle Opfer bringen müssen, nur so wird es einen Weg für mich in die Oberwelt und vielleicht auch Vergebung für Euer schändliches Handeln geben können.“
Immer mehr Fliegen surrten um Öcetim herum, stachen ihn und labten sich an seinem Blut. Seine Beine und seine Arme begannen zu zucken, er konnte nichts dagegen tun, dann sackte er zusammen.
Namos, Gilger und Hirgelo kehrten erst spät zurück, sie hatten zuvor den Hirsch abgehäutet und sein Fleisch weit oben in der Höhle zum Schutz vor Aasfressern aufgehängt. Gilger und Hirgelo zimmerten aus dicken Ästen und Zweigen eine behelfsmäßige Trage und transportierten ihren wirr phantasierenden Freund zurück in die Höhle. Namos trug auf seinem Kopf den Hirschkopf mit dem mächtigen Geweih, so dass er wie ein lebender Hirschgott aussah. Zu Hause flößte er Öcetim Wasser ein und kochte aus den Überresten einer Ente eine Suppe, die Öcetim wieder Kraft geben sollte. Öcetim redete in seinen wirren Fieberträumen unverständliches Zeug von einem Hirschparadies, welches dem Herrscher verwehrt werde und dass sie alle sterben müssten. Auch am nächsten Tag ging es ihm trotz ihrer Fürsorge nicht besser. Kaltschweißig ruhte Öcetim auf einem gepolsterten Lager, sein Atem ging schwer. „Wir müssen etwas tun, sonst wird er noch sterben. Wir müssen Hilfe holen“, sprach Gilger.
Die gesamte Großfamilie kam, die beiden Männer, die drei Frauen, die weißhaarige alte Frau, die zwei Buben, die etwas jünger als sie waren und auch De Thuate, das Mädchen mit den langen blonden Haaren und smaragdgrünen Augen. Sie brachten ein Bündel mit Kräutern und ein Gefäß mit einer bräunlichen Flüssigkeit mit. Nach einer herzlichen Begrüßung setzten sich die Männer ans Lagerfeuer, während sich die Frauen Öcetim zuwandten, der immer noch im Fieberwahn vor sich hin phantasierte.
Eine der beiden Frauen entfernte den behelfsmäßigen Verband, das Moos war völlig mit altem Blut getränkt, die Wunde an der Brust war schmierig belegt und verströmte einen üblen, leicht süßlichen Geruch. „Das muss eröffnet werden“, meinte die Alte und zog ihr Messer aus der Tasche. Bevor sie noch jemand hätte hindern können, stach sie in Öcetims verletzte Brust und mit einer schnellen Drehung des Messers erweiterte sie die kleine Wunde, süßlich stinkender Eiter ergoss sich aus ihr. Öcetim schrie kurz auf, fiel dann gleich wieder in Ohnmacht.
„Wir haben den Hirschgott nicht um seine Erlaubnis gefragt und den Göttern vorher auch nicht geopfert,“ begann der verzagte Namos.
Dies anscheinend einfach überhörend, wies die Alte Namos an: „Gib ihm dies regelmäßig zu trinken. Er wird bald wieder aufwachen. Das ist ein Sud aus Weidenrinde, in den ich Schimmel und Honig gelegt habe. Es wird noch ein paar Tage dauern, doch er wird es überleben. Täglich müsst Ihr ihn mit frischen Weidenblättern verbinden und darauf achten, dass sich die Wunde nicht schließt. Und ihr müsst ihm täglich auch diesen Sud aus Kräutern geben.“ Sie öffnete ihr Bündel und drückte Namos die mitgebrachten Heilpflanzen in die Hand.
Danach setzten sich die Frauen zu den Männern ans Feuer, Hirgelo und Gilger schleppten den schweren Hirschkörper aus der Höhle und legten ihn auf ein vorbereitetes Gestell, um ihn langsam über dem Feuer zu rösten. „So ein großes Stück Fleisch könnte auch als pachatera zubereitet werden“, schlug De Thuate vor. „Wir heben ein großes Loch aus, schlagen es mit großen Blättern aus, legen heiße Steine hinein und dazwischen immer wieder eine Schicht Fleisch, dann wieder heiße Steine, dann essbare