Elisa. Jaqueline Merlin

Читать онлайн.
Название Elisa
Автор произведения Jaqueline Merlin
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753185071



Скачать книгу

ich ihm eine Flasche Bordeaux mitbrächte.

      Was nur für Frau Fröhlich? Ein Parfum? Ein Seidentuch? Warum ließ er mich sie nicht bezahlen

      im Stundenlohn oder in einem Pauschalpreis? Besser, ich fragte Jani nochmals, was man solcher

      Dame schenken könnte. Wenn sie so gut in englisch war, ohne in England gewesen zu sein, eine

      Antiquität für ihre Vitrine? Vielleicht war sie von alter Schule, vornehmer Zunft oder verwöhnt?

      Carl Larson führte mich in ein Zimmer, das an sein Geschäft erinnerte mit Büchern über Rinder-

      Zucht und Getreide-Anbau. Antike Möbel füllten den Saal, in dem ich sie gleich erwarten sollte.

      Als es an der Tür klopfte, sagte ich: „Kom ind!“ Und dann, um kein Missverständnis -, „Herein!“

      EINE UNVERHOFFTE BEGEGNUNG - 4. KAPITEL -

      Was waren meine ersten Gefühle und Gedanken, als sie den Raum betrat? Wahre Gefühle lösen

      Gedanken aus. Rückblickend redet man sich alles Mögliche ein, was durch spätere Erfahrungen

      hinzu gedichtet wird, meist wird dies dramatischer, als es im Vorfeld war. Das liegt im Menschen,

      seine Sensationslust und Dramaturgie, egal ob auf dem mittelalterlichen Schauplatz, derzeitigen

      Medien oder in Shakespeares Dramaturgie. Was hätte Shakespeare ohne das banale Verlangen

      gemacht? Well, ich war solch ein Engländer, der im Prinzip schlecht an Shakespeare vorbeikam.

      Trotzdem muss ich sagen, dass ich schon damals was verspürte, das schwer zu beschreiben ist.

      Vielleicht ein Bewusstseinssprung auf eine andere Ebene, einen plötzlichen Wechsel im wahren

      Geschehen. Sowohl in der Eigenart meiner Aufmerksamkeit als auch im unmerklichen Moment

      und Verstreichen eines Augenblicks, rückte die tatsächliche Umgebung, das Arbeitszimmer wie

      dieser Stapel Briefe auf meinem Tisch in den Hintergrund, dass die Zeit wie durch eine Linse in

      die Vergangenheit führte aus der Gegenwart, als ob ein Duft oder Klang nicht nur an die frühere

      Zeit vor fünf Jahren oder an die Kindheitszeit erinnert, sondern uns wirklich dahin zurück bringt.

      Der Blick durch ein Kaleidoskop oder durch eine Linse in die Ewigkeit, die uns sonst fremd war.

      Es war nicht mehr der Tag und Ort, den ich gerade zu erleben meinte, sondern ganz woanders.

      Lautlos war die nie erprobte Linse eingerastet auf die vorher niemals wahrgenommene Realität.

      Ich blinzelte mit offene Augen und sah durch das helle, verblendende Licht, dass sie schön war.

      Ich habe später über dreißig Leute gehört, die gesagt haben, dass sie schön sei. Sicher bin ich

      einigen Frauen begegnet, deren Schönheit ich distanziert wahrgenommen hatte, für einen Sinn

      und die Augen. Wegen des guten Tons wurden sie oft gelobt, sowie ein Konzert in Anwesenheit

      des Publikums von der unmusikalischen Person gehört wird. Sie waren schön, wie es üblich war.

      Nicht nur ihr Gesicht und Körper waren schön, ihre Haltung und Bewegungen galten königlicher

      als am Hofe. Sie war graziös und elegant in aufregender Erscheinung unheimlicher Weiblichkeit.

      Doch auch das hätte nicht den Riss durch den Tag in jenem Arbeitszimmer verursachen können.

      Etwas Überwältigendes umhüllte sie wie ein unsichtbarer Schleier, der undurchdringlich blieb in

      seiner Unfassbarkeit. Woraus bestand dieser Nimbus? Aus dem abgehoben Sein des entfernten

      Jenseits, das mich zu ihr aufblicken ließ, wobei ich schon von meinem Stuhl aufgesprungen war.

      In ganzer Erregung beobachtete ich sie wie durch ein Fernrohr und nahm die innere Fröhlichkeit

      sowie äußere Wachsamkeit wahr, sie belustigte sich insgeheim über mitmenschliche Reaktionen.

      Und da gab es noch etwas anderes, Zigeunerhaftes, Heidnisches, beunruhigend, mehrdeutig, das

      sich nicht vom Diktat einer zivilen Bürgerlichkeit unterdrücken ließ, ohne Barmherzigkeit wie ohne

      einen Skrupel würde es sich nicht einem erzwungenen Zusammenleben freiwillig unterordnen. In

      dieser Hinsicht glich sie einem Leoparden, dessen Schönheit gleichermaßen gefährlich wurde für

      denjenigen, der ihm zu nahe kam. Es wäre lebensbedrohlich, ihn wahrhaftig einfangen zu wollen.

      Sie habe die Peitsche, gewiss, doch sie wären besser auf der Hut. Denn das Wunder, das ihnen

      in die Falle gehen soll, um ihnen Gewinn zu bringen, ist tödlich. Es teilt ihre raffgierige Sicht nicht.

      Keiner weiß, was es denkt, wie es fühlt, kennt nichts von der Vorsicht und Abwägen von Kosten.

      Niemand weiß, wovon es weiß, wenn es gleichgültig an den Stäben vorübergeht sowie abwesend.

      Zum Teil ist es erschreckend wachsam und weiß genau um den Einbruch mörderischer Unschuld.

      Doch in diesem Moment waren jene Dinge lauter explodierende, zerberstende Teile einer Rakete,

      die wie zu Sylvester als bunte, leuchtende Sterne am Himmel verschwanden im nebeligen Schein.

      Ich hätte im Nachhinein nicht sagen können, wie viele Sterne es waren oder gar in welcher Farbe,

      nachdem die Rakete verglüht und mich geblendet zurück gelassen hatte. Nur eines war mir dabei

      klar, die Gegenwart dieses Schreibmädchens war die unermessliche Gunst, die mich ja erstmalig

      im Leben eine Frau sehen und erleben ließ und deren Umkehrschluss, ich sah noch nie eine Frau.

      Ich habe nicht die geringste Erinnerung an ihre Kleidung. Sie sprach mich zuerst auf englisch an:

      „Sie sind Herr David?“ Mir war nicht klar, ob sie meinen Nachnamen nicht kannte oder sie jenen

      absichtlich unerwähnt ließ, gar vergessen hatte. „Ja, das ist richtig. Und Sie sind Frau Fröhlich?“

      „Sehr nett, dass Sie mir bei jenen Briefen helfen wollen.“ “Mit Vergnügen.“ “Bitte setzen Sie sich.“

      Alltägliche Wörter, geeignet wie andere auch, um sich einander bekannt zu machen, Konventionen.

      Diese Neonfische im Aquarium von Carl Larson flimmerten vor meinen Augen. Während sie umher

      schossen, versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen und sah ihnen genau zu, wie sie die Bahnen

      in dem Aquarium zogen. Das waren Streckenschwimmer, keine Taucher, sie zogen die Bahnen wie

      bunte Bänder und hielten mich bei Atem. Ihre Bewegungen steigerten jede Konzentration, dass ich

      meinen Blick auf die Fische ausrichtete, das waren Zierfische in orange-neonblau-gelbgrün-knallrot.

      „Womit wollen Sie anfangen, Frau Fröhlich? Zuerst die englischen Briefe? Könnte Ihnen Englisch

      mehr Schwierigkeiten bereiten, dass wir damit beginnen?“ “Das ist mir völlig egal.“ Sie schlug ihre

      Beine übereinander und legte den Block auf das Knie. Dazu lächelte sie, nicht zu mir, sondern wie

      zu einem unsichtbaren Begleiter oder wie zu sich selbst. Sie deutete an, dass die Kommunikation,

      die wir gerade führten, gänzlich uninteressant sei im Licht der anderen,