Sie träumte von Liebe. Christina Bartel

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Название Sie träumte von Liebe
Автор произведения Christina Bartel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742750358



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zögerte, dann nickte sie und nahm die Hand ihrer Schwester.

      „Ich muss die Stute zurück in den Stall bringen, aber wenn ihr möchtet, könnt ihr noch eine Weile bei ihr bleiben“, schlug Joan ihnen vor. Als sie keine Antwort bekam, setzte sie sich mit der Stute langsam in Bewegung. Nach wenigen Schritten bemerkte sie, dass die Schwestern ihr folgten.

      Mit jedem weiteren Tag drang Joan auf ihre eigene Art zu den Mädchen durch und erfuhr aus den wenigen Worten, die die Schwestern sprachen, dass sie dreizehn und elf Jahre alt waren. Nach einigen Wochen erzählte Laila unter Tränen von ihrer geliebten Mutter, die vor vier Jahren gestorben war. Mit dem tragischen Tod der Mutter hatte sich das Leben der Mädchen von Grund auf verändert. Von einem zum anderen Tag war der streng erziehende Vater mit seinen beiden Töchtern allein. Er hatte schon immer die Hand gegen sie erhoben, wenn sie Unfug angestellt hatten, doch nun ließ er seine Wut über den Tod seiner Frau bei jeder Kleinigkeit, jedem Widerspruch an Laila und Celia aus. Laila erzählte Joan, wie sie ihre kleine Schwester wieder und wieder vor der strafenden Hand des Vaters geschützt und dafür doppelte Prügel von ihm bekommen hatte. Nicht nur einmal schlug er sie bis zur Bewusstlosigkeit und brach ihr etliche Male die Rippen. Dennoch musste Laila unter schlimmen Schmerzen auf dem Bauernhof weiterarbeiten. In diesen Wochen glaubte sie die schrecklichste Zeit ihres Lebens zu durchleben, doch als ihr Vater eines Tages in ihr Zimmer kam und sie bat, lieb zu ihm zu sein, wurde sie eines Bes-seren belehrt. Seither verging er sich regelmäßig an ihr. Monate darauf hatte sich auch Celias Blick verändert.

      Im September und Oktober bekam das Kloster soviel Zulauf wie noch nie zuvor. Immer öfter kamen junge Frauen zu ihnen, die jahrelang misshandelt worden waren. Verzweifelte Mütter gaben ihre Kinder in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Obhut der Nonnen und kehrten zu ihren Männern zurück. Meistens hörten diese Kinder nie wieder etwas von ihren Eltern, doch Joan dachte, dass dies vielleicht so besser war. Sie waren der Hölle entkommen und hatten nun zum ersten Mal die Chance auf ein normales Leben. Ein Leben ohne Gewalt.

      Neben dem großen Ansturm auf das Kloster, bemerkte Joan, dass die körperlichen Verletzungen ihrer Schützlinge zunehmend schlimmer wurden. Längst blieb es nicht mehr bei Schlägen und Vergewaltigungen. Zu ihnen kamen Frauen, deren Gesicht durch die harten Schläge kaum mehr erkenntlich war. Hinter tiefen Narben, Blutergüssen und geschwollenen Augen schien es niemanden mehr zu geben. Um ein Haar wären sie zu Tode geprügelt worden. Blickte man in die Augen der Frauen, dann sah man bei den meisten, dass es Momente gegeben hatte an denen sie sich nichts sehnlicher als ihren Tod gewünscht hatten. Unter den Mädchen und jüngeren Frauen gab es etliche, die zur Prostitution gezwungen worden waren. Bei einigen von ihnen stellte der Arzt so schwere Verletzungen im Intimbereich fest, die erkennen ließen, dass sie niemals eigene Kinder bekommen würden könnten. Viele von ihnen waren nicht älter als fünfzehn Jahre.

      Eines Nachmittags, als Joan mit Laila und Celia bei den Pferdeställen stand und die Pferde mit Futter versorgten, hielt ein roter Kleinwagen vor dem großen Eisentor des Geländes und begann laut zu Hupen. Erschrocken zuckten alle drei zusammen.

      „Ihr bleibt beide hier bei den Pferden“, sagte Joan zu den Mädchen und folgte der jungen Nonne, die über den Rasen gelaufen kam. Mit schnellem Schritt rannten sie den schmalen von Ästen verhangenen Weg entlang und nur das Eisentor trennte sie von dem aufgebrachten jungen Mann, dessen weißes Hemd mit Blut durchtränkt war.

      „Helfen Sie mir!“, rief er ihnen aus der geöffneten Beifahrertür zu. Ein Blick ins Wageninnere zeigte ihnen eine dunkelhaarige, junge Frau.

      Augenblicklich schloss die Nonne das Tor auf und rannte um den Wagen herum. Was sie darin erblickte, verschlug ihr die Sprache. Die junge Frau, kaum älter als sie selbst, saß bewusstlos auf dem Beifahrersitz. Der Oberkörper war voller Blut. Jemand hatte ihr mit einem Messer die Brust aufgeschlitzt.

      „Sie muss ins Krankenhaus!“, sagte Joan, die gegen ihren Brechreiz ankämpfte.

      „Dort kann sie nicht hin“, sagte der Junge, der das Mädchen offensichtlich hatte beschützen wollen, denn an seinem Arm rann ebenfalls Blut hinunter.

      „Kommen Sie... helfen Sie uns!“, forderte die Schwester ihn auf und packte die Arme des Mädchens an.

      Mit Hilfe des jungen Mannes trugen sie die Verletzte ins Kloster und brachten sie in das Behandlungszimmer, wo Schwester Ruth zu ihnen stieß, die früher als Krankenschwester gearbeitet hatte.

      „Wir haben hier nicht die Möglichkeiten, sie zu behandeln. Sie wird verbluten“, entgegnete Joan aufgeregt, da sie die Blutung nicht stoppen konnten.

      „Informieren sie den Doktor. Er muss sofort herkommen“, wies Schwester Ruth die andere Schwester an, die sogleich aus dem Zimmer eilte.

      Keine zehn Minuten später kam der alternde Arzt mit seiner Arzttasche ins Zimmer gerannt, der für jegliche ärztliche Maßnahmen gerufen wurde, und beurteilte die Schwere der Verletzung.

      „Es sieht schlimmer aus, als es ist“, sagte der Arzt und sah zu den beiden jungen Frauen auf. „Ich brauche Sie beide. Ich muss die Wunde nähen.“

      „Ich habe so etwas noch nie gemacht“, platzte Joan hervor.

      „Keine Angst, Sie werden Schwester Ruth und mir nur die Instrumente reichen. Schwester, gehen Sie sich die Hände waschen“, wandte er sich darauf an Schwester Ruth, die nickte und für einen Moment verschwand.

      „Wird Sie durchkommen?“, fragte Joan den Arzt, als sie allein waren. „Sie hat sehr viel Blut verloren...“

      „Wir werden unser Möglichstes tun“, antwortete der Arzt völlig ruhig, während er dem Mädchen ein Narkotikum spritzte. Er sah kurz zu Joan auf. „Ziehen Sie sich die Handschuhe über“, wies er sie an.

      Nachdem Schwester Ruth zu ihnen zurückgekehrt war, verdrängte Joan jegliche Gedanken an den Umstand der Verletzung und konzentrierte sich einzig auf die Anweisungen des Arztes und der Schwester.

      Auf ihrer einstündigen Heimfahrt schwiegen Joan und Rachel. Sie dachten beide an das junge Mädchen, das nach der Operation noch nicht aufgewacht war. Der Arzt hatte jedoch gemeint, dass sie es schaffen würde.

      „Du solltest dich umziehen gehen“, sagte Rachel, als sie das Auto vor dem

      Haus abstellte und einen Blick auf ihre Freundin warf. An Joans Kleidung klebte das Blut des Mädchens.

      „Oh Gott! Was ist passiert?“, fragte Brian von ihrem Anblick schockiert. „Ist euch etwas zugestoßen?“

      „Uns geht es gut, Liebling“, beruhigte Rachel ihn. „Es gab einen Zwischenfall im Kloster.“

      „Von wem ist das Blut?“

      „Es ist nicht meins, Brian“, sagte Joan und flüchtete die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Dort zog sie sich ihre Kleidung aus und stieg unter die Dusche.

      „Rachel“, sagte er mit fester Stimme. „Was ist passiert?“

      Da erzählte Rachel ihm von dem Ereignis im Kloster, Joans Einsatz bei der Operation und das das Mädchen noch nicht zu sich gekommen war.

      „Ihr werdet nicht mehr ins Kloster fahren. Es ist zu gefährlich“, erklärte er in Sorge um sie entschieden, doch als sich ihre Blicke trafen, wusste er, dass Rachel seiner Aufforderung nicht folgen würde. Sie war sich der ständigen Gefahr bewusst, der sie sich als Helferin aussetzte, aber es war nicht nur ihr Job, sondern vielmehr der innere Drang diese Frauen und Kinder vor ihren Peinigern zu beschützen. „Sei wenigstens vorsichtig“, bat Brian seine Freundin besorgt.

      „Das verspreche ich dir. Ich setze mich keiner unnötigen Gefahr aus.“

      In dieser Nacht schlief Joan kaum. Sie wurde die Bilder nicht los, sah das blutüberströmte Mädchen wieder auf dem Beifahrersitz liegen. Immer wieder sah sie das viele Blut vor sich. Es klebte an ihrer Kleidung... ihren Händen... und ihrem Gesicht. Zum wiederholten Male wachte Joan schwitzend auf und schaltete das schwache Licht der Nachttischlampe an, um so zurück in die Wirklichkeit zu gelangen.

      Der Morgen schien wie jeder andere zu sein. Nachdem Joan ihre