Heidesilber. Herbert Weyand

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Название Heidesilber
Автор произведения Herbert Weyand
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847659464



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Griet über das Brummen des Motors hinweg.

      »Ja, das haben wir doch gemeinsam ausgemacht«, Griet lümmelte in ihrer Ecke. Sie trug bequeme Klamotten. Eine weite Sporthose und ein weites Shirt. Sie hantierte mit einer Kaffeekanne.

      »Das Felsentor in diesem Bericht. Kann das nicht ein anderes sein?« Paul der Skeptiker hakte schon den ganzen Morgen nach. Manchmal ging er ihr auf die Nerven.

      »Möglicherweise gibt es ein anderes. Ich kenne jedoch nur Pont d´ Arc. Und das kommt dem keltischen Gemüt schon sehr nahe. Ein von der Natur geschaffener heiliger Ort mit Symbolik. Ich stelle es mir vor.« Sie malte mit den Händen einen Kreis. »Ein Tor in die Anderwelt. Außerdem fühle ich, dass es das Richtige ist.«

      »Wenn du es so siehst. Dieser Kendric? Weshalb erzähltest du dem Kauz nicht, dass dir die Person vertraut ist.«

      »Aus einem Gefühl heraus. Ich weiß nicht.« Sie zuckte mit den Schultern.

      »Und wann erzählst du die Geschichte weiter?«

      »Der junge Druide war aus einem persönlichen Grund auf dem Weg nach Rom. So richtig schlau werde ich noch nicht daraus. Nachdem, was Arget uns gab, suchte er einen römischen Zenturio, den er für irgendetwas bestrafen wollte. Und dann ist da noch die Sache mit der Scheibe. Sie spielt sicher auch eine Rolle. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass die Zehn Gebote oder irgendetwas aus der Bibel hier hineinspielen. Aber, im Großraum Heerlen und Aachen, etwa um dreihundert Jahre vor Christus oder noch früher – bei uns hat sich nichts Biblisches ereignet - mehr als unwahrscheinlich.«

      »Jetzt fängst du an zu spinnen. Zehn Gebote, Bibel.«

      »Nur so ein Gedanke.«

      »Mir brummt der Kopf. Jahrelang arbeite ich mit meinen technischen Einrichtungen, die ich physikalisch belege und jetzt stürmt dieser philosophische und anthropologische Quatsch auf mich ein.« Paul schielte fast entschuldigend zu ihr hinüber.

      »Und? Gefällt es dir nicht?«, sie grinste unverschämt.

      »Doch schon. Auch, wenn ich im Moment nur böhmische Dörfer sehe.«

      »Dieser Druide muss längere Zeit im Zentralmassiv verbracht haben. Dort sehen wir uns um.«

      »Haben wir keine genaueren Anhaltspunkte?«

      »Leider nicht viele. Eben nur dieses Felsentor und einen Fluss, der sich tief in die Felsen eingeschnitten hat.«

      Sie fuhren die AutoRoute du Soleil bis Montélimar und von dort über Aubenas nach Vallon Pont d´Arc. Griet begeisterte sich an der Landschaft der Provence und drehte den Kopf schneller als während eines Ballwechsels beim Tennis. Paul verbrachte vor Jahren einige Tage in dieser Gegend. In einem anderen Leben, wie ihm schien. Er erinnerte sich an eine kleine Pension. Am frühen Nachmittag fuhren sie darauf zu. Ende Juli gab es kein freies Zimmer. Nach einigen Stunden bekamen sie im Nachbarort Chandolas ein Doppelzimmer zu einem sündhaften Preis.

      Sie machten sich sofort auf den Weg zum Felsentor, das die Ardèche überspannte.

      Der vom Wasser durchbrochene Felsen und bot ein gigantisches Schauspiel. Ratlos standen sie davor. Sie besaßen keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte. Am Fluss lag ein Campingplatz, direkt an der Biegung, ungefähr hundert Meter vom Tor entfernt. Träge zog das Wasser zur Rhône und umspülte einige kleine Inseln, die sich aus dem Wasser erhoben.

      »Wir sind richtig.« Griet schaute sinnend in das fließende Nass. Sie hob ihren Kopf in Luft und blähte schnüffelnd ihre Nasenflügel, um die Spur aufzunehmen, die ihr, Sicherheit gab. »Wir müssen den Fluss ein Stück hinunter. Dort hinten zieht es mich hin.« Ihre Hand deutete auf die Felsen, die sich in ungefähr zwei Kilometer Entfernung rechts und links in den Himmel reckten.

      »Da kommst du nirgendwo mehr raus. Ich bin hier schon einmal mit dem Paddelboot heruntergefahren. Zu beiden Seiten steile Wände. Und das mehr als zwanzig Kilometer.«

      »Nenne es Intuition. Wir müssen den Fluss hinunter. Morgen früh mieten wir uns ein Boot und paddeln unserem Ziel entgegen.«

      »Bist du nicht etwas zu euphorisch?«

      »Lass mich doch.«

      Den Abend verbrachten sie im Restaurant des Hotels und versuchten, die losen Fäden zu verbinden. Es gelang ihnen nicht. Schließlich landeten sie, leicht beschwipst, in ihrem Zimmer. Linkisch stand Paul herum und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.

      »Komm schon. Wir sind keine dreizehn mehr.« Griet gab ihm einen Schubs. »Ich gehe ins Bad und mache mich Bett fein.«

      Sie ließ die Badtür offen und er hörte, wie sie sich auszog. Kurze Zeit später rauschte das Wasser der Dusche. Er spitzte die Ohren und bekam heiße Gedanken.

      »Willst du mir nicht den Rücken waschen«, schreckte ihn ihre fröhliche Stimme aus dem Traum.

      Aufgeregt stolperte er zum Bad. In einer flüssigen Bewegung riss er das Shirt herunter. Tatsächlich wie ein Dreizehnjähriger, schoss ihm durch den Kopf.

      *

      Griet lag, mit einem glücklichen satten Lächeln auf den Lippen, in seinem Arm. In der vergangenen Stunde erforschten sie ihre Körper und stellten fest, dass die nunmehr rote Narbe des Messerstichs der Belastung des Liebesspiels standhielt.

      »Schön«, wisperte Griet leise. »Jetzt erzähle ich die Geschichte weiter. Doch sie wird anders, als die, die ich beim Beginn meiner Erzählung im Kopf hatte. Es sind so viele Fakten hinzugekommen.«

      »Du glaubst die Geschichte tatsächlich«, stellte er verwundert fest, während sein Daumen sanft über die verheilende Narbe strich.

      »Zweifelst du daran?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe eine ungefähre Ahnung, wie das damals abgelaufen ist.«

      *

      Fassungslos stand Kendric vor der Asche der Siedlung. Die Ahnung hatte ihn nicht betrogen. Vor ihm lag ein grauenhaftes Schlachtfeld. Die Natur nahm keine Notiz davon. Vögel jubilierten, die Freude in den Himmel und die Blätter sangen ihr ewig friedliches Lied. Dennoch, die Menschen, für die Kendric die Verantwortung trug, lagen niedergemetzelt in der Gegend. Er stolperte fassungslos und mit halb blinden Augen durch den Ort des Grauens. Ab und zu starrte ihn ein Rabe oder eine Krähe mit kalten Augen an, um dann träge und vollgefressen, davon zu schwingen.

      Da lag Bronwyn, geschändet und mit durchtrennter Kehle. Ihre Arme wiesen anklagend in den Himmel. Das Gesicht zerstört und schrecklich verzerrt. Die nackten Beine und der Schoß boten sich ihm obszön dar. Mit einem Aufschrei stürzte er nieder, zog ihr die Kleidung über die Blöße und bettete den Kopf in seinen Schoß. Das Blut beachtete er nicht. Sanft wiegte er den Leichnam. Er erzählte unsinnige Geschichten und flüsterte die vielen Koseworte, die sie in ihrem kurzen gemeinsamen Leben miteinander geteilt hatten. Nach langer Zeit erwachte er aus der Erstarrung und schritt den Friedhof ab. Die furchtbare Metzelei rumorte in den Därmen und Galle stieg bitter hoch.

      Weshalb taten Menschen anderen Menschen so etwas an?

      Endlich fand er Cedric. Der gespaltene Kopf des Jungen sah grässlich aus. Die kleinen Gliedmaßen hingen mehrfach gebrochen in verzerrter Anordnung neben dem Körper. Ein unmenschlicher Schrei entfloh Kendrics Lippen. Sein Verstand machte sich auf den Weg in immerwährende Dunkelheit. Kendrics Seele zerbrach.

      »Vater«, schreckte ihn Alaynas dünne Stimme aus der Finsternis. Schluchzend packte er die Tochter, die mit angsterfüllten weit aufgerissenen Augen vor ihm stand. Das Grauen stand in ihnen. Kendric umfasste sie fest mit beiden Armen.

      »Was ist geschehen?« Die Worte kamen mühsam und krächzend über die Lippen.

      »Römer. Es ging so schnell. Wir bekamen keine Chance.«

      »Aber weshalb?«

      »Sie suchten dich. Sie haben unsere Freunde, bevor sie, sie umbrachten, nach dir gefragt.«

      »Ich habe nichts getan, womit ich so etwas herausforderte.«

      »Sie