Heidesilber. Herbert Weyand

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Название Heidesilber
Автор произведения Herbert Weyand
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847659464



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so schlimm.« Paul fuhr hoch, wie eine Rakete. »Der hätte mir mitten durch den Kopf schießen können.«

      »Hat er aber nicht«, gab Griet lakonisch zurück. »Wir brauchen einen Plan.«

      »Was für einen Plan? Die sind hinter uns her, weil sie deine Scheibe wollen. Wir wissen nur, dass dein beknackter Kollege und noch so ein dämlicher Armleuchter auf uns geschossen haben. Was willst du da planen?« Er richtete sich vollends auf und ging zum Weg zurück.

      »Wo willst du hin?«

      »Nach Hause. Ich habe die Schnauze voll.«

      »Und dann?«

      »Schließe ich mich drei Wochen ein. Dann haben die mich vergessen.«

      »Und ich? Willst du mich jetzt allein lassen?«

      »Wir sind nicht verheiratet«, brüllte er grimmig und genervt. »Ich bin nicht für dich verantwortlich.«

      »Ook als we getrouwd waren, zou ik voor mijzelf verantwoordelijk zijn. Onthoudt dat goed (auch, wenn wir verheiratet wären, wäre ich für mich verantwortlich. Schreib dir das hinter deine Ohren)«, gab sie ebenso laut zurück und verfiel ins Holländische.

      »Na dann ist das ja klar«, sagte er ruhiger zu ihr. »Was willst du dann von mir?«

      »Blöde Frage. Ich brauche deine Hilfe.«

      »Wobei? Bei deinem Selbstmord?«

      »Ach, je kunt me wat (Ach, rutsch mir doch den Buckel herunter).« Griet ging in den Wald zurück.

      Unschlüssig beobachtete Paul den Abgang. Sollte er sie ins offene Messer laufen lassen?

      »Warte. Ich komme mit.« Er stapfte unmutig hinter ihr her. »Du hast schon zig Mal alles durchkämmt. Was willst du noch finden?«

      »Das haben wir jetzt schon oft genug besprochen. Was ist los mit dir?«

      »Ich habe keinen Bock mehr.«

      Griet blieb stehen und drehte sich ihm zu. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie ihn. Ein nachdenklicher Ausdruck trat in ihre Augen. Sie fasste ihn am Arm.

      »Also gut. Gehen wir zurück. Wir können auch später wieder zu dem Grab gehen.«

      Willig folgte er ihr in Richtung Heideparkplatz. An der großen Pfütze in der Senke zeigte er in den Weg, den Anstieg, an dem früher Hochspannungsmasten standen.

      »Wir gehen am besten hier hoch. Wir lassen den Heideparkplatz links liegen.«

      »Gut.«

      »Hier bin ich in meiner Jugend mit dem Pferd hochgebrettert.« Er versuchte, die Stimmung zu lockern, während sie die Steigung nahmen. »Oben war der Weg eines Tages weggebrochen, weil dort Kies abgebaut wurde.«

      Griet reagierte nicht. »Dann rutsch mir doch den Buckel herunter«, brummelte er und stapfte von nun an drei Schritte vor ihr.

      Eine Dreiviertelstunde später standen sie in Pauls Küche. Nachdem sie gemeinsam den Kaffee zubereitet hatten, saßen sie am Tisch. Paul stierte auf die Tasse und Griet musterte ihn unter ihren Wimpern hindurch.

      »Willst du ein Foto? Oder weshalb beobachtest du mich?«

      Sie grinste, beugte sich vor und legte die Arme auf den Tisch.

      »Kommst du wieder zu dir?«

      »Mensch. Es ist mir nicht einmal peinlich. Ich hatte und habe unheimliche Angst.«

      »Ich auch.«

      Paul sah hoch und versank in ihren grauen Augen. Kleine goldene Pünktchen tanzten dort herum. Sie kräuselte die Lippen. Unwillkürlich machte er die Bewegung mit seinem Mund nach. Schnell trank er einen Schluck Kaffee.

      »Hast du das vorhin mitgekriegt? Die Scheibe soll ein Schlüssel zu großer Macht sein. Sie hängt irgendwie mit der keltischen Anderwelt zusammen.« Griet zog ihre Augenbrauen hoch, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.

      »Habe ich mitbekommen. Die Anderwelt ist doch ein physikalischer Raum?«

      »Raum? Ich weiß nicht. Ist sicherlich nicht der richtige Begriff. Die Anderwelt ist oder war eine Welt in dieser Welt. Die Kelten kannten keine Geister oder solche Begriffe. Seelenwanderung war für sie unbekannt. Sie lebten einfach weiter. Vielleicht parkten sie in der Anderwelt. Ich weiß es nicht. Es ist so schwer, zu verstehen.«

      Paul stand auf und drehte nachdenklich eine Zigarette.

      »Es muss schön sein, in dem Bewusstsein zu leben, dass man einfach weiterexistiert.«

      »Ja. Im Grunde genommen hätte man ein tolles Gefühl. Du hast mir von deiner Krankheit erzählt. Die scheint doch geheilt oder gestoppt. Weshalb verlierst du dich immer wieder in deinen Ängsten? Jetzt suchst du auch wieder einen Halt. In der Anderwelt. Du bist subjektiv. Lebe im Jetzt!«

      Erstaunt sah er sie an. Der Themenwechsel kam überraschend. So gut und solange kannten sie sich nicht.

      »Ich und subjektiv. Du spinnst ja.«

      »Klar, ich spinne. Aber du lebst, oder was? Das, was du Leben nennst, ist Vegetieren in einer Höhle. Du kommst doch nicht raus. Du schaffst dir deine persönliche Hölle, deine eigene Anderwelt.«

      »Du siehst doch, was man davon hat. Wenn ich mal vors Loch komme, werden Leute abgestochen oder überfallen und es wird auf einen geballert. Dann bin ich lieber hier und habe meine Ruhe.«

      »Paul. Überlege dir, was du willst. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen.« Sie sah ihn gespannt an.

      »Du hast ja recht. Ich kapsele mich zu sehr ab. Es ist schwer, über den eigenen Schatten zu springen.«

      »Komm, gib dir einen Ruck«, bittend schaute sie ihn an. »Es geht nicht nur um mich, es geht auch um dich.«

      »Also gut«, entschied er. »Aber nur, wenn ich noch einmal nach deiner Wunde sehen darf.« Er grinst unergründlich.

      »Die ist doch schon verheilt. Ach so …«. Sie schlich, wie eine Katze, auf ihn zu und legte die Arme um den Hals. »Dazu brauchst du keine fürsorglichen Gründe vorzuschieben.«

      Sie küsste ihn unerwartet leidenschaftlich und presste ihren Körper gegen den seinen. Er packte fest zu und die Hände glitten zu ihren Pobacken, nach denen ihm, schon seit Tagen die Finger standen. Er spürte ihre Brüste und Schenkel. Eine schon länger vergessene Körperregion erwachte zum Leben und pulsierte fordernd. Sie ließen ihren Gefühlen minutenlang freien Lauf.

      Kurz bevor die Erregung den Höhepunkt erreichte, drückte Griet ihn weg.

      »Hier machen wir Pause«, sagte sie leise.

      »Schon?«, nuschelte er an ihren Lippen. »Ich könnte etwas mehr vertragen.«

      »Ich auch.« Sie streichelte seinen Nacken. »Aber ich brauche noch etwas Zeit. Wir werden alles nachholen.«

      »Versprochen?«

      »Versprochen!«

      *

       acht

      

       Griet erzählt:

      Von den Stämmen erreichten sie Gerüchte, dass Fremde in die Wälder eindrangen und ihrer Niederlassung näherkamen. Schon seit der Kindheit und Jugend wusste Kendric, dass Soldaten, die sich Römer nannten, in die Gebiete der Kelten einfielen. Sie zerstörten zunächst die Siedlungsplätze der Stämme und bauten ihre Steinhäuser dorthin. Doch nach und nach verschonten sie die Dörfer und trieben mit den Kelten Handel. Kendric traute dem Frieden nicht. Das belegte auch die Unruhe, die ihn mit den Nachrichten befiel.

      In den zehn Jahren, die er mittlerweile am Hang des Hügels wohnte, vergrößerte sich das Dorf stetig. Eine Handelsstraße lief in der Nähe vorbei und stärkte die Bedeutung der Siedlung.

      Kendric war er