Heidesilber. Herbert Weyand

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Название Heidesilber
Автор произведения Herbert Weyand
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847659464



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      »Wer war der Anführer?«

      »Lucius, wenn ich es richtig verstanden habe. Ein großer dämonischer Mann. Er agierte unheimlich brutal und schlug Cedric immer wieder gegen den Baum. Aber er spürte keine Schmerzen. Ein Soldat verletzte ihn zuvor mit einem Schwert am Kopf.«

      »Und du? Hast du dich versteckt?«

      »Nein überhaupt nicht. Ich stand an der Hütte. Niemand beachtete mich. Eine Lähmung überfiel mich. Ich konnte den anderen nicht helfen.« Sie brach in Tränen aus.

      Kendric strich ihr über den Kopf. »Es ist gut so. Jetzt habe ich wenigstens noch dich. Ich werde diesen Lucius verfolgen, bis an das Ende der Tage.« Er hob die Arme gen Himmel und die Augen glühten wie brennende Kohle. Er schien zu wachsen. Unbestimmbare Macht ging von ihm aus.

      Die nächsten Tage verbrannten sie die Leichen, gemäß den vorgegebenen Riten und bestatten die Urnen. Viel gaben sie den Toten nicht mit auf ihrem Weg zur Anderwelt. Die Römer hatten alles geplündert.

      Nach der Bestattung der Toten versank Kendric tief in seine Gedankenwelt. Er brütete über Rachegedanken und malte immer neue Bilder, wie er den Römer Lucius hinrichten würde. Alayna nahm er nicht mehr wahr. Seine Welt war nun eine andere. Er führte lange gedankliche Gespräche mit Bronwyn und Cedric.

      Nach endloser Zeit erwachte er aus der Lethargie und sah Alayna an. Sie hatte ihm ein Lager gerichtet und sorgte dafür, dass er mit allem, was er zum Leben brauchte, versorgt wurde. Tiefe Scham erfüllte ihn. Was für ein Vater war er? Anstatt für seine Tochter zu sorgen, versank er in Mitleid und brütete dunkle Gedanken. Der Aufenthalt an diesem Unglücksort bekam ihm und Alayna nicht. Sie gaben die Siedlung auf.

      Kendric zog mit Alayna zur alten Heimat und durchdachte drei Jahre den Racheplan. Aus dem stolzen Druiden wurde ein gebrochener, verwahrloster Mann, der nur dank seiner Tochter nicht verhungerte. In den wenigen klaren Augenblicken, die er hatte, übermannte ihn Scham und trieb ihn wieder in die Depression zurück.

      Alayna hingegen bemühte sich, ihn aus dem dunklen Gefängnis zu befreien. Es dauerte bis zum Beginn des dritten Sommers nach der Ermordung ihrer Familie und Nachbarn. Er stand frisch gewaschen vor der baufälligen Hütte, die sie abseits des Dorfes bewohnten, weil die Menschen ihn fürchteten. Graue Fäden durchzogen das Haar und den Bart. Die blauen Augen musterten sie klar aus dem hohlwangigen Gesicht.

      »Alayna. Ich gehe für lange Zeit von hier weg«, begann er das Gespräch. »Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. In deinem Alter solltest du frei sein. Jetzt erst sehe ich, wie selbstsüchtig ich dir gegenüber handele. Du hast die Mutter und den Bruder verloren. Ich verstehe nicht, wie ich das vergaß. Du bleibst bei unseren Verwandten.« In ein oder zwei Jahren, konnte sie einem Mann zur Gefährtin gegeben werden.

      »Ich gehe mit dir. Meinst du, ich wüsste nicht, was du zu tun beabsichtigst? Du willst Mutter und Cedrick sowie die Menschen unseres Dorfes rächen.« Ihre blitzenden Augen schossen wütende Pfeile. So wie jetzt sah sie aus, wie einst Bronwyn. Eine weit über ihr Alter hinaus, selbstsichere Person. »Ich besitze das gleiche Recht wie du.«

      Er gab die Hoffnung auf, es ihr auszureden. Außerdem entschieden die Frauen frei, da hatte sie schon recht. Es bestand kein Unterschied zu den Männern.

      »Gut. Wir brechen in zwei Tagen auf. Die Jahreszeit ist günstig. Die Natur erwacht und wir gehen der Wärme entgegen.«

      Sie wanderten gemächlich, nur mit dem Nötigsten ausgestattet, früh morgens los. Ohne Bedauern nahmen sie Abschied. Ihre Wurzeln lagen woanders. Nach einem Mondumlauf lag der Ort der zerstörten Siedlung vor ihnen. Die Natur hatte das ihre getan und die Spuren der Anwesenheit von Menschen an diesem Ort getilgt. Selbst seine Hütte, die das Massaker verschonte, existierte nicht mehr.

      »Die Natur hat sich wiedergeholt, was ihr gehörte. Es ist, als wenn wir nie hier gewesen wären«, sagte Kendric wehmütig zu Alayna.

      »Alles wird wiedergeboren. Wir erneuern uns immer wieder«, antwortete sie ihm, wie sie es gelernt hatte, und wandte sich ab. Sie ertrug den Schmerz in seinen Augen nicht.

      Er hielt sie am Arm zurück. »Hier ist jemand«, flüsterte er. Blitzschnell bewegten sie sich und veränderten ihre Haltung. Sie verschmolzen mit der Natur.

      »Ich hörte doch Stimmen.« Die ungewöhnlich laute Stimme, in einer fremden Umgebung, zeugte von Germanen, vielleicht Kelten – auf keinen Fall Römer. Die Fremden kamen näher. Zwei große, blonde Männer und ein Dritter, ein gutes Stück kleiner und mit dunklem Haar, trampelten auf die Lichtung.

      »Hier ist niemand«, sagte einer der Hünen.

      »Verlasst euch nicht auf eure Augen, sondern auf eure Sinne«, mahnte die Stimme aus dem Gestrüpp.

      Gleichzeitig gingen die drei in Abwehrstellung. Aus den Farben der Natur traten Kendric und Alayna, wie Schemen, hervor.

      »Mutter Erde heißt euch willkommen«, gebrauchte Kendric die rituellen Worte der Stämme.

      »Die Große Mutter dankt euch«, erwiderte Knut, der kleinere und wohl auch ältere der drei Männer. »Ich bin Knut und dies meine Brüder Konrad und Kunolf.«

      Kendric stellte sich und seine Tochter vor. Mit einer einladenden Geste zeigte er auf den Sandstreifen vor dem Hügel.

      »Nein. Kommt mit uns. Dort hinten«, Knut neigte das Haupt zum Wald, »haben wir einen Unterschlupf eingerichtet.«

      Dankend beugte Kendric den Kopf und folgte den Germanen. Knut, schien der Anführer der drei Teutonen zu sein. Die gedrungene kräftige Gestalt und die sympathischen Gesichtszüge strahlten Selbstbewusstsein und Gelassenheit aus, wie sie der Druide bisher bei noch niemandem gesehen hatte. Lichte blaue Augen nahmen alles auf und klarer Verstand setzte die visuelle Sicht in Gedanken um. Die beiden Brüder bildeten einen Gegensatz und glichen sich, wie ein Haar dem anderen. Groß, noch ein wenig größer als er und von anderem Naturell. Sie nahmen die Welt, wie sie, sie vorfanden und vermieden weitere Gedanken, die über die Jagd und das Essen hinausgingen. Lebensfreude sprühte aus jeder Pore ihrer Körperhaltung. Sie nahmen Alayna sofort in die Mitte und plapperten mit ihr um die Wette.

      »Woher kommt ihr?«, fragte Knut den schlanken Druiden, der ihn, wie seine Brüder, überragte. Im Alter kam er ihm am nächsten. Also Anfang dreißig.

      Kendric zeigte nach hinten. »Von da. Aber ich wohnte früher schon einmal hier. Die Römer zerstörten die Siedlung und ermordeten meine Frau und meinen Sohn.«

      »Es tut mir leid. Ja. Ich sah die Reste der Häuser und die Gräber. Doch, bei der Großen Mutter, ich weiß nicht, wann das gewesen sein soll. Ich rastete schon einmal mit meinen Brüdern hier. Hier standen lediglich Bäume. Und jetzt …?«

      Kendric musterte ihn von der Seite. Er spürte eine Seelenverwandtschaft.

      »Dann musst du Kind gewesen sein. Dreizehnmal nahm die Natur ihren Lauf, seit ich hier mit meinem Stamm die Siedlung gründete.«

      In Knuts Gesicht arbeitete es. Widerstreitende Gefühle zeichneten sich ab. Er blieb stehen und blickte tief in Kendrics Augen. Er schien dem Druiden ins Herz zu sehen.

      »Dann ist es tatsächlich geschehen.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Meine Brüder verstehen es nicht. Sie wollen es nicht wahrhaben. Um bei deinen Worten zu bleiben, sind für mich fünf Wachstumsperioden vergangen, seit ich zum ersten Mal an diesen Ort hier besuchte. Damals lebte Nervier bei uns. Ein Belge ... glaubte ich zumindest. Ja. Und dann geschah etwas.« Er wusste nicht, ob er fortfahren sollte.

      Kendric schwieg. Er unterbrach den Erzählenden nicht.

      »Du hast die Höhle entdeckt? Ich spüre es«, fuhr Knut fort. »Dort verschwand Nervier. Einfach vor meinen Augen. Und wir? Wir lebten nicht mehr in unserer Zeit. Früher oder später? Ich weiß es nicht. Meine Brüder, die zwei großen Kinder dort«, er wies auf Kunolf und Konrad, »wollen es nicht wahrhaben. Sie verstehen nicht, dass sich die Zeit und die Begriffe verändert haben.«

      »Zwischen den Welten geschehen viele Dinge, die wir