Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand. Jannik Winter

Читать онлайн.
Название Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand
Автор произведения Jannik Winter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742706911



Скачать книгу

wie siehst du das?«

      »Wie sehe ich was?«

      Braves Mädchen. Mit solchen Gegenfragen bekommt man einen Kommissar ganz schnell in die Klapse.

      »Die Frage war, ob es möglich sein kann, dass deine Mutter einen Geliebten hat. Vielleicht eine geheime Beziehung oder etwas Ähnliches?«

      »Warum denn das? Sie haben doch gehört, meine Eltern lieben sich so furchtbar.«

      Das war jetzt deutlich zu dick aufgetragen. Außerdem klang ihre Stimme nicht überzeugend. Eher wie: »Sie wollen mir weismachen, das Nokia 3310 wäre besser als mein iPhone 8?«

      Der Kommissar öffnet die rechte untere Schublade. Sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er dort die geheimsten Dokumente aufbewahrt, doch es wird nur ein einziges Blatt. Er legt es umgedreht auf den Tisch, will mich damit nervös machen. Ha, bei einem Unschuldigen funktioniert das nicht. Nur Miriam rutscht unruhig hin und her. Weiß sie mehr als ich? Deshalb sieht er sie besonders scharf an.

      »Du bleibst also dabei, dass dir eine Liebesbeziehung deiner Mutter unbekannt ist? Und Sie, Herr Rohwinkel, wissen auch nichts von einem Geliebten?«

      »Ich verbitte mir solche Unterstellungen. Allein das Wort ›Geliebter‹ hört sich aus Ihrem Mund unanständig und falsch an. Wenn ich Ihnen sage, es gibt da nichts, dann ist das so. Basta.«

      Er schaut meine Tochter schon wieder so durchdringend an. »Du weißt, dass du hier bei der Wahrheit bleiben musst.« Sie hat leider für so einen Schwachsinn keine Zeit, denn es hat erneut Ping gemacht.

      »Oh, die Alte nervt. Da geh ich nicht dran. Was sagten Sie noch mal, wobei soll ich bleiben?«

      Jetzt hat sie die Spielregeln kapiert. Bald haben wir ihn so weit und er wird zu seinen Pillen greifen, zu den grünen.

      »Nun gut. Dann verraten Sie mir bitte, was Sie auf diesem Bild erkennen.«

      Er dreht das Blatt um.

      Der Begriff ist nicht oft angebracht, außerdem klingt er ordinär und unanständig. Aber jetzt wäre ›heilige Scheiße!‹ der passende Ausdruck. Meine in mühevoller Schweißarbeit zerrissenen Schnipsel wurden sorgfältig zusammengeklebt. Für so etwas gibt es spezielle Software, habe ich gelesen. Die Schredderdokumente der Stasi haben die sogar wieder zusammengeflickt. Aber das Foto so zu behandeln ist eine Unverschämtheit. Und woher hat er das überhaupt? Das lag in meinem privaten Mülleimer. Illegal beschaffte Beweismittel sind das. So etwas ist verboten. Glaube ich jedenfalls. Jetzt heißt es, ruhig zu bleiben.

      »Keine Ahnung. Ich erkenne da nichts. Das ist ja komplett in Fetzen. Wer zum Henker soll aus dem Wirrwarr was deuten können?«

      Er nickt, also habe ich recht. Hoffentlich kann Miriam diesmal ihre vorlaute Klappe halten. Sie kann.

      »Ich sehe auch nichts. Was soll das denn sein?«

      »Nun, lassen Sie es mich so ausdrücken. Meine drei Kollegen und ich sind uns hundert Prozent einig, dass es sich hier um Ihre Frau Bettina handelt. Das, was die beiden auf dem Foto durchführen, wird im Fachlexikon für sexuelle Praktiken als ›Coitus a Tergo‹ bezeichnet. Den deutschen Begriff Hündchenstellung halte ich dagegen für ordinär. Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie mir jetzt noch den Namen des jungen Mannes auf dem Bild nennen könnten. Wie gesagt, wir ermitteln in alle Richtungen. Sie möchten doch Ihre Frau und du deine Mutter wiederhaben, oder?«

      Miriam ist schneller als ich.

      »A Tergo heißt das? Ist ja krass.«

      So, jetzt bin ich dran.

      »Ich weiß nicht, woher Sie das haben, aber Bettina kann das auf den Schnipseln unmöglich sein. Das liegt ausschließlich daran, dass ihr so viele ähnlich sehen. Gehen Sie doch nur einmal durch die Stadt, halten das Blatt hoch und fragen, ob jemand sie erkennt. Dann bekommen Sie spielend hundert Frauen zusammen.«

      »Wir haben das Bild aber nicht aus der Stadt, es lag vor Ihrem Haus in Ihrer Mülltonne.«

      Dürfen die das? Zugegeben, ich hätte das Foto doch runterschlucken sollen. Das hatte ich ja versucht, sogar noch, als die Zunge von der scharfen Kante blutete. Aber ich bekam ein Würgegefühl und habe es dann aufgegeben. Jetzt fällt mir wieder ein, dass die natürlich immer in der Mülltonne rumwühlen. Meine stille Hoffnung bestand darin, dass es durch ekelige Küchenabfälle ausreichend abgedeckt wäre. Mist, ich hatte vergessen, dass Betti nicht da war und die harten Pizzaränder immer noch in der Küche herumgammeln.

      »Die Mülltonne ist frei zugänglich. Jeder kann das da reingeworfen haben. Ein Pornofoto aus dem Internet, das jemand loswerden wollte. Oder so.«

      Jetzt nickt sogar Miriam.

      »Wir haben auf dem Bild Fingerabdrücke von drei Personen gefunden. Und Blutspuren. Wir möchten ausschließen, dass es Ihre sind. Den Fall einer vermissten Ehefrau nehmen wir genauso ernst wie Sie. Deswegen wird es Ihnen sicher nichts ausmachen, uns Ihre Abdrücke als Vergleich zu überlassen. Eine Speichelprobe für den DNA-Abgleich ist ebenfalls Standard.«

      Miriam rutscht tiefer in den Stuhl und tippt wie verrückt auf dem Handy, das sie verkehrt herum hält. Da ich ein absolut reines Gewissen habe, kann er die Abdrücke ruhig nehmen.

      »Aber klar doch, ich mache ja alles mit. Nur finden Sie dann bitte Betti. Wir vermissen sie sehr.«

      Habe ich da von Miriam einen ungläubigen Blick geerntet? Das mit dem Vermissen stimmt tatsächlich. Noch heute Morgen hat sie es mir gestanden.

      »Wann kommt Mama endlich nach Hause? Dein Müsli ist voll ekelig. Igitt, Rosinen? Du weißt doch, dass ich die hasse wie die Pest.«

      Weil ich absolut unschuldig bin, können sie mir auch nichts nachweisen. Sie dürfen von mir aus alle Proben nehmen, die sie benötigen. Dieser hartnäckige Kommissar deutet auf das Foto, das wie eine Anklageschrift vor ihm auf dem Schreibtisch liegt.

      »Sehen Sie bitte noch einmal genau hin. Das Bild wurde mit einem Teleobjektiv durch ein Fenster in einem Raum mit Bett aufgenommen. Kann es sein, dass es Ihr Schlafzimmer ist?«

      »Nie und nimmer. Wer zum Henker sollte das machen? Warum auch? Und so komische bunte Bettwäsche haben wir sicher nicht. Wenn Sie mich fragen, das wurde in irgendeinem billigen Pornostudio gedreht. Nein, so einen Schmutz lassen wir uns nicht unterjubeln, Herr Kommissar.«

      Er macht mit dem Bleistift in den gezeichneten Kreis einen dicken Punkt. Dabei ist ihm die Bleistiftspitze abgebrochen und er pustet die Brösel vom Tisch. »Gut, zur Sicherheit müssen wir noch einmal Ihre Wohnung besichtigen. Machen Sie sich keine Sorgen, das ist eine Routineprozedur.«

      »Im Keller ist sie nicht, falls Sie das meinen, da habe ich schon nachgesehen. Sogar die Auszugsleiter zum Dachboden bin ich hochgestiegen. Mit Taschenlampe. Sie suchen am falschen Ort, bei uns gibt es nicht das kleinste Fitzelchen eines Beweises.«

      Glaube ich jedenfalls. Aber er hört sowieso nicht hin.

      »Und den jungen Mann auf dem Bild kennen Sie mit Sicherheit nicht?«

      Er schwenkt das Foto so dicht vor meiner Nase, dass ich zurückzucke. Miriam muss wenige Sekunden später eine ähnliche Tortur ertragen. Dabei schüttelt sie heftig mit dem Kopf und das Handy fliegt ihr aus der Hand. Aber ich darf dem Kommissar ruhig etwas zum Nachdenken dalassen.

      »Doch, jetzt wo Sie es sagen. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Til Schweiger. Bettina kann sich über seine Filme totlachen.«

      Der Kommissar hebt den Zeigefinger und sieht mich vorwurfsvoll an.

      »Haben Sie soeben ›totlachen‹ gesagt? Soll das etwa ein Hinweis sein?«

      Er kritzelt erregt auf dem Zettel herum. Ausgerechnet jetzt kann ich nichts erkennen, denn er hält die Hand davor.

      »Sie sorgen sich auf eine sehr merkwürdige Art um Ihre Frau. Was das zu bedeuten hat, finde ich noch heraus.«

      Oha. Bei ihm muss ich wohl jedes Wort auf die Goldwaage legen. Aber totgelacht hat sich Betti bestimmt nicht.