Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand. Jannik Winter

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Название Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand
Автор произведения Jannik Winter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742706911



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anders aus. Miriam hat ihn ja auch nicht erkannt. Wie gesagt, meiner Betti vertraue ich absolut. Niemals würde sie …«

      Weshalb droht er mit dem Finger?

      »Ach, und wieso haben Sie dann das Foto zerrissen und in den Mülleimer geworfen?«

      »Wie gesagt, ich war das nicht. Das Bild habe ich vorher noch nie gesehen. Wie es in die Tonne gekommen ist, weiß ich auch nicht.«

      Kommissar Muckel ist so viel Ehrlichkeit nicht gewohnt, deshalb sieht er mich erstaunt an.

      »Das kann nicht sein. Irgendetwas ist dann falsch gelaufen. Auf dem Blatt befinden sich Ihr Blut und Ihre Fingerabdrücke. Ihre Tochter hat das auch angefasst. Und eine dritte Person. Wer die ist, wissen wir noch nicht. Haben Sie etwa das Foto versehentlich aufgehoben und können sich nicht mehr daran erinnern?«

      Will er mich jetzt verarschen? Aber Fingerabdrücke? Blutspuren? Wie war das noch mal?

      »Das muss alles ein großer Irrtum sein. Na gut, ich hab das Blatt gefunden und für einen Scherz gehalten. Aber meine Frau würde niemals …«

      »Niemals mit ihm? Dieser Student Tobias Kramp sieht doch sympathisch und attraktiv aus? Da verstehe ich Ihr ›niemals‹ nicht. Und jetzt kann sie es auch nicht mehr. Sie ist ja verschwunden und er hier. Das heißt, er war hier. Haben Sie eventuell eine so starke Abneigung gegen Herrn Kramp entwickelt, dass Sie ihm was angetan haben? Er liegt nämlich schwer verletzt auf der Intensivstation. Es war ein Verkehrsunfall.«

      »Das ist … das sind unverschämte Unterstellungen. Wir sind friedliche Bürger. Wir betrügen nicht, entführen nicht die Ehefrau und fahren keine Leute über den Haufen. Hier in der Straße sind wir mit Sicherheit die anständigste und gesetzestreueste Familie.«

      »Ah, jetzt, wo Sie das Wort ›Gesetz‹ angesprochen haben, fällt es mir wieder ein. Im Schlafzimmerschrank haben wir siebzig Gramm Kokain und über zweihundert Pillen Amphetamin und Methamphetamin gefunden. Das ist verboten. Mindestens ein Mitglied Ihrer anständigen Familie ist ein krimineller Drogendealer. Ich weiß nur noch nicht, wie das mit der Entführung zusammenhängt. Merkwürdige Vorkommnisse sind das in diesem Haus. Wenn ich in Ihr Gesicht sehe, erkenne ich darin den Satz ›Davon hatte ich keine Ahnung‹. Höre ich jetzt eine ähnliche Phrase?«

      »Das ist, das ist … von Drogen hatte ich keinen blassen Schimmer. Ich schwöre. Das muss uns jemand untergeschoben haben. Ja, genauso ist das. Die Entführer haben Betti mitgenommen, und um eine falsche Fährte zu legen, haben sie das Zeug hier versteckt. Ha! So, Herr Kriminaloberkommissar, jetzt sind Sie dran. Finden Sie gefälligst meine Frau und buchten Sie diese Verbrecher ein.«

      Das scheint er nicht zu planen, sondern er sieht mich weiterhin scharf an.

      »Wo wir gerade bei Verbrechern sind, Ihre Nachbarin hat das Protokoll unterschrieben. Sie haben Todesdrohungen gegen Ihre Frau und deren Liebhaber Tobias Kramp aus dem Fenster geschrien. Ich zitiere: ›Ich bring die Schlampe um, ich erwürg sie, ich knall sie ab! Und ihn leg ich gleich mit um. Ihr seid beide tot. Geschichte, Abfall, Sondermüll!‹ Das wurde von zwei Zeugen bestätigt.«

      »Ach ja? So genau weiß ich das nicht mehr. Vielleicht meinte ich damit denjenigen, der mir das Pornofoto untergeschoben hat. Aber ich bringe doch deswegen niemanden um. Wie gesagt, zwischen Betti und mir herrscht ein außerordentlich harmonisches …«

      Bisher war ich der Ansicht, der Kommissar hätte Verständnis für meine verfahrene Situation. Da habe ich mich wohl geirrt, denn er blickt hinterhältig. Und fragt auch so. »Und Ihre Nachbarin haben Sie nicht mit der Kettensäge bedroht?«

      Als Angeklagter darf man lügen und das mit der Kettensäge braucht er nicht zu wissen. Allerdings, wenn die blöde Kuh damals neben mir gestanden hätte, dann …?

      »Niemals. Ich war in meine Arbeit an den Sträuchern vertieft. Da hat sie irgendetwas geschrien, das ich nicht verstehen konnte. Der Motor ist ja auch ziemlich laut. Es kann sein, dass ich das Ding versehentlich hochgehalten habe. Aber damit gedroht? Ich doch nicht.«

      »Sie sind also nicht gewalttätig?«

      Jetzt will er mich aufs Glatteis führen. Beweise, Herr Kommissar. Kettensäge reicht da nicht, die hat hier jeder in der Straße.

      »Iwo. Ich bin der friedfertigste Mensch, den Sie sich vorstellen können. Durch und durch Pazifist. Ich verabscheue alle Formen der Gewalt.«

      Muckel nickt mir zu. Also habe ich mein überzeugendes Reden immer noch voll drauf. Wieso hebt er dann den Zeigefinger?

      »Im Keller haben wir mehrere Videokassetten entdeckt. Ich lese Ihnen mal die Titel vor. Einmal haben wir hier das Video ›Bloody Killermaniac‹. Das nächste Exemplar nennt sich ›Zerstückelt im Wald verscharrt‹. Dann erkenne ich auf der dritten Kassette ›Bei ihr hilft nur die Kettensäge‹. Für mich klingt das nicht besonders friedfertig. Und Kettensäge? Irgendwann habe ich das Wort in Zusammenhang mit Ihnen schon mal gehört. Haben Sie uns zu den Titeln etwas zu sagen?«

      »Hahaha, die uralten VHS-Kassetten. Da werden Sie es schwer haben, dafür noch einen Rekorder zu finden. Sie glauben doch wohl nicht …? Das ist ja geradezu lachhaft. Nein, die Bänder sind aus meiner Studienzeit. Damals fanden wir solche Filme toll. Das war weit vor Betti und ich weiß nicht, wieso die noch im Keller liegen. Aber hallo? Das sind keine brutalen Videos, die sind zum Lachen. Splatter-Humor haben wir das genannt.«

      Wow, als Dank für meine Erklärungen bekomme ich ein dickes Ausrufezeichen in seine Schmierkladde.

      »Gruselhumor? Sie finden es also witzig, eine Frau mit der Kettensäge zu zerstückeln und die Leichenteile dann im Wald zu verscharren?«

      Ups, da war ich wohl etwas zu mitteilsam.

      »Nein, nein, so ist das nicht. Die Filme sind ganz anders. Wenn er noch da ist, leihe ich Ihnen gerne den VHS-Rekorder aus.«

      »Wir gehen bei der Spurensuche gründlich vor. Wir haben im Wäschebehälter ein Herrenhemd mit Blutflecken gefunden. Wenn das Blut von Ihrer Frau stammt, brauche ich mir die Videos nicht anzusehen. Und wir werden sicherlich noch mehr Beweise finden.«

      Er klappt sein Heft zu. Dann ist er wohl mit mir fertig. Und ich mit ihm.

      »Hier in meinem Haus? Lachhaft. Ich sage Ihnen, Sie suchen an der komplett falschen Stelle.«

      Ich erkenne eine gewisse Befriedigung in seinem Gesicht. Freut sich ein Kommissar, wenn aus einem Vermisstenfall ein Mordfall werden könnte? Für meine vorher superaufgeräumte Wohnung habe ich nicht viel Hoffnung. Er spornt die Männer in den weißen Overalls jetzt zusätzlich an.

      »Jeden Zentimeter, ihr dreht alles von oben nach unten. Und Luminol. Ich will wissen, ob es hier Blutspuren gibt. Und weitere Drogen. Besorgt Drogenhunde.«

      »Hallo? Bitte keine Hunde. Bettina reagiert allergisch auf Hundehaare.«

      Mist, niemand hört auf mich.

      8. Büro Fischer

      Muckel sitzt vor seinem penibel aufgeräumten Schreibtisch. Auf dem liegen als Zeichen des neuen Minimalismus das aufgeschlagene Notizbuch und die ausgedruckte Vermisstenmeldung. Er hat den Kopf in die Hände gestützt und sein Blick schwenkt von dem aus dem Gedächtnis reproduzierten Smiley mit Vampirzähnen zu dem durchgestrichenen Dollarzeichen und bleibt auf dem Herz mit den Initialen L&M hängen.

      »Liebe und Hass. In derselben Familie. Geld? Firma Everphase? Zahlt Tilman Strauch? Alles überprüfen.«

      »Herr Muckel, Sie sollen sofort zum Chef kommen, zu dem oben. Dalli, hieß es.«

      Gaby Kleinschmidt, die Assistentin der Polizeiinspektion, hat die Tür bereits hinter sich zugezogen.

      »Halt, warten Sie! Zu welchem Chef denn? Meinen Sie etwa den Herrn Kriminaloberrat? Muss ich die Unterlagen mitnehmen? Meine Aufzeichnungen? Um was geht es?« Er starrt auf die Tür, die ihn unerbittlich anschweigt. »Klar doch, er will das mit den Vampirzähnen sehen. Ein Dollarzeichen ist immens wichtig. Er wird staunen,