Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand. Jannik Winter

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Название Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand
Автор произведения Jannik Winter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742706911



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verdeckt. Es vergeht eine Minute, bis er auf dem Papier den Umriss eines Mundes skizziert hat. Es folgt eine größere Sprechblase, die leer bleibt. Muckel nickt befriedigt in ihre Richtung.

      »Tut mir leid, so weit sind wir noch nicht. Außerdem stelle ich hier die Fragen und das führe ich systematisch durch. Zuerst möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie als Zeugin nur dann zur Aussage verpflichtet sind, wenn Sie sich damit nicht selbst belasten.«

      »Selbst belasten? Ha. Hier haben Sie einen Fall, der so klar ist wie die Fleischbrühe seiner Mutter. Die kann übrigens auch nicht kochen. Ich hab ja mit eigenen Ohren gehört, wie er das Geständnis abgelegt hat. Erwürgt und erschossen hätte er sie. Dann zersägt und die Einzelteile in den Abfall geworfen, wahrscheinlich in irgendeine Mülltonne. Nein, sagen Sie jetzt nichts … Sie ziehen so ein Gesicht, als wenn Sie sie bereits in unserer Tonne …? Oh mein Gott!«

      Der Mund auf dem Papier bekommt durch zwei wellige Linien Dynamik, die Sprechblase ein Fragezeichen verpasst.

      »Frau Strauch, beruhigen Sie sich bitte. Also noch einmal von vorne. Was er aus dem Fenster geschrien hat, haben Sie ja schon mehrfach wiederholt. Ihr Sohn hat das im Wesentlichen bestätigt. Wie kommen Sie jedoch zu der Ansicht, Ihr Nachbar Jens Rohwinkel wäre ein Mörder?«

      »So, jetzt hören Sie mir einmal gut zu, denn ich wiederhole das nur ungern. Er hat eine Kettensäge. Jawohl. Die hat er angeschmissen und mich damit bedroht. ›Die ist für dich‹, hat er geschrien und mit der Tatwaffe wie wild in meine Richtung gefuchtelt. Damals hätte ich schon die Polizei rufen sollen, dann wäre es zu dem zweiten Mord überhaupt nicht gekommen.«

      Muckels Stirn wellt sich. Der Bleistift kratzt auf dem Papier. Es sind drei Kreuze und zwei Smileys zu erkennen.

      »Frau Strauch, bleiben wir doch bitte bei den Tatsachen. Haben Sie gesehen, wie Herr Rohwinkel etwas aus dem Haus transportiert hat. Sind Ihnen Details aufgefallen, die für uns von Bedeutung sein könnten?«

      »Ja. Er hat eine Garage und ein Auto mit einem großen Kofferraum. Und Schleifgeräusche. Ich bin mir sicher, dass ich an dem Abend gehört habe, wie er sie in den Wagen gezerrt hat. Das Plopp war eindeutig. Sie müssen im Profil der Räder nach Waldboden suchen. In einem Krimi haben die gezeigt, dass sie aus der Erde genau bestimmen können, an welcher Stelle er sie verbuddelt hat. Eine Schaufel hat er auch, das kann ich beschwören.«

      Die Furchen auf der Stirn des Oberkommissars werden tiefer. Es sind auf Blatt zwei weitere Smileys hinzugekommen, wobei eins von ihnen scharfe Eckzähne aufweist.

      »Frau Strauch, abgesehen von Ihren Verdächtigungen, welches Verhältnis haben Sie zur Familie Rohwinkel?«

      »Verhältnis? Wir haben doch kein Verhältnis zu denen. Wie ich schon sagte, er ist ein ganz mieses Schwein, ein Gewaltverbrecher und Frauenmörder. Zu so einem hat man kein Verhältnis.«

      Die Eckzähne auf Smiley Nummer fünf werden um drei Millimeter verlängert.

      »Und du, Lukas, ich darf doch Du sagen, wie ist denn deine Einstellung zu der Familie Rohwinkel?«

      »Den Rohpinkler dürfen Sie meinetwegen einbuchten. Aber wenn seine Alte schon hops ist, wäre ja Miriam ganz allein. He, das ist doch eine Idee. Mom, können wir Miriam nicht adoptieren? Wir haben ja noch Dads Zimmer. Dann sind wir die Erziehungsberechtigten. Sie darf sogar an meine Xbox. Vielleicht nehme ich sie mit zum Güterbahnhof, da … ach nix.«

      Muckel unterbricht das Zeichnen eines Herzens auf Blatt zwei und setzt sich senkrecht.

      »Was ist denn auf dem Güterbahnhof?«

      Sein Gegenüber tippt wild auf dem Handy herum.

      »Da ist nix, da fahren nur Züge. Total langweilig.«

      »Lukas, hast du irgendetwas gehört oder gesehen, was uns weiterbringen könnte?«

      Der Bleistift vibriert über Blatt drei.

      »Nein, ich kümmere mich nicht um die Nachbarn. Die assige Familie Rohstinker kann mir gestohlen bleiben.«

      Die Spitze des Stiftes setzt abermals beim Herzen an und verharrt dort.

      »Aber Miriam findest du nett, oder?«

      »Ja, die ist einigermaßen okay. Sie kann ja nichts für ihre Alten. Mom, was ist mit der Adoption? Da solltest du dranbleiben. Jugendamt, Fürsorge, da kriegst du bestimmt ’ne Menge Kohle für sie. Bei mir … ich meine bei uns hat sie es doch tausendmal besser.«

      Das Herz bekommt die Initialen L&M mit einem Ausrufezeichen verpasst.

      »Hast du irgendetwas bemerkt? Unbekannte Gesichter, die noch nie in der Straße waren, Autos, die nicht zur Familie gehören?«

      »Nein, nur welche, die ich kenne. Die Eltern von Bettina kommen drei Mal die Woche. Aber die Hofers sind zu klapprig, um sie in den Kofferraum zu wuchten. Dann Judit, ihre Schwester, die ist auch oft da. Die kannst du voll vergessen, weil sie meistens besoffen ist.«

      Auf dem rechten Blatt erscheint ein Sektglas gefüllt mit einem J und dahinter ein Fragezeichen.

      »Frau Strauch, eine letzte Frage. Sie leben hier allein mit Ihrem Sohn? Aus den Unterlagen entnehme ich, dass Sie verheiratet sind. Hier steht, Ihr Mann Tilman Strauch ist Schriftsteller.«

      »Ja, das stimmt. Aber er hat mich vor fünf Jahren verlassen. Einzelheiten dazu kann ich Ihnen nicht sagen. Er war von einem Tag auf den anderen verschwunden. Danach hat er mir noch einige Postkarten geschickt. Aus Berlin. Er hätte jemanden kennengelernt.«

      »Zahlt er denn regelmäßig Unterhalt?«

      »Nein, keinen Cent bekomme ich von ihm. Aber er war schon früher ein Geizkragen und ich musste ihn immer um Geld anbetteln. Im Moment weiß ich auch nicht, wie ich ihn erreichen soll. Er hat irgendetwas von USA gefaselt. Da kann ich ihn lange suchen.«

      »Darf ich die Postkarten oder Briefe sehen?«

      »Aber selbstverständlich. Es sind nur drei Karten. Die letzte kam vor zwei Jahren, seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«

      Unter dem gezeichneten Mund erscheint ein TS mit einem Fragezeichen dahinter.

      »Darf ich fragen, wovon Sie Ihren Unterhalt bestreiten? Hier steht, Sie sind Hausfrau.«

      »Ja, das stimmt. Ich muss mich ja um Lukas kümmern. Frühstück, Mittag und Abendessen, dann die Hausaufgaben. Das ist Arbeit genug. Jetzt lebe ich von dem Ersparten, das wir rechtzeitig auf die Seite gelegt haben.«

      Muckel hält den Kopf nach rechts geneigt. Es vermittelt den Eindruck, als hätte er in der Ecke des Büros etwas Wichtiges entdeckt. Sein Mund ist halb geöffnet und der Bleistift in der Hand zittert.

      »Es gibt … da sind ungeklärte … vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen.«

      Muckel begleitet Familie Strauch bis an die Tür seines Büros. Danach sinniert er über die drei A4-Blätter. Er blickt auf den Mund, dann auf das TS mit dem großen Fragezeichen, bei dem der Unterpunkt wie ein Schweineschwänzchen geringelt ist.

      »Tilman Strauch, was ist los mit dir?«

      Er führt seine Augen nah an das Sektglas und gibt ein Schnauben von sich. Der Zeigefinger gleitet über fünf Smileys, eins davon mit Vampirzähnen. Dann faltet er die Papiere sorgfältig zusammen und legt sie in die Schublade rechts unten.

      »Alle. Sie sind alle verdächtig. So ein Schlamassel! Warum krieg ich immer so ein Wahnsinnspuzzle auf den Tisch? Bettina Hofer-Rohwinkel, drei Tage nicht als vermisst gemeldet. Tilman Strauch, ihr Nachbar, seit fünf Jahren verschwunden. Zufall? Oder gibt es dort ein schwarzes Loch?

      Die Kopfschmerzen fangen wieder an.«

      3. Büro Muckel, nachmittags

      Miriam bekommt soeben eine wichtige Nachricht, deswegen kann sie dem Kommissar nicht die Hand reichen. Seine fühlt sich ohnehin schlabberig an, überhaupt nicht wie der ehrliche Händedruck eines Mannes. Dafür