Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand. Jannik Winter

Читать онлайн.
Название Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand
Автор произведения Jannik Winter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742706911



Скачать книгу

sind deine Schwierigkeiten. Nicht die Defizite als solches, jeder Mensch besitzt irgendwelche Schwachstellen. Bei dir ist es leider so, dass du sie total ausblendest und sie nicht wahrhaben willst. Dabei legst du zusätzlich eine Selbstüberschätzung an den Tag, die es dir nicht mehr möglich macht, Realität und Wunschvorstellung auseinanderzuhalten. Wirf einfach mal einen Blick auf deine Kontoauszüge und erkläre mir, wieso du der Meinung bist, ein erfolgreicher Geschäftsmann zu sein? Wie kommst du auf die Idee, mein Chef Paolo wäre ein ehrlicher Geschäftspartner? Welche Idioten haben dich dazu überredet, gebrauchte Akkus zu verkaufen und zwei Jahre Garantie darauf zu geben? Warum denkst du, dass ich die beste Ehefrau der Welt bin, wo ich doch die schlechteste bin. Wieso bist du überzeugt, das zwischen dir und Judit würde niemand wissen? Alle haben das mitbekommen.

       Mein lieber Jens, du lebst in einer Traumwelt, aus der du dringend aussteigen musst. Was du in dir trägst, ist eine ernsthafte psychische Störung. So, und jetzt kommt die Forderung deiner Noch-Ehefrau Bettina. Du gehst zu einer Beratung, denn so etwas gehört in professionelle Hände. Im Gegenzug verspreche ich dir, auch für meine Probleme einen Therapeuten aufzusuchen. Ich erwarte eine Antwort bis morgen, sonst bin ich weg. Und noch was, wenn ich mich nicht um dich kümmere, wirst du wohl für den Rest deines Lebens auf einer Parkbank übernachten müssen. Also tu was!

      Wie gesagt, ein Hilferuf, den ich ernst nehme. Ich meine, das mit ihrer Therapie. Dass sie als Frau natürlich von Geschäftsmodellen mit technischem Hintergrund keine Ahnung hat, kann ich ihr nicht ankreiden. Und dass dieser Paolo ein grundehrlicher Geschäftsfreund ist, dem ich die besten Kontakte zu verdanken habe, blendet sie einfach aus. Und so schlimm, wie sie sich selbst beschreibt, ist sie als Ehefrau wirklich nicht.

      Allerdings war es gut, dass Kommissar Muckel den Brief in meiner Hosentasche nicht gefunden hat. Dieses ›Wenn du …‹ in Verbindung mit einem ›Dann bin ich weg …‹, das könnte er völlig falsch auslegen. Ein weites Feld für Spekulationen stände offen.

      »So eine Therapie kam für Sie natürlich nicht in Frage. Verlassen zu werden auch nicht. Da blieb für Sie nur der eine Ausweg. Sie wissen schon, was ich damit andeute.« Das würde er einwenden.

      Oder noch schlimmer. »Sie wollte Ihre psychischen Störungen überall publik machen. Wie bringt ein Psychopath seine Frau zum Schweigen, Herr Rohwinkel?«

      Nein, den Brief darf niemand finden. Aber was, wenn sie ihre unsinnigen Vermutungen weitergegeben hat? Ich sehe Schwiegermonster Hildegard schon mit dem Finger auf mich zeigen. »Ein Psycho wie er geht nicht freiwillig in die Therapie, er beseitigt die einzige Zeugin, meine geliebte Betti.«

      Das ist es, wo ich dringend dran arbeiten muss. Ein Gutachten. Jawohl, ich benötige von einer anerkannten Koryphäe eine Bescheinigung, dass mit mir alles in Ordnung ist. So oberstübchenmäßig. Das sollte ein Psychologe eigentlich in zwei bis drei Minuten herausgefunden haben. Gut, die schriftliche Bestätigung dauert noch mal ein paar Sekunden. Mehr Zeit möchte ich für so einen unnötigen Schwachsinn nicht investieren. Nicht dass ich mit so einem Waschzettel sofort zu Polizei renne, aber es ist immer besser, etwas in der Hinterhand zu haben. Rückversicherung für den Fall der Fälle.

      Ich habe mir schon eine Wunschkandidatin aus den Gelben Seiten herausgesucht. Frauen haben für Bettis Probleme sicher ein perfektes Händchen und werden mich umso eher verstehen. Ihr Name erzeugt bei mir positive Schwingungen: Frau Doktor Elisabeth Hahnemann. Das kommt gleich nach Frau Doktor Bachblüte oder noch besser: Frau Doktor Feng Shui.

      Hihihi.

      11. Wohnzimmer Strauch

      Auf dem Briefkasten klebt ein Zettel mit der Aufschrift Keine Werbung, keine Vertreter. Rechts neben der Haustür weisen zwei Klingelknöpfe auf die Bewohner hin: Katharina Strauch und darüber Lukas Strauch. Dem Läuten folgt Hundegebell. Muckel wendet sich an Staatsanwalt Gruber und seinen neuen Partner Kommissar Brand.

      »Das ist ein kleiner Hund. Wahrscheinlich Yorkshire Terrier, also völlig harmlos.«

      Katharina Strauch öffnet mit einem strahlenden Lächeln, während sich ein beigebraunes Knäuel auf Muckels linkes Bein stürzt und sich im hinteren Hosenaufschlag verbeißt.

      »Herr Kommissar, ich wusste, dass Sie wiederkommen. Haben Sie das perverse Schwein endlich eingebuchtet?« Doch Muckel hat keine Zeit für eine Antwort, da er mit dem Hund beschäftigt ist.

      »Guten Tag, Frau Strauch. Ich bin Staatsanwalt Gruber und habe hier einen Durchsuchungsbeschluss. Oberkommissar Muckel kennen Sie ja schon und Kommissar Brand wird uns unterstützen. Zunächst haben die beiden Herren jedoch einige Fragen. Sie brauchen nicht zu antworten, wenn Sie sich damit selbst belasten.«

      Sie achtet überhaupt nicht auf seine Worte, sondern verfolgt fasziniert das Spiel ihres Hundes. Auch Muckel ist für einen Moment abgelenkt.

      »Anhängliches Kerlchen. Aber sagen Sie mal, was ist das denn für eine Rasse?« Dabei hebt er sein linkes Bein mitsamt dranhängendem Hund in die Höhe, sodass der herumzappelt und deutlich aggressiver knurrt.

      »Unser Rasta ist eine Mischung aus Yorkshire und Terrier.«

      Die Auskunft scheint Muckel nicht zufriedenzustellen. Er hält den Hund am Hosenbein weiterhin in der Luft.

      »Ein Yorkshire ist doch schon ein Terrier.«

      »Ja, aber in Rasta steckt zusätzlich ein gefährlicher Jack Russell.«

      Muckel sieht sich den am Hosenaufschlag zappelnden Hund genau an.

      »Meine Verlobte hat auch eine Yorkshire-Hündin. Sie heißt Daisy. Die ist aber nicht so aggressiv.«

      »Rasta, aus! Pfui ist das. Der Herr ist nicht von den Zeugen Jehovas. Wissen Sie, Herr Kommissar, seitdem wir Rasta haben, belästigen uns weder die Vertreter von Vorwerk noch die Spione der GEZ. An die Polizei muss er sich erst gewöhnen.«

      Sie fasst den Hund im Nacken, will ihn wegziehen. Als Erfolg zerren nun beide vereint an Muckels Hose und der droht umzukippen. Kommissar Brand eilt hinzu und stützt ihn. Ein von Frau Strauch zur Ablenkung hingehaltenes Leckerli verschmäht Rasta und schüttelt stattdessen den Hosenaufschlag noch kräftiger. Erst als sie ihm mit der Hand die Schnauze öffnet, lässt er ab, nicht ohne ein warnendes Knurren in Richtung Muckel auszustoßen. Der betrachtet besorgt sein Hosenbein, das an der hinteren Bügelfalte vier gleichmäßige Löcher aufweist.

      »Frau Strauch, einige Dinge sind noch unklar und deswegen benötigen wir Ihre Hilfe.«

      Ihr Lächeln wird breiter. Während sich Brand im Wohnzimmer umsieht, zückt Muckel sein Notizheft und schlägt die vierte Seite auf. Kurzfristig kommt ihm der Gedanke, ob Judit Klamms roter String-Tanga nicht doch hilfreich sein könnte.

      »Frau Strauch, würden Sie uns bitte die Postkarten Ihres Mannes aus Berlin zur Verfügung stellen?«

      Ihr Lächeln wirkt in der nächsten Sekunde verkniffen.

      »Tilmans Postkarten? Was haben die denn mit der verschwundenen Nachbarin zu tun?«

      »Eventuell finden wir Ihren Mann damit. Sie wären doch bestimmt froh, wenn er sich melden würde, oder?«

      Er bemerkt ihr krampfhaftes Schlucken, bevor sie antworten kann.

      »Ja, natürlich. Obwohl? Nein, ich habe mit ihm abgeschlossen. Wenn er eine neue Beziehung hat, soll er damit glücklich werden und mich in Ruhe lassen.«

      »Wir haben Ihr gemeinsames Konto überprüft und wollten wissen, ob er noch Geld einzahlt oder abhebt. Die einzigen Einzahlungen kommen jedoch von seinem ehemaligen Verlag, der ihm monatlich etwa dreitausend Euro Honorar für die laufenden Tantiemen überweist. Er selbst hebt kein Geld ab, benutzt weder seine EC-Karte noch die Visa Card. Alle übrigen Abhebungen und Daueraufträge stammen von Ihnen. Finden Sie das nicht merkwürdig?«

      Bei dem letzten Satz hat sie ihr Lächeln komplett verloren und ist leicht in sich zusammengesunken.

      »Wieso? Ich darf doch über mein Konto verfügen. Das geht Sie