Seltsame Vorfälle. Elisa Scheer

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Название Seltsame Vorfälle
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754924525



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Lady Gaga in ihrem legendären Fleischkleid hereingetanzt. Ein Mann aß so versunken, den Blick so fest auf den Teller geheftet, als habe er Angst, das Essen werde auf mystische Weise im Teller verschwinden. Nein, der würde auch nichts bemerken…

      Ja, und alle anderen starrten auf ihre Handys – Social Media oder Nachrichten? Egal. Außerdem machte er das auch meistens, wenn er nicht gerade versuchte, die Galerie Enkofer zu observieren.

      Man konnte sie von hier aus recht gut sehen, vor allem, wenn man richtigherum am Fenster saß und tatsächlich hinausschaute.

      Er sah den Galerieeingang auch – es stand kein Wagen davor wie dieser alte Sprinter neulich. Es saß auch niemand im Weg. Wenn natürlich jemand klug parkte, konnte man wohl aus keinem Fenster des Cafés sehen, ob jemand die Galerie betrat… der alte Sprinter konnte bewusst genauso geparkt worden sein. Keine besonders tiefschürfende Idee, leider.

      Das Essen kam und die Fischtasche duftete absolut hinreißend. Nachher würde er sich einmal die Fenster der Nachbarhäuser genauer ansehen und alles fotografieren, soweit es noch nicht geschehen war – hatte das überhaupt schon einer gemacht?

      Aber jetzt würde er erst einmal essen!

      o

      Mittagspause! Stella hatte sich vorgenommen, nicht essen zu gehen, sondern schnell zum Baumarkt an der Kirchfeldener Landstraße zu fahren und endlich diese Haken für die Handtuchheizung zu besorgen. Da gab’s im Vorraum auch einen Brezenstand, das reichte ja wohl für ein Mittagessen. Und ein nettes Körbchen für ihren Kosmetikkram brauchte sie auch noch…

      Sie eilte zum Nebenausgang, der auf den Parkplatz führte und stieg in ihren Wagen, dann blinzelte sie verblüfft: ein Knöllchen? Verdammt, das war hier so etwas wie ein Firmenparkplatz! Und ihre Parkerlaubnis lag auf dem Armaturenbrett! Hier hatten die Bu – äh, die Polizei gar nichts zu suchen!

      Also stieg sie seufzend wieder aus – vielleicht war es ja auch bloß wieder ein Pizzaflyer oder so ein doofer „Wir kaufen jedes Auto“- Zettel.

      Sie streckte schon die Hand aus, um den Zettel zu zerknüllen und am liebsten einfach wegzuschleudern (nur theoretisch, das war schließlich Umweltverschmutzung!), aber dann entfaltete sie ihn doch und starrte darauf, ohne zunächst zu verstehen, was darauf stand.

      Komma iväg till sverige, dum ko

      Was sollte das denn bedeuten? Verzieh dich nach Schweden, blöde Kuh…?

      Etwas benommen stieg sie mit dem Zettel wieder ein und fuhr vom Parkplatz. Wer schrieb ihr denn so etwas?

      Es musste jemand sein, der/die Schwedisch konnte.

      Blödsinn, sie hatte auch schon einen frechen Spruch bei Google eingegeben und irgendeine Sprache hinzugefügt, damit Google brav und hoffentlich nicht allzu falsch übersetzte.

      Der poplige Satz war korrekt, einigermaßen. Vielleicht würde man es idiomatisch auch anders formulieren können, aber direkt falsch war der Satz eigentlich nicht.

      Wer wusste, dass sie Schwedisch sprach, dass ihr Vater Schwede gewesen war? Im Museum ja wohl alle! Ihr Namensschildchen zeigte ihren schwedischen Nachnamen – und als sich einmal eine schwedische Reisegruppe aus unerfindlichen Gründen nach Leisenberg verirrt hatte, hatte sie selbst die Gruppe durch die damals aktuelle Ausstellung geführt.

      Aber im Museum hatte doch keiner etwas gegen sie? Sie arbeitete doch mit allen gut zusammen?

      Sie achte ja auch penibel darauf, bei gemeinsamen Projekten stets ein wenig mehr als ihren Anteil zu erledigen, damit keiner sagen konnte, sie lasse die anderen für sich schuften. Und sie hatte auch niemandem etwas weggenommen, nur bereitwillig irgendwelche Lästigkeiten übernommen. Wer konnte sich darüber empören?

      War es vielleicht niemand aus dem Museum? Von der Straße war dieser Personalparkplatz gut zu sehen, aber für die Schranke brauchte man eine Fernbedienung. Die Schranke war obendrein recht hoch und streifte unten fast den Boden – Hinüberzuklettern wäre einem Sportler vielleicht möglich, unten durchzurobben war unmöglich. Und wozu sich verletzen oder wenigstens sich mit Straßendreck einzusauen? Um jemandem einen albernen Zettel unter den Scheibenwischer zu klemmen? Das war doch wirklich schwachsinnig! Und wer kannte schon diesen Schleichweg hinten durchs Gebüsch?

      Privat?

      Aber da gab es nur Mama und ihre Freundinnen, Pauline und Sabine, dazu vielleicht noch Nachbarn, aber mit denen stand sie doch auf gutem Fuß?

      Niemand war laut oder ließ seinen Müll überall liegen, die Treppe wurde von einem Putzteam sauber gehalten, man grüßte sich höflich und hatte ansonsten wenig Kontakt. Vielleicht gab es ja heimliche Techtelmechtel, vielleicht zwischen der Ehlers aus dem ersten Stock und ihrem Nachbarn, dem Wieberger? Sie selbst bekam so etwas doch sowieso nie mit und egal wäre es ihr obendrein auch. Und wer wusste überhaupt, dass sie hier arbeitete?

      Mit Mama verstand sie sich gut – und Mama konnte kaum schwedisch sprechen und war auch nicht der Mensch, der alles bei Google erfragte. Sie hatte ein schwedisch-deutsches Lexikon, aber keine Grammatik dazu, also konnte sie nur durch Zufall die korrekten Formen treffen. Papa hatte ja auch gut deutsch gesprochen! Ach, war das schon lange her, sie konnte sich gar nicht mehr so genau an Papa erinnern.

      Pauline und Sabine hatten die Tatsache, dass sie Halbschwedin war und die Sprache beherrschte, fünf Minuten lang als exotisch bestaunt und dann wieder vergessen. Außerdem hatten sie mit ihr ja auch keinen Ärger!

      Sie könnte höchstens den netten Polizisten fragen, der ihr mit der Schweineleber geholfen hatte – aber ihn wegen einer solchen Lappalie zu belästigen? Zu albern.

      Sie würde den Zettel nachher wegwerf– nein, archivieren, man wusste ja nie!

      Genau das tat sie auch, als sie – nach Baumarkt und Nachmittagsdienst – nach Hause kam: Der Zettel kam in eine Klarsichthülle, die mit Datum, Uhrzeit und Fundstelle versehen wurde. So, fertig für die Asservatenkammer!

      Sie fand noch eine Pappkiste, in der außer einem veralteten Pizzaflyer und zwei rätselhaften Visitenkarten nichts lag, und erklärte diese zu ihrer privaten Asservatenkammer.

      Sie hatte mit niemandem Ärger, verflixt!

      So, und jetzt würde sie Feierabend machen und auch etwas essen – die trockene Breze vom Baumarkt hatte ihr System längst vergessen und meldete sich jetzt lautstark, um Nachschub zu verlangen. Knusperknäcke mit etwas Remoulade und einem harten Ei in Scheiben? Und danach einen Apfel?

      Der erste Teil funktionierte problemlos, der letzte Apfel aber war leider vorne rot und hinten matschig. Na, auch egal. Aß sie eben den Rest von der Nussschokolade, die war auch süß.

      Sie war damit kaum fertig, als ihr Handy brummte. Aha, Mama!

      Mama erzählte von einem Besuch im Gartencenter und von dem Bekannten einer Freundin, der doch tatsächlich jemanden kannte, der an dieser merkwürdigen neuen Krankheit litt: „Musst du dir mal vorstellen, der liegt jetzt in München im Schwabinger Krankenhaus, auf der Intensivstation! Kann das denn noch eine Grippe sein?“

      „Weiß ich auch nicht – aber vielleicht ist das ja ein Einzelfall?“

      „Sternchen, du passt nicht gerade gut auf, was? Es werden jeden Tag mehr Kranke, das ist schon gar nicht mehr nur diese Firma da unten an diesem See…“

      „Starnberger See? Ehrlich, sind das schon so viele? Aber doch nur dort?“

      „Ich glaube, es gibt auch einen Ausbruch in Österreich, in irgendeinem Skiort – und auf irgendeiner Karnevalssitzung in – in – weiß ich nicht mehr. Halt da, wo sie Karneval feiern, du weißt schon…“

      „Nicht genau, aber ich kann´s mir schon vorstellen. Du meinst, das wird eine richtige Epidemie?“

      „Ich glaube schon. So was wie eine Supergrippe. Bist du eigentlich gegen Grippe geimpft?“

      Stella hatte die Besorgnis herausgehört und versicherte sofort, sie sei selbstverständlich geimpft.

      Morgen