Mord aus heiterem Himmel. Achim Kaul

Читать онлайн.
Название Mord aus heiterem Himmel
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748593393



Скачать книгу

die zufällig Bekanntschaft mit Newtons Gesetz gemacht haben? Abgesehen davon hab’ ich keine Riesterrente.«

      »Zweifel, sie sind zwar Gesetzeshüter, aber die Naturgesetze sind davon nicht betroffen.«

      »Sie lassen sich aber so leicht anwenden.«

      »Ich wiederhole mich äußerst ungern, Zweifel, es reicht! Ich verbiete Ihnen hiermit ein für alle Mal, unschuldigen Passanten die Handys aus der Hand zu schlagen.«

      »Ich kann nun mal den Anblick nicht ertragen. Den Kopf permanent über so ein dämliches Teil gesenkt mitten durch die Menschenmassen latschen, ohne auf andere zu achten. Das ist krankhaft. Die sind alle wie ferngesteuert. Sie müssen die mal beobachten, wenn …«

      »Mir ist ihr gestörtes Verhältnis zur modernen Kommunikationstechnik hinreichend bekannt, mein Lieber. Vielleicht können wir uns jetzt über – ja, was ist denn?«

      Die Bürovorsteherin, Frau Lucy, kam, wie immer ohne anzuklopfen, herein. Sie wedelte lässig mit einem Blatt Papier.

      »Arbeit für den Kommissar«, flötete sie.

      Melinda Zick fuhr gerade mit ihrem Fahrrad, das gegen mindestens fünf verkehrstechnische Vorschriften verstieß, auf den Hof der Polizeiinspektion, als ihr Handy klingelte.

      »Mel, du musst mir helfen.« Es war ihr Bruder Zacharias. Ihre Mutter hatte ein eigenartiges Talent bei der Namensfindung ihrer Kinder bewiesen. Nach Mels fester Überzeugung war sie damals komplett unzurechnungsfähig gewesen. Und objektiv betrachtet, bestanden berechtigte Zweifel daran, dass ihr Geisteszustand sich seither geändert hatte. Ihre Mutter war und blieb eine Spinnerin. Leider schien ihr Bruder einiges von ihr geerbt zu haben.

      »Zack«, sie wusste, dass er diese Abkürzung hasste, »was glaubst du wohl, was ich heute den ganzen Tag zu tun habe?«

      »Du musst mir helfen, Mel.« Pause. »Und nenn’ mich nicht Zack, verdammt.«

      »Wieso bist du überhaupt schon wach? Ist doch gerade mal halb neun.«

      »Das ist ja der Punkt. In einer halben Stunde stehen die Typen von der Bank bei mir auf der Matte.«

      »Seit wann kommen die persönlich vorbei? Dein Kontostand muss ja unterirdisch sein.«

      »Mel, du hörst mir einfach nie zu. Die kommen doch wegen meines Projektes.« Schlagartig fiel ihr ein, dass ihr Bruder ja einen Laden aufmachen wollte. »DESSERT INN – vegane Desserts vom Allerfeinsten«. Sie stieg vom Rad. »Ich hab’ doch keine Ahnung, wie ich mit denen reden soll.«

      »Sei einfach höflich und beantworte alle Fragen. Aber phantasier’ nicht rum.«

      »Mel, das würd’ echt viel bringen, wenn du, also wenn eine von der Polizei, mit dabei …«

      »Ich kann nicht!«, fiel sie ihm ins Wort und schloss gleichzeitig ihr Rad ab. Gerade kam Zweifel um die Ecke und winkte sie zu sich. »Du packst das schon allein. Bis dann.« Sie legte auf und packte ihr Handy weg.

      »Morgen Melzick«. Adam Zweifel war der Einzige, der sie so nannte. Sie hatte sich nie darüber beschwert. Insgeheim gefiel ihr diese Anrede ganz gut. Hatte für sie irgendetwas Straßenkämpferisches.

      »Zweifellos ein guter Morgen«, war ihre Standardantwort darauf.

      »Wir haben einen Kunden.«

      »Wer ist es?«

      »Steigen Sie ein, ist nicht weit. Kurpark.«

      »Jemand im Kneipp-Becken ersoffen?«

      »Melzick – nicht in diesem Ton!«

      Einige Minuten später waren sie dort.

      Alles an dem imposanten Gebäudekomplex atmete Reichtum: die edlen, in Kaisergelb gehaltenen Fassaden mit den raumhohen, doppelflügeligen, strahlend weiß gerahmten Sprossenfenstern, die säulenverzierten, weitläufigen Terrassen, die smaragdgrünen, kunstvoll geschmiedeten Balkonbrüstungen, die großzügig und erhaben geschwungenen Kuppeln aus hellem Marmor, welche die beiden Penthäuser krönten, sowie der reichlich prätentiöse Fahnenmast, der für jedes der Gebäude anzeigen mochte, ob die jeweilige Königin anwesend war. Die wimmelnden Blätterschatten der hochherrschaftlichen, altehrwürdigen Baumsenioren spielten millionenfach auf den kostbaren Mauern, die speziell für das Morgenlicht entworfen zu sein schienen. In der Ferne, in blassem Blau schimmernd, die Diamanten der Alpenkette. Reine Luft wie aus Seide. Ein trügerisch friedlicher Anblick. Zwei eisgraue Augen blickten aus einem der Panoramafenster des südlich gelegenen Penthauses und nahmen den feinen Schleier wahr, der sich über die Stadt zu senken begann.

      »Wer ist das?«, fragte Kommissar Adam Zweifel den Mann in der dunkelblauen Uniform. Dieser bemühte sich, ruhig und sachlich zu schildern, was er wusste. Es gelang ihm nicht.

      »Wahnsinn, das ist einfach der Wahnsinn!«

      »Nein, ich meine die alte Dame dort auf der Bank und den jungen bleichen Herrn daneben«, versuchte Zweifel die Aufregung mit ernstem Ton zu dämpfen. Es gelang ihm. Max Kater, so hieß der junge Mitarbeiter des Wachdienstes, riss sich zusammen.

      »Natürlich, selbstverständlich, sie haben recht. Äh, Augenblick.« Er holte ein Notizbuch aus seiner hinteren Hosentasche und schlug es hastig auf.

      »Das ist Frau Eichhorn, Anna Eichhorn, 82 Jahre«, sagte er nach kurzem Blättern. »Sie hat die beiden gefunden.«

      »Wie jetzt – gibt es zwei Leichen?«, fragte Melzick.

      »Was, äh, nein, nein …«

      »Junger Mann, wie lange muss ich denn noch hier rumsitzen? Es wird langsam Zeit für mein Frühstück«, meldete sich die alte Dame zu Wort. Kater schaute sie mit großen Augen an.

      »Das äh, das müssen Sie, äh, ich glaube der Herr Kommissar kann …«

      »Nur ein paar Minuten Geduld, wenn ich Sie darum bitten dürfte.« Der Kommissar hatte den richtigen Ton getroffen. Sie musterte ihn aus hellblauen Augen. Dann lehnte sie sich schweigend zurück und verschränkte die Arme über einer dezenten, sündhaft teuren Perlenkette.

      »Also«, wandte sich Zweifel an den etwas unbeholfen wirkenden Wachdienstler und nahm ihn für ein paar Schritte zur Seite, »wer sitzt da neben Frau …, Frau …«

      »Eichhorn. Ja.« Wieder blätterte er in seinem Notizbuch. »Da handelt es sich um Ferdinand Alba«, sagte er. »Frau Eichhorn hat ihn und den Toten gefunden. Angeblich lag er bewusstlos neben ihm.« Er kratzte sich heftig am Kopf und fuhr sich mit der flachen Hand übers Gesicht, als könnte er immer noch nicht fassen, womit er es hier zu tun hatte.

      »Was ist mit ihm?«, fragte Zweifel, »klappt der uns zusammen? Haben Sie einen Arzt gerufen?«

      »Ja, ja, hab’ ich. Der Doktor war schon vor Ihnen da und hat ihn sich angesehen. Und ihm eine Spritze gegeben.«

      »Und wo ist der Doktor jetzt?«

      »Da drüben, bei dem Toten.« Er zeigte mit dem Finger kurz in die Richtung.

      »Gut. Tun Sie mir bitte den Gefallen und bleiben Sie bei unseren beiden Hübschen hier.« Kater nickte eifrig und Zweifel überquerte das Gras, gefolgt von Melzick.

      »Ist die Spurensicherung schon verständigt?«, wandte er sich an sie.

      »Keine Ahnung, aber ich ruf gleich mal an«, erwiderte sie und zückte ihr Smartphone. Sie blieben kurz stehen. »Hallo Penny, hier ist Mel. Wir haben Arbeit für dich. Im Kurpark. Die große Wiese. Gut, bis gleich.« Sie steckte das Smartphone wieder in die Gesäßtasche Ihrer schwarzen Jeans.

      »Wer ist Penny?«, fragte Zweifel.

      »Ach, das wissen Sie noch gar nicht? Wir haben eine Urlaubsvertretung bekommen. Penelope Stock. War mit mir auf der Polizeiakademie und hat sich dann spezialisiert. Sie kümmert sich jetzt lieber um Leute, die nicht mehr vor ihr davonlaufen können.«

      »Verstehe«, sagte Zweifel. Zwanzig Meter entfernt saß ein Mann, etwa Mitte sechzig, von äußerst