Leben verboten!. Maria Lazar

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Название Leben verboten!
Автор произведения Maria Lazar
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754174296



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ich möchte ihnen nie Kreuzer schenken, aber ich mag sie gar nicht. – Da schlug Mutter sie und Richard und Martha waren voll Verachtung.

      Denn man mußte gut sein zuhause. Das war wie ein Dogma. Richard schenkte jedem Bettler etwas und Martha nähte Puppenkleider für Armeleutekinder.

       Als Ruth zwölf Jahre alt war, sagte sie lächelnd zu ihren Freundinnen: – Natürlich sind wir Juden, aber schon lang getauft, doch das macht nichts aus.

      Als sie vierzehn Jahre alt war, erklärte sie: – Unsere Möbel sind häßlich. – Ich lüge oft, nicht gern aber doch oft. – Wenn ich ganz arm wäre, würde ich sicher einbrechen.

      Da wußte man in der Familie: das Kind ist dumm. Man muß sie zum Schweigen bringen, sonst macht es nichts.

      Und Ruth glaubte, daß sie dumm sei. Nur kränkte es sie gar nicht. Sie konnte einfach nie auf die Idee kommen, anders sein zu wollen, als sie war. Höchstens, daß sie sich wünschte, strähnenglatte blonde Haare zu haben und eine griechische Nase.

      Hier aber war die erste große Spaltung zwischen ihr und Mutter. Denn Mutter fühlte zu genau, wie sehr Ruth ihr Kind war, um diese Aufrichtigkeit zu gestatten. Sie empfand es als eine Verletzung.

      Ruth sagte einmal auf jemanden: Den liebe ich, den möchte ich auf der Stelle heiraten. Ich glaube wirklich, ich könnte mich wahnsinnig in ihn verlieben. – Aber schämst du dich nicht, rief die Mutter.

      Mutter schämte sich immer. Weil sie einen so unmäßigen Stolz in sich trug. Was dieser Stolz wollte, wußte sie eigentlich selbst nicht, er hatte etwas sinn- und zweckloses. Er erinnerte an die hohen Zimmer, die man in den Achtzigerjahren baute, deren Größe etwas Leeres und Zugiges an sich hat. Und die nie auszufüllen sind, weil die Kostbarkeiten, nach denen sie verlangen, gar nicht aufgetrieben werden können.

      Das, was Mutter wollte, existierte nicht. Und deshalb war sie arm geblieben in der Fülle ihrer zügellos reichen Empfindungen.

      Wenn Ruth in der Nacht sich im Bett aufrichtete und sie war plötzlich ganz wer anderer als am Tage, so daß sie ihre eigenen Bewegungen mit süßem Mitleid und verborgener Zärtlichkeit beobachtete, dann war es genau so, wie wenn sie Mutter beim Schreibtisch sitzen sah, mit einer Unzahl Rechnungen, bei denen sie sich fortwährend irrte und die sie doch so genau nahm. Oder wie wenn sie einem nackten Säugling zuschaute, wie er sinnlos mit den winzigen Füßen in die Luft strampelt.

      Mutters Reserve der Menschheit gegenüber war nur etwas rein gedankliches, äußerlich war sie allen vollkommen ausgeliefert. Ihre Haare steckten immer schief. Der Mund war zu voll. Die Unterlippe hing herunter. Das war aber nicht notwendig. Es war nur, weil Mutter eben so gar nicht verstand, in den Spiegel zu schauen.

      Ihre dunkelsehnigen Arme hätten Erdarbeit leisten sollen. Ihr kräftiger Körper brauchte Bergluft. So daß er fast hinfällig scheinen konnte in den Zimmern der Großstadt.

      Mutter hatte sich nicht erziehen können und deshalb ihre eigenen Kinder nicht, weil die ihr zu ähnlich waren. Aber sie hatte einen jüngeren Bruder, der weich und bildsamer war als Lehm. Er war Musiker, er war Dichter, er war Maler. Und endigte als Zeichenlehrer in einer Mittelschule. Sie hatte ihm zu viel geholfen.

      Ihre eigenen Talente hatte Mutter verschleudert. In ihrer Jugend war sie die wildeste Tänzerin der Stadt. Und trug doch immer abgetretene Schuhe.

      Onkel Gustav wuchsen die Haare zu lang in den Nacken. Nur ein ganz klein wenig, so daß man es bei anderen Menschen gar nicht bemerkt hätte. Aber bei ihm schien es viel zu viel zu sein. Er wurde in der Familie verlacht und als Narr behandelt. Und lächelte dann demütig. Ruth ging an ihm vorbei. Sie konnte Bettler nicht leiden.

      Mutters Kommode war das interessanteste Stück im ganzen Haus. Zweimal im Jahr wurde sie „groß“ aufgeräumt. Kein Mensch durfte ins Zimmer kommen, nur Gustav und Ruth waren zur Hilfe kommandiert. Weil Gustav so schön die einzelnen Päckchen einwickeln und mit Spagat zusammenbinden konnte. Und weil Ruth es lieber tat, als ins Theater gehen. Der dumpfe Lawendelgeruch erweckte in ihr eine müde Erinnerung an Geheimnisse, die sie einmal gekannt hatte, aber nun nie und nimmermehr erfahren durfte.

      An einem langweiligen Sonntagnachmittag mit Regentropfen rief die Mutter Gustav und Ruth zum großen Aufräumen. Ruth kam widerwillig, sie hatte sich stumpf geschlafen und eine fade Sattheit klebte in ihren Haaren, die heute gar nicht unternehmungslustig um die Stirne herumstanden, sondern schläfrig nach hinten lagen. Als Mutter die großen Schubladen aufzog, mit ihren zu hastigen, etwas blinden Bewegungen, bekam Ruth einen dumpfen Druck in den Kopf von starkem Lawendelgeruch und wie im Zorn sagte sie: – Alt. Gustav sah verwundert auf. Er hatte die Hemdärmeln aufgestreift und seine kleine, gedrungene Gestalt, die gerne dick sein wollte, aber nie dazu kam, weil er ja immer hungerte, war auf dem Sprung, Mutters Wünsche zu erfüllen. Er knüpfte alle die braunen, grauen, gelben, weißen Päckchen auf und schichtete ihren Inhalt sorgfältig auf dem Boden hin. Ruth rührte sich nicht und sagte plötzlich zu Mutter: – Ich möchte Seidenpapier kaufen, weißes und einfärbige Bänder. Nicht so in irgend ein Papier und Spagat. – Was fällt dir ein, das wäre viel zu teuer. –

      Ruth verstand das nicht. Sie legte sich auf einen Teppich und wühlte wie sonst in alten Photographien hochschöpfiger Damen und befrackter Herren mit Zylindern. In Wickelkindbildern, wo alle immer in der gleichen Weise auf dem Bauche liegen. Es langweilte sie.

      Gustav pfiff. Er pfiff wunderschön.

      Ruth durchstöberte Briefe, die wie gestochen aussahen auf vergilbtem Papier. Sie suchte etwas. Sie suchte etwas, um aus der gräßlichen Leere des Sonntagnachmittags herauszukommen. Und weil es doch ganz und gar unmöglich war, daß die geliebte, geheimnisvolle Kommode nichts anderes barg als dieses öde Zeug. Nein, bestimmt nicht. Nicht einmal die Schäferinnenspieluhr kam ihr sehenswert vor oder das Stammbuch der Urgroßmutter.

      Mutter zeigte ihnen einen Liebesbrief, den sie bekommen hatte, als sie sechzehn Jahre alt war. Es war der Brief eines überspannten Gymnasiasten und schloß mit Selbstmordgedanken. Mutter war sehr stolz darauf. Aber Ruth fand ihn so überflüssig aufzuheben, wie Großvaters Brautbriefe an Großmutter. Sie wurde zornig. Und sie bekam Angst.

      Denn da war noch mehr in dieser Kommode. Mutter log. Sie, Ruth, wußte es. Da drinnen lag ein zerbrochenes Schicksal, ein Ruin, ein Kampf gegen den Irrsinn. Mit dunklen Blicken sah Ruth auf den grauen Scheitel der Mutter, wie sie eben vor ihr kniete. Sie fühlte ein kaltes, entsetzliches Alter in ihren jungen Händen, das alles wußte, das man nicht mehr täuschen konnte. Und ihr Mund war greisenhaft erbittert.

      Mutter staubte soeben eine graue Pappschachtel ab, die mit einem goldenen Bändchen zusammengebunden war, als das Dienstmädchen sie rief. – Das laß stehen, sagte sie zu Ruth und ging hinaus. Ruth warf sich auf die Schachtel. Gustav kehrte ihr den Rücken zu. Sie streifte das Band los, schob den Deckel weg, seine Schrift – und der große Schnörkel bei „Liebe“. Eine dunkle Tür tat sich auf. Sie bekam einen brennenden Schlag auf die Hand. Und da wurde es licht, schreiend licht, grell, schmerzhaft ...

       Mutter schrie etwas, das sie nicht verstehen konnte. Und nahm die Briefe und ging hinaus, wutentstellt.

      – Onkel Gustav, sagte Ruth ruhig und ernst und totenblaß. Von wem waren diese Briefe?

      Gustav zitterte am ganzen Leib: – Warum machst du solche Sachen, wenn Mutter es verbietet. Von wem die Briefe sind. Ich weiß es wirklich nicht, wirklich nicht.

      – Onkel Gustav, wiederholte Ruth und trat ganz nahe zu ihm hin. Du weißt das alles. Aber wenn du es nicht sagen willst, wenn du dich nicht traust, so werde ich es sagen: in diesen Menschen war Mutter verliebt.

      Ihre Stimme klang wie höhnende Beleidigung in dem dämmernden Zimmer. Die Worte fielen abgehackt in das Dunkle und Mutters Rechenbücher lagen auf dem Schreibtisch im hintersten Winkel.

      – Danach habe ich dich nicht fragen wollen. Aber eines mußt du mir sagen, wann war es, du? – und sie kniete neben ihm und krallte die Finger ein in seinen willenlosen Arm – wann? war ich damals schon groß, wie alt, ein kleines Kind? sag, du mußt!

      – Du warst ganz klein, eben zur Welt gekommen.

      Ruth