Leben verboten!. Maria Lazar

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Название Leben verboten!
Автор произведения Maria Lazar
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754174296



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in einer regelmäßigen Zeichnung. Seine Schultern standen zu weit nach hinten, künstlich steif. Sie wollten offen und frei erscheinen. Aber die Augen lagen tief versteckt. Die Pupillen waren nicht in sich abgeschlossen, sie liefen über, ausstrahlend und doch wie verirrt in das Weiße des Auges.

      Er stand vor dem Spiegel und der zusammengepreßte Mund, mit den dunklen, schmalen Zähnen erkannte alle Schwächen der kraftlos weichen Hände, die sich auf den Rücken legten, während die Schultern sich nach hinten streckten, gewaltsam, künstlich.

      Als Ruth zur Tür hereinkam, saß er vor dem Pianino und spielte eine Beethoven-Sonate. Er trat ihr entgegen mit beiden ausgestreckten Händen. – Du kommst spät, sagte er liebenswürdig spöttisch. Aber seine Augen blickten böse in eine Ecke des Zimmers.

      Ruth erschrak. Wie immer legte sich der süßlichherbe Geruch der Räume, den sie nie wo anders getroffen hatte, betäubend um ihre Stirn. Sie lachte dann: Ja, denk nur, wieso, ich bin einen verkehrten Weg gegangen.

      – Du hast nicht kommen wollen, sagte er langsam und schwer.

      Alles stand still. Das Zimmer stand still, jeder Stuhl, selbst die Uhr, die sonst immer zu laut schnarrte. Etwas lebte nicht mehr, es war etwas gestorben, jetzt, in dieser Minute, etwas Furchtbares war ausgesprochen worden.

      Ruth dachte: Weinen können. Sie sah die hochmütigen Globen auf dem Wandregal, die alle staubig waren. Und die sattgelben Minerale auf dem unordentlichen Schreibtisch.

      Er rückte ihr den Stuhl zurecht, wie immer. Immer denselben Stuhl.

      – Aber was sagst du denn da? lachte Ruth. Es war ihr schlankes frohes Kinderlachen, das so seltsam hinaufkletterte über die grau verschossenen Wände, die zu hoch waren.

       – Mein Kind, sagte er, mit überschlagenen Beinen und fremden Augen, ich habe dich seit drei Wochen nicht gesehen und heute kommst du zu spät.

      – Du mußt mir erzählen, stöhnte Ruth, alles was da war, alles was du erlebt hast, was du gearbeitet hast.

      – Ruth, sagte er. Und sie haßte ihn. Spürte den Schnörkel in der Schlinge des R.

      Sie sah seine weißen, kraftlosen Hände. Wußte, daß sie diese Hände niemals vermissen könne. Seine Krawatte war zerschlissen.

      Eine heiße Welle stieg in ihr empor, würgte die Kehle. Aber sie war so müde. Hilf mir, sagte sie.

      Vor ihr war eine große, schwere Wage. Eine Schale war voll eiserner Gewichte, schwer und kalt. Die andere leer, ganz leer und hoch oben, mutterseelenallein.

      Die ganze Welt war aus dem Gleichgewicht durch diese Wage. Und durch die Disharmonie seiner Bewegungen. So wie er jetzt die Zigarre zum Munde führte.

      – Du kannst mich eben nicht mehr aushalten, sagte er langsam. Nein, er wußte nichts, er konnte ihr nicht helfen.

      Er erzählte ihr von seinem neuesten chemischen Experiment. Und sah sie an, als wäre sie eine schillernde Phiole.

      Ihr Gehirn wollte mitarbeiten, aber wieder wehrten sich ihre Hände, ihre Knie, ihr Blut dagegen.

      Die Nacht war hereingebrochen.

       Du, sagte Ruth plötzlich, als er ihr seine letzten Tage schilderte, wie er sich elend in Gasthäusern herumgetrieben. Hör’ auf. Ihre Stimme klang hart und hell. Sie sprang auf und nahm seine Hand. Und ein grenzenloses Mitleid, ein Schmerz, der sich selber zerbrach, lähmten ihren Atem. – Jetzt geh ich und komme nicht mehr. Deine Tür war verschlossen, letztesmal. Sie war immer verschlossen. Lüg nicht! Vielleicht weißt du es nicht. Ach, diese Kälte herinnen. Und ich liebe dich. Hörst du mich nicht. Das ganze Zimmer hört mich ja. Die Bäume draußen hören mich. So hör mich.

      – Ich höre, mein Kind, sagte er und sie stampfte mit dem Fuß, weil er mein Kind sagte.

      – Du weißt, daß ich seit zwei Jahren für dich gelebt habe, fuhr sie fort und ihre Stimme überschlug sich. Aber ich sage dir, ich spüre eine Erschöpfung, eine Gefahr, ich bin zu voll von dir, ich kann dich nicht mehr ertragen. O, was tust du mit mir.

      – Wohin willst du, sagte er und nahm einen Zug aus seiner Zigarre.

      – Fort, schrie Ruth. Was bin ich dir? Eine Phiole mehr für deine Experimente.

      – Törichtes Kind, sprach er und seine Stimme war schwarz in der lauen Nacht. Fort – du kannst nicht mehr fort. Du warst die Phiole für mein kostbarstes Experiment. In dir habe ich mich selber experimentiert.

      In diesem Augenblick sah Ruth vor sich auf dem Schreibtisch ein schmales, scharf geschliffenes Messer liegen.

       – Wohin willst du, fragte er und vertrat ihr den Weg zur Türe. Du Kleine, die du die ganze Last eines verbrauchten Lebens in dir trägst.

      Ruth roch Blut. Oder waren das seine Chemikalien.

      – Nein, sagte sie. Und ging hinaus ohne ihm die Hand zu geben.

      Im Stiegenhaus brannte grellrot elektrisches Licht. Und die Straße lärmte.

       Der Kleiderkasten

      Ruth erwachte. Durch das Fenster stieß peinigend laut Licht. Es kam von drüben, von der fahlgelben Hofmauer, zerbrochen und unverschämt schrill. Es saugte die Menschen aus ihren Betten, aus ihren Häusern, ihren Gewohnheiten. Und weil heute Sonntag war, liefen sie alle hinaus. In eine Freiheit, die zu hell war. Daß die großen grünen Blätter schon verdeckt lagen von Staub und zu viel erlebt haben. Wie das schmerzt. Und alle schreien. Irgendwo wird Bier ausgeschenkt.

      Dasselbe Licht kroch über die Gegenstände ihres Zimmers, die sonst dunkel waren. Sie traten heraus aus sich selbst, aus ihrem farblosen Dasein und jede Kontur wurde scharf und kam weit hervor.

      Es war nicht zum Aushalten. Ruth sprang auf. Sie ließ die Jalousie herunter und war erleichtert, als die Eisenstangen auf dem Fensterbrett aufschlugen. Dann legte sie sich wieder in das zerwühlte Bett, obendrauf, den Kopf weit nach hinten.

      Vor ihr stand der Kirschholzkasten. Der liebe, lichte, gerade Kirschholzkasten.

      Tisch und Stühle und vor allem das dunkle Bücherbrett trugen noch sein Gepräge. Sie waren immer nur dagewesen, um zu warten, daß sie zu ihm gehe. Und wenn sie wieder kam, waren sie voll Warten für das nächstemal. Und nur voll Warten.

      Aber der lichte Kirschholzkasten war schon früher dagewesen. Sie sah starr auf ihn mit halbgeschlossenen Lidern. Um die anderen nicht zu sehen.

      Der Kasten hatte etwas vom lieben Gott. Ganz bestimmt. Von dem lieben Gott, vor dem man die Hände faltet, um zu ihm zu beten. Der einen weißen Bart hat. Und man braucht nur brav zu sein und es kann einem gar nichts geschehen. Er schmeckt nach Zuckerlämmchen, die zu Ostern verkauft werden. Und auch ein bißchen verstaubt.

      Dieser liebe, breitlinige Kasten war einmal groß, so groß, daß man nicht bis zum Schlüssel reichen konnte. Und alles war darin, was man nur brauchte.

      Ruth bäumte sich auf. Der liebe Gott war tot. In dem lichten Kirschholzkasten hing eine Menge dunkler Stoffe. Die rochen alle ein wenig nach fremden Chemikalien, süßlich herb. Stundenlang war sie gesessen, den Kopf in diesen Kleidern vergraben, um den geheimnisvollen Duft einzusaugen. Nein, sie wird den Kasten nie mehr aufsperren können.

      Sie betrachtete mißtrauisch ihre braunen Kinderhände. Mit den kurzen Fingern, die noch niemals etwas sein wollten und noch niemals etwas festgehalten hatten, immer nur alles fragend betastet. Rochen sie nicht in ihrem Innern, ganz drinnen in der Handfläche, aus den Poren heraus nach ihm? Sie dachte an das Versinken in seinen großen, zu weißen Händen und ihr wurde übel. Ihre widerspenstig flockigen Haare rochen ja auch nach dort – ist sie denn ganz von ihm durchzogen, vergiftet –

      Sie wird ein Bad nehmen. Und sich die Haare waschen mit sehr viel Seife. Das wird nützen. Und die Möbel heute gut abstauben, mit einem neuen Staubtuch.

      O Gott, wenn sie nicht auf den Kasten sieht, sieht sie überall ihn, nein, nicht ihn und auch nicht seine Augen, nur seinen Blick.