Totensee, oder Die Odyssee des van Hoyman (eine historische Erzählung) & Der viereinhalbte Mann (eine Kriminalgroteske). Barni Bigman

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Название Totensee, oder Die Odyssee des van Hoyman (eine historische Erzählung) & Der viereinhalbte Mann (eine Kriminalgroteske)
Автор произведения Barni Bigman
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738008036



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      Ein voreiliger Schwur

      Manfred war immer ein besserer Koch als ein besserer Mensch gewesen. Aber hatte er diese Situation verdient? Gestern noch hatte er am Strand der Großen Insel in Westindien gesessen und an einem Stock schnitzend auf den Donner der Bordkanone gewartet, der die letzten Boote zurück an Bord beordern würde. Er gehörte immer zu den letzten, die an Bord gingen und wusste nicht, was die anderen der schaurigen Gang zu übertriebener Eile bewog. Die Reise in die Heimat war noch lang und beschwerlich genug. Er hatte dafür gesorgt, dass wie immer ausreichend Wasser und Nahrung an Bord des kleinen Handelsschiffes gebracht wurden. Alles schien komplikationslos wie immer.

      Manfred war der uneheliche Spross einer Marketenderin, und eines nicht identifizierten Subjektes, die in einem Tross von Landsknechten mitgelaufen war und sich durch das Zubereiten von Speisen leidlich über Wasser hielt und so sich selbst und ihren Sohn durchbrachte. Also hatte es Manfred früh gelernt aus wenigen Zutaten recht schmackhafte Speisen zuzubereiten, die dazu angetan waren Schläge der rauen Gesellen zu vermeiden. Kochen wurde zu seiner Passion und als er größer und kräftiger wurde, half er der Mutter täglich und trug fleißig zum Lebenserhalt bei. Seine Mutter war bereits über vierzig Lenze alt und durch das harte Leben recht gebrechlich geworden, als sie sich eines schönen Tages aus dem Leben stahl und verschied. Manfred war allein unter Söldnern, die nichts anderes zu tun hatten, als den vor Trauer und Gram gebrochen Dasitzenden grinsend zu fragen, ob die Alte endlich die Hufe hochgerissen hätte und wann er geruhen würde, das Essen fertig zu stellen. Es hagelte Schläge und bei der nächsten Gelegenheit entlief der Geschundene und ließ die ganze Blase hungrig und fluchend zurück. Als Hilfskoch und später als Smutje auf verschiedenen Schiffen schlug er sich nun durchs Leben und träumte jedoch immer von einem eigenen Gasthaus. Alle Träume waren jetzt mit einem Schlag zunichte gemacht.

      Und nun lag Manfred bäuchlings auf dem Rest des Großmastes, an dem noch eine halbe Rahe und Teile des Segels hingen und trieb in der warmen Dünung der See. Die Eile des Kapitäns, noch vor Eintritt der Regenzeit, mit der meist schwere Stürme einhergingen, Segel gen Heimat zu setzen, hatte dazu geführt, dass ein Segel am Horizont übersehen wurde, was sich als ein fataler Fehler herausstellte. Zwar waren sie nicht ein Ziel erster Wahl für Piraten, da sie nicht zu den Gold führenden Galeonen der Mächtigen zählten, aber dennoch stellten sie für Seeräuber eine lohnende Prise dar und wenn der Raub nur dazu führte, keinen Hafen anlaufen zu müssen, sondern sich aus fremden Vorräten bedienen zu können.

      Schnell, zu schnell war das leichtere Piratenschiff herangekommen. Schon mit der ersten Breitseite ging der Großmast in Stücke und ein Tampen wickelte sich um Manfreds beide Beine und zog ihn mit Mast und Takelageteilen unaufhaltsam ins Meer. Manfred, der von der sonstigen Besatzung gern Fred gerufen wurde, war dem Tode geweiht. Hätte er nicht seine Machete in der Hand behalten, er wäre so gefesselt sicherlich elendiglich ersoffen. So aber schlug er wild auf die Taue, die auf dem Maststumpf lagen, ein und als diese nachgaben, kam er frei. Aber auch der Mastrest nebst Rahteil und einigem Segeltuch kamen frei und entfernten sich stetig, den armen Fred mitführend, von den Schiffen.

      So konnte Fred aus sicherer Entfernung mit ansehen und anhören, wie das Geschreie immer leiser und weniger wurde, wie seine Kameraden allesamt gemeuchelt wurden und zu Guter Letzt das Schiff geplündert und in Brand gesteckt wurde. Manfred hatte nun das zweifelhafte Vergnügen der letzte Überlebende dieser Tragödie zu sein. Glück gehabt, oder Gott oder der Teufel hatten ein Einsehen.

      Fred der glückliche Koch lag nun schon einige Tage und Nächte bäuchlings mit den Beinen im Wasser auf seinem Mastfloß. Mehrere große Dreiecksflossen umkreisten das Treibgut aber der Segelrest der unter Freds Beinen einen großen Sack gebildet hatte schützte ihn vor den gefräßigen Fischen. Diese kamen so um die Verkostung eines sicher recht schmackhaften Koches. Aber, sehr mager und zart wäre er eh nicht gewesen und selbst das sonst freundlich dreinblickende Pfannkuchengesicht war zwischenzeitlich salzverkrustet und ungenießbar. Fred hatte Wahnvorstellungen und nur noch wenige, klare Momente, in denen er seine Lage realistisch beurteilen konnte. Der Durst peinigte ihn mehr als der Hunger, welcher irgendwann kaum noch zu spüren war.

      Er war auf offener See und hatte nur die Optionen zu verdursten, rechtzeitig an einen Strand gespült, oder von einem Schiff entdeckt und aufgepickt zu werden. Selbst konnte er nichts weiter tun. Er war der See und der Sonne ausgeliefert und ergab sich in sein Schicksal. Manfred der Koch träumte einen Traum, der ihm immer in Erinnerung bleiben sollte und der sein großes Lebensziel beinhaltete. Er befand sich in einem großen Gasthof voller Menschen und es war sein eigener und er durfte kochen, kochen, kochen. Und seine Gäste jubelten ihm zu und priesen seine Speisen und seine Kunst, bis…, ja, bis ein großer Wolkenbruch kam und die Decke des Gasthofes einstürzte und alles voller Wasser war.

      Wasser, Wasser, stöhnte Fred und leckte gierig über seine nun feuchten Lippen. Die ersten Ausläufer der Regenzeit hatten ein Einsehen gehabt und entluden sich in einem gewaltigen Regenguss mit Tropfen, die einem im Nu den Mund füllen konnten. Niemals vorher hatte Fred Regenwasser als so angenehm empfunden. Er trank sich satt und wäre fast an den großen Schlucken gestorben. So schnell, wie der Regen gekommen war, so schnell hörte er wieder auf. Als wenn ein gütiger, gnädiger Gott die Schleusentore geöffnet und wieder geschlossen hätte. Und wieder vergingen einige Tage, in denen Manfred zwar von seinen körpereigenen Reserven zehren musste, aber ab und zu der gnädige Regen kam und ihn labte. Seinen Traum vom eigenen Gasthof aber konnte Fred nie vergessen.

      Fred schlief auf Sack und Mast, als er von hinten eine Stimme vernahm: „Ahoi, Seemann, bitte an Bord kommen zu dürfen, ha, ha. Oder willst Du etwa mit?“ Als Fred sich berappelt hatte und realisierte, dass die Stimme tatsächlich real war und nicht seinem wirren Kopf entsprang, wollte er natürlich mit. Aus eigener Kraft war dieses zwar nicht möglich, aber viele hilfreiche, stattlich starke Hände packten ihn und er verließ sein Floß glücklich und schlief friedlich wieder ein.

      Das Große Handelsschiff war auch auf der Rückreise in heimatliche Gefilde und als Fred leidlich wieder hergestellt war, dankte er dem ersten Offizier überschwänglich für sein Leben und schwor, so lange an Bord zu arbeiten, bis er nicht mehr gebraucht würde. Das wurde wohlwollend angenommen. Da der letzte Koch wegen verdorbenen Essens Kiel geholt worden war und dieses seinem Leben nicht zuträglich erschien, hatte Fred nun die Schiffskochstelle auf Lebenszeit.

      Voreilige Treueschwüre führen nie zu einem guten Ende und so kam es, dass dem guten Fred viel zu spät bewusst wurde, dass er auf einem Sklavenschiff angeheuert hatte. Auf Heimatkurs waren natürlich keine Sklaven mehr an Bord, aber er sollte noch manche traurige Fracht mit nach Westindien begleiten und bekochen.

       Nun war es schon das vierte Jahr und die vierte Heimfahrt gewesen und sie löschten schnell ihre Fracht, damit sie bald wieder auslaufen konnten und nicht zwischen die kriegerischen Flotten gerieten die derzeit die Meere des alten Europas unsicher machten. Fred hatte sich mit seiner fragwürdigen Arbeitsstelle abgefunden und hoffte nur, irgendwann einmal zu alt für dieses Geschäft sein zu dürfen und träumte immer wieder von einem Gasthof an Land.

      Verschleppt

      Langsam gingen die Lichter bei Piter van Hoyman wieder an und der höllische Kopfschmerz verhinderte vorerst jegliche Art anderer Wahrnehmung. Unter dieser Folter der Inquisition würde er alles gestehen. Ein salziger Geruch stieg Pit in die Nase und über ihm flatterte ein riesiger Drache mit den Flügeln. Langsam, in die Sonne blinzelnd, öffnete Pit erst ein und dann das andere Auge und erblickte über sich große Segel, die im Wind flatterten. Viele Stunden hatte er traumlos auf einem Haufen dicker Seile verbracht, was auch seinem Rücken nicht gut getan hatte. Pit fühlte sich wie krummgeschlossen.

      Er konnte sich kaum rühren und entschied sich, erst einmal abzuwarten, was geschehen würde. Augenscheinlich war es nicht die Inquisition, welche hier zugeschlagen hatte. Über ihm erschien ein breit grinsendes Pfannkuchengesicht, welches, mit einem schwarzen Rauschebart versehen, voller Ästhetik glänzte. „Na, wieder wach und unter den Lebenden? Weißt wohl nicht mehr, dass du bei uns angeheuert hast?“ Pit schwante nichts Gutes. Für