Totensee, oder Die Odyssee des van Hoyman (eine historische Erzählung) & Der viereinhalbte Mann (eine Kriminalgroteske). Barni Bigman

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Название Totensee, oder Die Odyssee des van Hoyman (eine historische Erzählung) & Der viereinhalbte Mann (eine Kriminalgroteske)
Автор произведения Barni Bigman
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738008036



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nahenden Winter in ihre Löcher flüchteten. Verrecken sollen Sie unter den Rockschößen der purpurnen Kutten, dachte Pit. Bei Hans und Greten durfte Pit dieses Thema nicht vertiefen. Sie glaubten und wollten und sollten den Glauben auch behalten. Er versprach zumindest Glück und Segen, was Pit sich selbst nicht zugestand und nach der Verfolgung schon gar nicht mehr.

      Die Zeit brach an, zu der sich der ganze Hof auf den harten Winter einstellte. Beim Holz hacken dachte Pit an die nun zufrierenden Gräben und Kanäle in seiner Heimat, auf denen sie die scharfen Knochen unter die Schuhe gespannt, bis in die weit entfernte Stadt laufen konnten. Letzten Winter war der Schneefall aber so intensiv, dass auch dieses nicht mehr möglich war. Die Ernte war unter Dach. Die Äpfel lagerten kühl und sollten, gut eingeteilt, über den Winter reichen. Die Schweine wurden, bis auf zwei, geschlachtet und zerlegt. Nun hingen sie fein säuberlich über dem Herd im Rauch der Esse, wo sie hin gehörten und kein Futter mehr verlangten. Der beißende Räuchergeruch vertrieb den üblen Duft nach rohem Fleisch und Blut und dieser wich langsam dem verheißungsvollen Duft nach leckeren Würsten und Schinken.

      Pit hackte Holz. Ganze Stämme, die schon einige Jahre unter dem heruntergezogenen Reetdach trockneten, hackte er in brauchbare Stücke. Holzhacken „anstatt“ dachte Pit. Laars war schon seit geraumer Zeit nachts mit Lisa in Gange. Auch wenn Pit dabei viel lernte, war es ihm doch jedes Mal sehr peinlich, wenn die beiden neben ihm in der Butze juchend und kreischend unter den üppig gefüllten Federbetten rummachten und die frisch aufgeworfene Strohunterlage bis auf die Holzbretter zerwühlten. Hoffentlich reißen sie sich Splitter in ihre Ärsche, fluchte Pit in sich hinein. Er zog sich wie immer die Decke über den Kopf, sodass er fast nicht mehr atmen konnte und schlief mit unkeuschen Gedanken ein.

      Der Winter war schwer zu ertragen. Das Tagewerk wurde bestimmt von den immer wiederkehrenden, lebensnotwendigen Tätigkeiten wie Einheizen, die einzige Kuh melken und füttern und auch den Eber und die Sau, welche als einzige nicht im Rauch hingen, mit Futter zu versorgen. Es wurde schon untereinander gestritten, wer heute die Arbeit tun durfte. Einzig das Essen zuzubereiten war Gretens und Lisas Bereich.

      Der Schnee lag inzwischen Meter hoch und der eisige Wind machte einen Aufenthalt außerhalb des Hauses so gut wie unmöglich. Das wenige Tageslicht welches noch durch die verschneiten Butzenscheiben bis in den Raum drang reichte nicht aus, um im Haus Karten zu spielen oder zu spinnen oder Handarbeiten zu machen. Dieses war nur im Schein einer Fettlampe oder auch mal einer Kerze möglich. Das ein oder andere Mal holte Bauer Hans auch seine Teufelsgeige hervor, die er von seinem Großvater geerbt hatte und leierte halbwegs erträglich eine Melodie, zu der alle reihum eine Strophe erfanden. Das war mal eine schöne Abwechslung. Dann, damit nicht zu viel Brennholz verbraucht werden musste, ging es wieder zu Bett.

      Greten und Hans verschwanden durch die gute Stube in ihrem Alkoven. Lisa und Laars weckten mal wieder die Kuh auf und das dritte Rad am Karren, der höchst überflüssige Pit lag mit hochrotem Kopf und einem mächtigen Ständer daneben und lernte. Als Pit am frühen Morgen erwachte, lag Lisa dicht an ihn geschmiegt bei ihm. Auch Laars war erwacht und schaute ihn über die Decke hinweg breit grinsend an. Na, was ist? Tönte er, du weißt doch inzwischen wie es geht, du eiserne Jungfrau. Pit streichelte Lisa vorsichtig bis sie erwachte und ihn lächelnd ansah. Die knisternde Spannung entlud sich in einem „Einführungsritus“ zu dritt, den Pit sein ganzes Leben hinweg nicht mehr vergessen sollte. Nach diesem Befreiungsschlag wollte keiner so recht in Gang kommen und Hans, der zwar etwas argwöhnisch guckte, molk selbst die Kuh.

      Die Tage gingen ins Land und die Nächte waren, auch mit der Mithilfe von Pit, sehr angenehm und immer wieder lehrreich. Angst vor dem reitenden Kirchenvolk brauchte Pit in dieser schneereichen Winterzeit wohl nicht zu haben. Aber auch der längste Winter mit seiner Tristesse, Langweiligkeit und Geilheit, geht einmal vorbei. Mit dem ersten Tauwetter kamen auch die sorgenvollen Gedanken wieder und eine innere Unruhe verhieß Pit, dass es bald Zeit zum Aufbruch sein würde, während das bäuerliche Leben auf dem Hof wieder erwachte. Auch, wenn es genügend Arbeit bei Hans Wilken gab, so war doch allen klar, dass Pit weder als Knecht bei Hans bleiben wollte, noch bleiben konnte. Er hätte auch diesen Hof nur gefährdet und der Willkür der Inquisition ausgesetzt.

      Der Tag des Aufbruches war gekommen. Der Schnee war geschmolzen und die ersten Frühblüher steckten ihre Köpfe aus der noch kalten Erde. Pit grauste es vor den unsäglich kalten Nächten, die er im Freien verbringen würde. Aber der Abschied war unvermeidlich. Seine Häscher würden bald wieder auftauchen und dann wären auch die freundlichen Bauersleute nebst dem Gesinde mit ihm in Gefahr.

      Der lange Hans hatte ihm erklärt, wie er die nahe Stadt weit umgehen konnte. Es war jedoch auf diesem Pfad nicht zu vermeiden, dass er nahe an einem großen Hafen vorbei kommen würde. Hier wäre verstärkt Vorsicht geboten. Hans und Greten dankten ihm noch einmal für die gute Arbeit und die erfreuliche Gesellschaft und staffierten ihn mit allerlei nützlichem Zeug aus. Brot, Schinkenspeck und eine warme Weste sowie eine Decke gehörten dazu.

      Der Abschied war schwer. Lisa, die über Winter einen kleinen Bauch bekommen hatte und wohl bald, schnellstens, durch die vordere Kirchentür schreitend, den Laars heiraten musste, weinte bitterlich, als Pit sich anschickte, wieder das Weite zu suchen. Alle hatten Tränen in den Augen und verabschiedeten ihn herzlich. Als er um die Wegbiegung verschwand und nicht mehr winken musste, fiel ihm eine Last vom Herzen. Bei aller Trauer um das Verlorene, freute er sich doch neugierig und wissbegierig wie er war, auf die vor ihm liegenden Geschehnisse, die ihm abenteuerlich winkten.

      Die große Stadt musste Pit umgehen. Nicht nur wegen etwaiger Schergen der Inquisition, sondern auch, weil er von einem Bettler, dem er einen seiner wenigen Kupfermünzen gegeben hatte erfuhr, dass dort die schwarzen Ärzte mit den Schnabelmasken umgingen und Leichen über Leichen wegschafften. Pit konnte es sich zwar nicht vorstellen, hatte aber genug Verstand auf den fragwürdigen Bericht des Bettlers zu hören. So wich er von dem Pfad, der in den Weg zur Stadt münden sollte ab und wanderte über das halb vereiste Ackerland und das darauf folgende Brachland, welches in Ermangelung von Menschen wohl nie bebaut würde. Von einem kleinen Hügel aus konnte Pit die Türme der Stadt sehen, die an dem ersten großen Fluss lag, welchen er überqueren musste um weiter nach Nordosten in das von der guten Erna beschriebene Land vordringen zu können.

      Zwei Tagesmärsche noch und zwei Nächte die trotz der Decke eisig kalt waren und er würde sich einen Fährmann suchen müssen. In der zweiten Nacht traute er sich endlich ein kleines Feuer zu entfachen, damit die zwischenzeitlich sehr nass gewordene Decke trocknen konnte, sodass sie wieder ihren Zweck erfüllte. Am darauf folgenden Tag erreichte Pit unterhalb der Stadt den großen Fluss. Obwohl er Wind und Wetter gewohnt war, zerrte der noch immer vorhandene Frost an seinen Kräften.

      In der Nähe des Ufers sah Pit, nachdem er sich durch ein Gebüsch auf einen engen Pfad gezwängt hatte, eine Schänke aus derem Schornstein heraus dicker Qualm drang der wohlige Wärme verhieß. Seitlich der Schänke gewahrte Pit ein größeres Ruderboot mit mehreren Riemen, welches ihn eventuell sogar hinüber zum anderen Ufer würde bringen können. Er vergaß alle Vorsicht und trat durch die große, eichene Eingangstür der alten Schänke in den Vorraum wo allerlei Zeug, Mantelsäcke, Jacken und sogar einige Ruder herumhingen und standen.

      Der Gastraum war gut besucht. Die Gäste, augenscheinlich Fischer, Seeleute und manch fragwürdiges andere Gesindel kümmerten sich nicht weiter um ihn, nachdem einige ihn aus dem Augenwinkel heraus gemustert hatten. Pit setzte sich ruhig in eine dunkle Ecke an einen kleinen Tisch. Bei dem dicken, etwas schmierig aussehenden Wirt bestellte er einen Krug Bier und eine Schüssel mit dem undefinierbaren Brei, welcher in dem großen, eisernen Kübel über dem Feuer vor sich hin köchelte. Pit war müde und fühlte sich zerschlagen. Der Brei und das warme, schwere Bier brachten zwar kurzfristig die Lebensgeister zurück, aber nachdem das Bier schmeckte und nach dem einen Krug ein zweiter und dritter folgte, verabschiedeten sich diese auch wieder.

       Pit wankte auf den Vorhof und zum nahen Gebüsch um notwendigerweise sein Wasser ab zu schlagen, welches er sonst im Gasthof hätte tun müssen, was den guten Wirt wohl verärgert hätte. Nachdem er notdürftig alle Gerätschaften wieder dort verstaut hatte, wo sie hin gehörten, hörte Pit hinter sich ein Geräusch. Sein plötzlich schmerzender Hinterkopf ließ ihm nur noch aufblitzende Gedanken