Totensee, oder Die Odyssee des van Hoyman (eine historische Erzählung) & Der viereinhalbte Mann (eine Kriminalgroteske). Barni Bigman

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Название Totensee, oder Die Odyssee des van Hoyman (eine historische Erzählung) & Der viereinhalbte Mann (eine Kriminalgroteske)
Автор произведения Barni Bigman
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738008036



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Johann und seine Brüder würden es schon schaffen, ohne ihn die Feldarbeit zu bestreiten, aber wie gern wäre er dabei gewesen.

      Piter musste weiter kommen. Das Jahr war schon weit fortgeschritten und er hatte kaum noch Vorräte. Wenn ihm nicht bald etwas einfiele, würde er verhungern oder zumindest im Winter erfrieren. Aber vorerst wollte er nicht verdursten und ging geschwind am Feldrand entlang hinab zur Senke. In dieser hatte sich nicht nur Regenwasser gesammelt. Ein kleiner Bach, den er vorher nicht wahrgenommen hatte schlängelte sich dort durch die Felder. Pit entledigte sich der hohen Stulpenstiefel, kühlte seine von den letzten Tagen und Märschen wunden, blasenbesetzten Füße, wusch sich und trank sich satt. Köstlich, wie die besten Suppen der guten Erna schmeckte das Wasser, das sich glucksend und sprudelnd um seine Füße wand.

      So beschäftigt und mit sich selbst im Reinen wurde er plötzlich von hinten angesprochen. Sein Nackenhaar stellte sich auf und schnell wie der Wind drehte er sich herum. Da stand ein hochgewachsener, bärtiger Kerl neben seinen Stiefeln. Der Bart war gepflegt und die Spitzen des Oberlippenbartes zu kleinen Spiralen gedreht, während der Kinnbart nur sauber und ordentlich gestutzt war. Er sieht wie ein Bauer und gar nicht wie ein Strauchdieb aus, dachte Piter. Sogar seine Arbeitskleidung ist sauber.

      Pit hatte das eiserne Messer, welches Erna wohl von einem Landsknecht wie auch immer bekommen und ihm mitgegeben hatte, immer im rechten Stiefel stecken. Unerreichbar war dieses für ihn nun. Aber der Kerl sah freundlich aus. „Wohin des Wegs junger Mann, „ tönte es Pit entgegen. „Wer seid Ihr und was tut Ihr auf meinem Land?“ Also doch ein Bauer. Pit fiel eine Last von der Seele und ein Stein vom Herzen.

      „Solltet Ihr nicht bei der Ernte sein anstatt friedliche Wanderer zu erschrecken“, ranzte Pit zurück. Der lange Bartträger namens Hans Wilken lachte. „Mit der Friedlichkeit ist es wohl nicht weit her, wenn Ihr solche Erntegeräte in euren Stiefeln stecken habt.“ Er hatte das Messer gefunden und spielte damit, warf es von Hand zu Hand. „Na, ja, in solchen Zeiten ist es wohl angebracht so etwas dabei zu haben.“ Er steckte es in Pits Stiefel zurück. „Wenn ich dir etwas Böses gewollt hätte, wärest du nun nicht mehr am Leben. Aber ich will mir ja nicht meinen Bach versauen.“ Wieder lachte der lange Hans herzlich. „Siehst wie ein Bauer aus. Hast wohl was ausgefressen, dass du nun hier herumläufst?“

      „Ich hab niemandem etwas zu Leid getan“, sagte Pit. „Nur etwas auf mächtigen Füßen herum getrampelt, weil ich mein Maul nicht im Zaum hatte.“ Hans schaute nachdenklich drein. „Die Ernte ist dieses Jahr reichlich. Könnte Hilfe gebrauchen. Wenn du mir helfen willst, sollst du Essen und Trinken auch über den Winter haben. Und niemand würde dich bei mir suchen, geschweige denn finden. Die Reiter waren bereits auf meinem Hof und sind dann weiter zur Stadt. Haben weder Hexen, noch Zauberer, noch Juden, noch dich gefunden.“

      „Zum Teufel mit ihnen“, meinte Pit. „Na ja, die tun doch auch nur ihre Pflicht und die Kirche wird schon wissen, wozu das alles gut ist“, meinte Hans. „Ja, das wird sie wohl“, meinte Pit und hielt, sich auf die Lippe beißend, sein selbstplapperndes Schandmaul im Zaum. „Werd schon fleißig für dich arbeiten.“ sagte Pit. „Soll unser beider Schade nicht sein.“ Dabei machte er, dass er aus dem kalten Wasser heraus kam und kletterte die Böschung hoch. Die Stiefel angezogen und rasch dem Hans, der schon ein Stück vorangegangen war, hinterher. Nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch kam der Hof von Hans Wilken in Sicht. Nicht, dass die Felder entlang der gesamten Strecke ihm gehörten. Nein. Er hatte Hans auf dem weit entferntesten Flurstück von mindestens fünf verstreut liegenden getroffen. Der Hof, wenn man ihn so nennen wollte, lag etwas entfernt vom Hauptweg, welchen sie nun kreuzen mussten.

      Pit ließ sich seine Enttäuschung beim Anblick der Hofstelle nicht anmerken. Der Hof seines Vaters mit den nach außen gerichteten Pferdeköpfen am Giebel, welche den freien Bauern anzeigten, die Stallungen und die Scheune, die so weit vom Haupthaus entfernt lagen, dass der rote Hahn nicht übergreifen konnte, waren keinen Vergleich wert, mit diesem Anwesen. Augenscheinlich war Hans Pächter und wohl früher Leibeigen gewesen, denn die Pferdeköpfe wiesen nach innen und schauten sich an. Der Hof war so gebaut, dass alles, Vieh, Gerätschaften, die Ernte und auch das Gesinde und die Bauersleute darin Platz fanden. Das wahrhaft riesige Strohdach war beinahe bis auf den Erdboden heruntergezogen, sodass die kleinen, aber bereits mit Butzenscheiben verglasten Fenster von Weitem kaum zu erkennen waren.

      Hans öffnete den unteren Teil der mächtigen, wuchtigen Dielentür und mit einer Verbeugung, weniger des „heiligen“ Spruches im Querbalken wegen, sondern eher, um sich nicht den Kopf zu stoßen, traten sie ein. Ein dumpfer, muffiger Geruch nach Kuh und Schwein empfing die müden Wanderer. Aber auch die Bäuerin Greten und Magd Lisa kamen ihnen entgegen und empfingen sie herzlich.

      Nach der unvermeidlichen Vorstellungsprozedur gingen sie über die lange Diele, am Schweinegatter und Kuhstalltrakt vorbei in den Wohnbereich. Hier änderte sich der Duft ein wenig und ging vom Schweine- und Kuhmuff in einen verheißungsvollen Essensdunst über, welcher einem riesigen, eisernen Kessel über dem offenen Feuer der Herdstelle entsprang. Die große Herdstelle, einer in die Quermauer integrierten, riesigen Esse, welche sich nach oben hin verjüngte und in einen verrußten Schornsteinschlot mündete, war mit allerlei im Rauch hängenden Fleischwaren bestückt. Schinken und Würste hingen nebeneinander an einer langen Holzstange nahe dem Schornstein.

      Linker Hand, neben der Esse war mannshoch dass Feuerholz gestapelt, während sich rechts die Tür zur guten Stube und den Räumen der Bauersleute anschloss. Vor der Herdstelle stand der lange, aus grob behauenen Eichenbohlen bestehende Esstisch, den zwei ebensolche Bänke auf beiden Seiten zu einem recht gemütlichen Ruheplatz machten. Ruheplatz? Pit schwante nichts Gutes, als er rechter Hand, gleich an den duftenden Kuhbereich anschließend das wahrhaft riesige, kastenartige Gesindebett wahrnahm. Die Butze. Ein Bett für alle.

      Natürlich nicht für die Bauersleute, deren Alkoven gemütlich im gute Stuben Bereich gleich hinter der warmen Herdwand lag. Na ja, hinter dem warmen Kuhstall war es im Winter sicher auch auszuhalten. Pit fragte Hans, mit wem er als neuer Butzenmann noch das Bett teilen sollte. „Nur mit Lisa und dem Knecht Laars. Den hast du noch nicht kennen gelernt, weil er noch Äpfel für den Winter pflückt.“ „So, so“, entgegnete Pit. „Das kann ja lustig werden.“ Er schaute hinüber zu Lisa und rieb sich das Kinn.

      Lisa war eine kleine gedrungene Frau, die ein hübsches, dralles Gesicht, Apfelbäckchen und, was am auffälligsten war, noch alle Zähne hatte. Ihre lange, bunte Schürze und ihr zauberhaftes Lächeln lenkten davon ab, dass sie außerdem ein kürzeres Bein hatte und deswegen hinkte. Nachts sind alle Katzen grau und alle Beine gleich lang, dachte Piter van Hoyman. Oh, lüsterner Knabe, beherrsche dein Streben und deinen sündigen Leib, poesierte er weiter in sich hinein und lenkte seine Gedanken in andere Richtungen.

      Die Dielentür öffnete sich und herein kam Laars mit einer großen Kiepe bis oben hin voll mit rotbäckigen Äpfeln. „Wer´s das denn?“ Tönte es Pit entgegen. „Das ist euer neuer bi ba Butzenmann“, lachte Hans. „Nein, Laars, im Ernst, wir können doch Hilfe gebrauchen und wenn er uns im Winter nicht die Haare vom Kopf frisst, ist er bestimmt auch als Geschichtenerzähler ganz brauchbar.“ „Dieses Bürschchen soll Geschichten erzählen? Was soll der schon erlebt haben. Ist doch höchstens 14 Jahre.“ „Nein, 15 Lenze,“ erwiderte Pit. „Und du bist sicher auch nicht viel älter.“ „Na, ja, 17 bin ich schon, aber Geschichten? Lisa ist 20 und kann sicher auch schon schlüpfriges erzählen.“ Laars kicherte anzüglich. „Werde wohl im Winter Verstärkung brauchen.“

      Pit lief rot an und Hans warf lachend ein: „Erst die Arbeit und, wenn ihr dann noch Flausen im Kopf habt, das Vergnügen.“ – „Aber keine Sauereien in diesem christlichen Haus. Nicht, dass die arme Lisa nachher mit einem Strohzopf geschmückt durch die Seitentür in die Kirche zur Trauung muss. Dass fällt alles auf den Bauern zurück und, obgleich der Hof abgelegen liegt, möchte ich doch nicht, dass das ganze Dorf über uns herzieht.“

      Damit waren die Fronten vorerst geklärt und der Alltag hielt mit harter Erntearbeit Einzug. Die Arbeit war fast wie zu Hause. Zumindest hielt die harte Arbeit Pit vom Grübeln ab und ließ ihn fast vergessen, dass er immer noch ein Verfolgter war. Erst der Winter würde ihn vor den Nachstellungen der Kirchenhorde