Nephilynn. Vanessa Olschansky

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Название Nephilynn
Автор произведения Vanessa Olschansky
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754948033



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würden, kann es auch eine neue Chance sein. Ich sah es als Chance und gab mir selbst ein Versprechen. Ich nahm mir vor, meine neue Rolle anzunehmen und Buße für mein Verbrechen zu tun. Mein Ziel war es, begnadigt zu werden, sodass ich zurück in den Himmel und zu meiner Schwester konnte. Noch einmal würde ich Gott nicht so enttäuschen. Ich nahm all meine Kraft zusammen und versuchte es ein weiteres Mal, es musste doch möglich sein, dass diese Dinger an den Enden meiner Beine, auch Füße genannt, in der Lage sind mich zu tragen. Ich hatte sie seit ich ein Engel war nicht viel genutzt und Sarah hatte mich oft gebeten, die Füße zu benutzen. Man konnte nie wissen wozu man seine Füße brauchte, aber so überheblich wie ich war, dachte ich, was sollte schon passieren? Wieso denn gehen, wenn man schweben kann? Ein weiteres Mal ärgerte ich mich, diesmal über mich selbst und meine Einfältigkeit aber ich gab nicht auf, auch wenn mich die Blicke der vorbei huschenden Menschen sichtlich irritierten. Ich war es nicht gewohnt, gesehen zu werden, noch dazu hatte ich nichts weiter an als diesen labbrigen Fetzen. Zusätzlich hinderten mich die Schmerzen meiner Schultern daran, mich auf meine Füße zu konzentrieren. Doch allmählich verstanden sie, wozu sie gemacht waren, und trugen mich, zunächst etwas schleppend doch dann immer besser, durch die Straßen. Während ich einen Fuß vor den anderen setzte und mich dem Gebäude näherte, fragte ich mich, was ich wohl zu Mona sagen würde, wenn ich sie gefunden hatte:

      »Hi, ich bins Emily, normalerweise bin ich dein Schutzengel und passe auf dich auf, du kannst mich nicht sehen aber jetzt bin ich ein Mensch, also lass uns Freunde sein?« Ich musste lachen, so dämlich war das und was noch viel schlimmer war, ich konnte diese Blicke nicht ertragen, das erste Mal seit ich tot war konnte man mich sehen. Die Menschen starrten mich an und dachten vermutlich ich sei aus irgendeiner Irrenanstalt geflohen, so wie ich aussah. Mein braunes Haar fiel ungekämmt und zerzaust über meine Schultern. Ich hatte keine Schuhe an und meine sonst so braunen Augen waren rot vor lauter Weinen. Mein Gesicht aufgequollen und müde dreinblickend, schlurfte ich schweren Schrittes durch die Straßen. Ich erkannte die Blicke, die auf mir ruhten, es war Mitleid und Bedauern, doch keiner von ihnen bot mir seine Hilfe an oder fragte, was geschehen war. Es war genauso, wie ich es erwartet hatte. In dieser Welt war kein Platz für Feingefühl seinen Mitmenschen gegenüber, jeder scherte sich nur um sich selbst und hier sollte ich jetzt also leben? Hervorragend. Mittlerweile war es schon fast Abend und ich schlappte durch die automatisch öffnenden Türen des Krankenhauses und stand in einer riesigen Lobby. Hektisch rannten Ärzte an mir vorbei und Krankenschwestern kümmerten sich um Angehörige oder rannten von einer Station in die Nächste.

      Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass niemandem auffiel, dass ich blutete. Glücklicherweise konnte mich die Dame am Empfang auch nur von vorne sehen, sodass meine Wunden an der Schulter verborgen blieben. Die stämmige Frau, vermutlich in den Dreißigern, hatte ihr rotblondes Haar zu einem Dutt auf ihrem Hinterkopf zusammengebunden und ohne aufzublicken fragte sie mich, wen ich denn besuchen wolle.

      Dann plötzlich fiel mir ein, dass ich Monas Nachnamen nicht kannte, sie war einfach Mona gewesen, schon immer. Während ich überlegte, traf mich ihr gelangweilter Blick, ohne ihren Kopf zu heben, schielte sie mich über ihre breite Hornbrille hinweg an und wartete genervt auf meine Antwort. Stammelnd versuchte ich mich aus der Situation zu retten.

      »Ehm..., ich suche Mona. Eine Krankenschwester, die hier arbeitet, leider ist mir ihr Nachname entfallen.« Gut, das war ja gar nicht so schlecht wie erwartet, nun musste ich darauf hoffen, dass Miss Gelangweilt vor mir wusste, wen ich meinte und dass es nur eine Mona gab, die hier als Krankenschwester arbeitete. Ihr Kopf nickte von ihr aus nach rechts und sie antwortete knapp, wie nicht anders zu erwarten:

      »Station 4F im zweiten Stock.« Offensichtlich kam es nicht selten vor, dass jemand nach ihr suchte. Es war sicher nicht nur mit bekannt, dass sie ein Herz aus Gold besaß und immer hilfsbereit war. Ich musste furchtbar aussehen, dennoch bedankte ich mich höflich und wollte so schnell wie möglich zu Mona, auch wenn ich immer noch keinen Schimmer hatte, was ich ihr wohl sagen würde, sobald ich ihr gegenüberstand.

      Ich lief den Korridor entlang und entschied mich für die Treppe, meine Füße hatten sich lange genug ausgeruht und ich war froh, nicht in einen dieser silbernen Kästen, die die Menschen Fahrstühle nannten, steigen zu müssen, sie hatten für mich etwas Unheimliches und ich fühlte mich nicht wohl in ihnen. Während mich die Stufen Mona näherbrachten, wollte ein anderer Teil von mir am liebsten umdrehen. Mit einem Mal schnürte sich mein Magen zusammen und mir wurde schlecht. Welch Ironie, dass ich direkt im Krankenhaus war, so würde mir wenigstens geholfen sollte ich rücklings die Treppe runterfallen. Ich stoppte kurz und atmete durch, während ich mir in Gedanken selbst Mut machte, es musste weiter gehen und Mona war meine einzige Chance hier. Sobald ich angekommen war, teilte sich der Flur in zwei Richtungen und ich folgte der Markierung an der Wand, die mir den Hinweis gab, nach rechts zu gehen. Jeder einzelne Schritt ließ mich nervöser werden, ich hatte immer noch keine Ahnung was ich sagen sollte, sobald ich Mona gefunden hatte, aber ich war zu weit gekommen, um jetzt aufzugeben und so setzte ich mich auf einen der Stühle im Wartezimmer und hoffte, dass sie früher oder später an mir vorbei hasten würde, genau dann würde ich aufspringen und... ja, was würde ich wohl sagen?

      Mir blieb überhaupt gar keine Zeit nachzudenken, denn es verging nicht mal eine Minute, da sah ich sie schon, sie war so anmutig und engelsgleich und wenn ich das schon dachte, dann musste da was dran sein. Diese schlanke, dunkelhäutige Frau in den Vierzigern stand im Flur und ging die Akte eines Patienten durch. Es war meine Chance und ich ergriff sie, mit zittrigen Beinen und schweißnassen Händen ging ich auf sie zu und tippte ihr zaghaft auf die Schulter.

      »Entschuldigen Sie bitte«, murmelte ich leise und als sie sich zu mir umdrehte, erkannte ich ihr schönes Gesicht. Ich lächelte und war erleichtert, jedoch schien Mona nicht zu wissen, dass ich es war, die vor ihr stand. Wie auch, sie hatte mich ja nie gesehen.

      »Ja?«, fragte sie mich mit einem freundlichen Lächeln. Ich bemühte mich, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und sah sie an. Noch bevor ich weitersprechen konnte, griff sie zaghaft nach meinem Arm.

      »Komm mit!«, sagte sie und genau wie die Dame am Empfang, schien sie mich für eine Obdachlose zu halten, die nun ihre Hilfe brauchte. Wir liefen ein paar Schritte, noch immer hatte sie ihre Hand auf meinem Arm. Dann stoppte sie abrupt und schnappte nach Luft. Ich blieb stehen und bemerkte ihren erstaunten Blick. Sie starrte mich an und ich begriff nicht, was hier vor sich ging. »Wer bist du?«, fragte sie mich und ich schluckte.

      »E… Emily«, antwortete ich mit zitternder Stimme. Was ging hier vor sich?

      »Das ist nicht möglich«, entgegnete sie und schüttelte den Kopf. Sie ließ mich los und wir setzten unseren Weg fort. Sie ließ mir den Vortritt ehe sie abermals nach Luft schnappte. Ich hatte nicht an meinen Rücken gedacht, sie rief entsetzt: »Du blutest!« Ich hielt die Luft an, weil ich hoffte, dass das niemand gehört hatte.

      »Das ist nicht so schlimm, wie es aussieht«, log ich sie an, doch sie durchschaute mich direkt und griff erneut nach meinem Arm. Sie schob mich in ein freies Zimmer.

      »Setz dich«, forderte sie mich auf und deutete auf das freie Patientenbett. »Ich weiß nicht, was hier vor sich geht, aber ich glaube, ich weiß, wer du bist, Emily,« sagte sie ruhig und ging einen Schritt auf mich zu. »Du musst das ausziehen, damit ich deine Wunden versorgen kann.« Sie deutete auf mein weißes Leibchen und ich tat, worum sie mich gebeten hatte.

      »Du weißt, wer ich bin?«, fragte ich leise, während sie sich so sanft und zaghaft wie möglich an die Versorgung meiner Wunden machte.

      »Ich habe es gespürt. Ich konnte früher deine Anwesenheit spüren und als ich dich eben angefasst habe, spürte ich dieselbe Energie.«, antwortete sie und ich presste meine Lippen aufeinander und schloss die Augen. Ein Zischen, um den Schmerz zu unterdrücken, entwich mir und ich ballte meine Hände zu Fäusten. »Wie kommt es, dass ich dich jetzt sehen kann?« Ich seufzte. »Es hat was hiermit zu tun, nicht wahr?« wollte sie wissen und ich nickte nur.

      »Ich bin jetzt ein Mensch.« erklärte ich das Offensichtliche. Liebevoll verband sie meine Wunden.

      »Fertig.«, sagte sie nach einer Weile. Als sie wieder in meinem Blickfeld war, lächelte sie.