RETROGRAD. Paul Datura

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Название RETROGRAD
Автор произведения Paul Datura
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742754875



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Aber mit einem beherzten Schwung stemmte sich Bea hoch auf die Mauer und saß auf ihr wie auf einem Pferd.

      ›Hut ab! Das war ja wie im Sportunterricht!‹, dachte sich P. als er Bea von unten ansah. Sie hockte rittlings auf der Mauerkrone und sagte nichts.

      »Was ist los«, flüsterte er vorsichtig. Sie machte mit ihrer kleinen Hand abwehrende Bewegungen in seine Richtung. Und dann sah er, wie sie in einen Lichtkegel geriet. Da draußen musste jemand mit einer Taschenlampe nach ihnen suchen. Die spannende Frage war jetzt nur, ob die Gangster Bea auf der Mauer gesehen hatten oder ob sie nur zufällig in den Lichtstrahl gekommen war. Anstatt wieder in den Park zurückzuspringen, winkte Bea ihn zu sich her. Er ergriff ihre Hand und zog sich langsam und vorsichtig hoch. Dabei suchten seine Füße Halt auf dem aufgestapelten Holzstoß. Einige der Holzscheite gerieten ins Rutschen und polterten zu Boden. Doch nach einem weiteren zittrigen Griff um die Mauerkrone konnte er sich hoch stemmen und kniete jetzt ebenfalls auf der bemoosten Mauerkrone. Um sie herum war es stockfinster. Sie blickten in ein Wäldchen aus dünnen hohen Bäumen mit sehr viel Unterholz und Gestrüpp. Auf einem Weg, der sich wahrscheinlich von der Bundesstraße kommend durch das Wäldchen schlängelte, sahen sie den Lichtstrahl von zwei Taschenlampen. Mindestens zwei oder mehrere Männer entfernten sich von ihnen und suchten das umliegende Gestrüpp mit der Taschenlampe ab. Als sich seine Augen an die neue Lichtsituation gewöhnt hatten, erkannte er zwei Männer. Zufällig leuchtete einer der beiden den anderen ins Gesicht. An Oberkörper und Gesicht konnte er erkennen, dass es sich um den Verfolger mit dem Messer handeln musste. Genau sah man das nicht. Die Statur und Größe und auch die Lederjacke passten.

      Die beiden Männer unterhielten sich plötzlich laut und schienen in Streit zu geraten. Ihr Verfolger schnappte sich plötzlich den anderen am Kragen und schrie ihn an.

      »Georgy, du bist der größte Idiot, den es gibt. Kapierst du den gar nichts? Hier dreht es sich um mehr als nur mal einen Spaghetti kaltmachen, du kleiner Wichser. Womöglich hast du alles versaut!« Dabei schüttelte der eine den anderen brutal hin und her und drückte ihn schließlich leicht nach hinten. Eine der Taschenlampen fiel zu Boden und rollte auf dem Weg davon. Als sie zum Halten kam, beleuchtete sie die Szene von unten, so dass Bea und P. genau mitbekamen was da unten ablief. Sie wagten kaum zu atmen.

      »Ich habe doch nichts gemacht! Ich wollte nur verhindern, dass der Mistkerl abhaut«. Man konnte richtig hören, wie dem anderen die Nerven durchgingen.

      Jetzt tickte der richtig aus und schrie mit wilder Wut: »Du hast nichts gemacht! Du hast echt nichts gemacht, sagst du? Zweimal über einen Typ drüberfahren ist nichts gemacht?«

      Dabei schüttelte er den Kopf des Gegenüber noch mehr von vorne und hinten. Dann sprach er auf einmal ganz ruhig: »Willst du mal sehen, wie ich nichts mache? Gar nichts mache?«

      »Oh, nein!« Mehr brachte der eine der Beiden nicht heraus, als die Schläge schon sehr schnell und hart in sein Gesicht und auf seinen Körper prasselten. Man konnte die dumpfen und klatschenden Treffer sehr gut hören. Der Schläger arbeitete sich offensichtlich sehr routiniert an seinem Opfer ab. Der Geschlagene hielt sich jammernd den Mund.

      »Du haft mir die Fähne ausgeschlagen, du Arfchloch«, jammerte er schrill. Daraufhin bekam er noch einen heftigen Tritt zwischen die Beine. Das Geräusch des Aufpralls konnte P. laut und deutlich hören. Der brutale Tritt ließ den Mörder sofort zusammensacken und am Boden krümmen. Man konnte hören, dass er versuchte einzuatmen. Aber sein Körper war durch den Schmerz zu sehr verkrampft. Auch P. krümmte sich solidarisch auf der Mauerkrone. Bis er sah, dass Bea ihn verblüfft ansah. Der eine der Verfolger griff sich sein Opfer und riss es brutal hoch.

      »Steh auf! Wir müssen die beiden finden. Die haben alles gesehen. Und außerdem haben sie etwas, dass wir eigentlich von Sergio haben wollten. Wenn wir sie nicht finden, verspreche ich dir, dass dir da unten niemals mehr was weh tun kann. Jetzt komm!«

      Er hob die Taschenlampe auf und drückte sie dem immer noch vor Schmerzen gekrümmtem Gegenüber in die Hand.

      »Weiter geht's. Wir finden die schon noch«.

      Langsam entfernten sich die beiden Verbrecher und bald hörten sie nur noch das jammernde Klagen des langsam hinkenden Opfers der brutalen Attacke.

      »Wir müssen hier schnellstens abhauen«, presste P. durch die Zähne. Er nahm sich die Hände von Bea und ließ sie vorsichtig an der Mauer herab gleiten. Dann versuchte er sich ebenfalls herunter gleiten zu lassen. Er kam aber zu schnell und zu schräg auf dem Boden auf und kippte nach hinten ins Gebüsch. Mit einem lauten Knacken zerteilte er mit seinem Hinterteil einen größeren morschen Ast, als er auf dem Boden auftraf. »Oh, Scheiße!«, dachte er.

      Bea schaute in Richtung der verschwundenen Verfolger. Von dort waren Rufe zu hören. Waren sie entdeckt? Sie bot ihm ihre Hand an und half ihm aufzustehen.

      »Wir müssen sehr schnell und sehr leise Land gewinnen«, flüsterte P. und rieb sich den schmerzenden Hintern. Zum Glück hatte er sich nicht verletzt. Entlang der Mauer waren relativ wenige Pflanzen und so kamen sie schnell voran.

      ›Nur weg!‹, dachte er und drehte den Kopf, um Verfolger besser hören zu können. Sie sahen und hörten die Straße am Waldrand. Dort gegenüber war die Stadt. Relative Sicherheit. Sie schlichen sich auf den Waldrand zu. Dort stand ein abgestellter Wagen. Saß da jemand drin und entdeckte sie im falschen Moment? Sie mussten es riskieren. Die Straße beobachtend bereiteten sie sich vor, aus dem Wald hervor zu preschen, die Straße zu überqueren und dann in die nächst beste Seitenstraße der Stadt zu verschwinden. Sie rannten beide ohne Kommando los und überquerten den Grünstreifen zwischen Straße und Waldrand. P. warf noch einen Blick zum Auto. Die Tür des Wagens öffnete sich gerade und ein Mann stieg aus. Bisher hatte er sie noch nicht gesehen. Bea stolperte über den Entwässerungsgraben und stürzte. Er blieb stehen und griff ihr unter den Arm, um sie hochzuziehen. Sie fluchte und stöhnte. Als sie beide die Straße überquerten, hatten sie gerade noch Glück. Ein schnell herankommendes Auto bremste scharf ab, wechselte hupend den Fahrstreifen und fuhr beschleunigend weiter. Der Fahrer gestikulierte wild in dem Wagen. Der Mann neben dem parkenden Fahrzeug schaute jetzt zu ihnen. Schnell stieg er wieder in den Wagen. Sie kamen an der anderen Straßenseite der Bundesstraße an.

      »Puh, das war knapp«, stöhnte Bea. Sie hinkte leicht. »Jetzt nichts wie weg!«.

      Sie sprintete in eine Seitenstraße. Er versuchte ihr nach zu laufen und musste erstaunt feststellen, dass sie wesentlich schneller laufen konnte als er. Er versuchte alles und holte sie dann doch noch ein.

      Schnell atmend rief sie ihm zu:»Wir werden uns trennen müssen. Dann haben wir bessere Chancen!«

      »Woher weist du das?«, fragte er dämlich.

      Sie schaute kurz zu ihm rüber, während beide schnell außer Atem kamen. So lange war er schon lange nicht mehr gesprintet.

      »Aus Horrorfilmen, du Dummkopf!«

      Hinter ihnen war ein Hupkonzert und Bremsgeräusche zu hören. Sie hatten die Verfolgung aufgenommen. Mit dem Auto würden sie schnell aufholen. Bea bog in einen kleinen Fußweg ein, der mit Treppen in Richtung eines Kinderspielplatzes führte.

      »Wir trennen uns bei nächster Gelegenheit. Sie haben nur ein Auto. Dann wissen sie vielleicht nicht, was sie als Nächstes tun sollen.«

      Auf dem Spielplatz angekommen hielten sie kurz an. In beide Richtungen führten Fußwege zu einer langen Reihe von Reihenhäusern.

      »Rechts oder links«, schnappte P. nach Luft ringend.

      »Falls du mich wiedersehen willst. Ich bin morgen im Vogue. Ab zehn. Ciao Süßer!«

      Bea hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Dabei blies sie ihm ihren süßlichen Atem stoßweise ins Gesicht. Dann spurtete sie nach rechts, weg in Richtung der Reihenhäuser. Perplex starrte er ihr nach.

      Sie blieb kurz stehen und rief: »Hau ab, du Idiot!«.

      Dann sprang sie wie ein Profi seitwärts über einen Waschbetonkasten für die Mülleimer und war raschelnd in einer Vorgartenhecke verschwunden. P. spürte noch die Lippen auf seiner Wange und schnupperte noch nach ihrem Atem, als er die Bremsgeräusche weiter unten auf der Straße hörte. Jetzt wurde ihm wieder bewusst, dass das hier