RETROGRAD. Paul Datura

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Название RETROGRAD
Автор произведения Paul Datura
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742754875



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ein Ausgang und vielleicht fänden sie auch eine Telefonzelle um die Polizei zu rufen. Oder irgend jemand, den sie um Hilfe bitten konnten. Sie wurden gerade von einer Mörderbande gejagt. Unglaublich, gerade war er noch müde und frustriert an der Theke gehangen. Jetzt fühlte er sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Er wollte leben. Diese Killer würden ihm und auch seiner schönen unbekannten Begleiterin hier im Park niemals ein professionell durchgezogenes Ende bereiten!

      Schnell wandte er sich nach links und zog Bea mit in die Dunkelheit. Sie verließen den Kiesweg und liefen in den Wald. Zwischen den Bäumen war es erschreckend still. Sie hörten nur ihr eigenes Keuchen und die raschelnden Geräusche ihrer Schritte im Laub. Kurz blieben sie stehen und unterdrückten einen Moment ihren stoßweisen Atem, um zu lauschen. Da waren schnelle Schritte im Kies zu hören. Eine Person lief in ihre Richtung. Also hatten sich die Verfolger getrennt. Gut, nur noch einer. Aber der eine würde für sie beide reichen. Bea wollte schnell weiter rennen, aber P. hielt sie zurück. Mit dem Finger an den Lippen und hochgezogenen Augenbrauen hielt er sie fest. Dann wies er nach links und machte vorsichtige Schritte in diese Richtung. Leise und gierig die Luft einsaugend bewegten sich die beiden nach links, zurück Richtung Mauer und Stadt. Ab und zu hielten sie inne, um zu lauschen. Aber der Verfolger war nicht dumm. Vermutlich stand er am Waldrand und versuchte zu hören, wo sie sich befanden. Das Herz von P. pochte in seinem Hals. Bea sah im Dunkeln so aus, als würde sie am liebsten laut kreischend im Kreis herum rennen. Sie kamen auf eine kleine Lichtung und da war sie: die Mauer. Dort hinüber und zurück zur Stadt! Ein lautes Rascheln von schnellen Schritten im Wald ließ die Beiden zusammenzucken. Den ersten Fluchtimpuls unterdrückend, schlichen sie schnell über die Lichtung auf die Mauer zu. Rechts stand eine Scheune direkt an der Mauer. Plötzlich hörten sie zwei Männer durch den Wald hetzen. Einer von hinten und einen von rechts.

      ›Profis eben‹, dachte P. resigniert. Schnell liefen sie jetzt ohne Rücksicht auf Geräusche auf die mindestens zwei Meter hohe Mauer zu. Ein Holzstapel, der an die Wand gestapelt war, würde ihnen gute Dienste leisten. Die Geräusche im Wald kamen schnell näher. Der Holzstapel war unendlich weit entfernt. Das würden sie nicht rechtzeitig schaffen. Mit entsetztem Blick schaute sich Bea zu ihm um. Dann zeigte sie hektisch hinter ihn auf die Scheune.

      ›Schlechte Idee‹, überlegte P.nervös, ›da suchen sie doch gleich‹. Jetzt nahm Bea P. an seiner Jacke und zerrte ihn in Richtung Scheune. Zwischen der Scheune und der Umgrenzungsmauer war ein schmaler Spalt. Bea zwängte sich seitlich in diesen Spalt hinein und winkte ihm auffordern zu. Dann verschwand sie ganz im Dunklen. Er versuchte ebenfalls in den Spalt zu gelangen.

      ›Wahnsinn‹, dachte er, ›wenn sie uns hier finden sind wir erledigt‹. Sein Kopf streifte hinten an der Wand, während seine Nase die Spinnweben an der Scheunenwand abstreifte. Die beiden arbeiteten sich mit kleinen Seitwärtsbewegungen bis in die Mitte der Scheune durch. Der Spalt war schmal und P. hatte irgend etwas im Mund. Außerdem bewegtes sich ein kleines Tier an seinem Handrücken in seinen Ärmel hinein. Sie konnten kaum atmen.

      ›Jetzt bloß keine Klaustrophobie!‹, ermahnte er sich. ›Und ganz flach atmen‹.

      Er schloss die Augen, da er sowieso nichts sehen konnte und lauschte. Er konnte die Männer über die Lichtung laufen hören.

      Einer der beiden rief: »Die sind über die Mauer. Da am Holzstapel hoch.«

      Der andere sprach ganz ruhig: »Lass uns doch erst mal die Scheune anschauen.« und dann lauter: »Wir kriegen euch schon noch, ihr zwei!«

      ›Scheiße sie haben uns‹, dachte er erst. Dann wurde ihm klar, dass der Mann nur aufs Geratewohl gerufen hatte.

      ›Auch noch psychologische Kriegsführung‹, dachte er.

      Die Männer öffneten die Scheune. Er hörte ein Feuerzeug klicken.

      »Hier ist nichts«, sagte der eine Mann.

      Der zweite rief jetzt doch sehr wütend: »Schnell zurück zum Auto. Wir müssen die kriegen und kaltstellen. Die haben alles gesehen. Und wo ist verdammt nochmal das Buch und der Schlüssel!«

      Sie hatten noch eine gefühlte Ewigkeit regungslos in dem Spalt verharrt und nach Geräuschen gelauscht. Schließlich hatte sich P. leise nach vorne gearbeitet und dabei jede Menge Insekten aus ihrer Nachtruhe gescheucht. Er fühlte mehrere Krabbeltiere in seinem Hemd herumkrabbeln. Allerdings hatte er im Moment mehr Angst davor, in ein hämisch grinsendes Gesicht eines der Schläger schauen zu müssen, wenn er sich aus dem Spalt herauswagte. Doch nach mehrmaligem und vorsichtigen Nachschauen konnte er niemand sehen. Da es dunkel war, konnte er die Lichtung nicht überblicken. Zur Sicherheit warteten sie noch einmal ein paar Minuten. Doch Bea gab plötzlich verzweifelt schnaufende, leise und panische Töne von sich und drängte ihn aus dem Spalt hinaus. Ihr waren ebenfalls mehrere Insekten in die Kleidung gekrabbelt. Sie warf ihre Jacke hektisch weg und zog sich ihr Netzshirt über den Kopf. Dann rieb sie sich Nacken und Oberkörper ab, wobei sie immer noch unterdrückte Geräusche machte. P. gefiel, was er sah. Eigentlich war er für die gnädige Dunkelheit sehr dankbar. Im Moment konnte er Ablenkungen nicht gebrauchen.

      Er hielt Bea am Oberarm fest und flüsterte: »Entschuldige« und rieb dann mit beiden Händen ihren Rücken ab, um vagabundierende Spinnen und Käfer abzustreifen. Dann zog er ebenfalls seine Jacke und sein Shirt aus und schüttelte sie aus. Falls irgendein Killer es auf sie abgesehen hatte, boten sie ihm einen idiotischen Anblick, schoss es ihm durch den Kopf. Deshalb ließ er sich schnell in die Hocke fallen. Bea kniete neben ihm und schaute ihn mit großen Augen an. Ihr war eben auch eingefallen, dass es größere Probleme gab als Krabbeltiere. Aber ihre Jäger waren verschwunden.

      Dann schlichen sie sich langsam durch den Park. Bei jedem Knacksen oder Rascheln zuckten sie zusammen und verharrten gebannt. P. hatte sich fast schon körperlich schmerzhaft darauf konzentriert, jede Annäherung aus dem Wald rechtzeitig zu hören. Zu sehen war wegen der Dunkelheit wenig. Wolken hatten den Himmel bedeckt und zwischen den Bäumen ließen sich bis auf wenige Meter nur schemenhafte Umrisse der Umgebung erkennen. Es war fast völlig finster. Sie scheuchten mehrmals Wild auf, dass sich mit krachendem und raschelnden Geräuschen erschreckt ins Unterholz aufmachte. Der Schock ließ ihnen jedes Mal das Blut in den Adern gefrieren. Nach einer halben Stunde langsamen und möglichst geräuschlosen Vorantastens im Wald erreichten sie den Rand des Parks.

      »Da vorne ist der Ausgang aus dem Park«, flüsterte P. und lehnte sich an die Parkmauer. Er wies in Richtung einer schummrig beleuchteten Ausgangsanlage mit Drehtor. Dort konnte man über einen wegen des Wildes speziell gesicherten Ausgang den Park verlassen und kam auf eine Zugangsstraße.

      Bea sah ihm im Halbdunkel furchtsam ins Gesicht und kam ihm sehr nahe, um ihm leise ins Ohr zu flüstern: »Und wenn die Killer dort auf uns warten?«.

      Am Liebsten hätte P. Bea jetzt in den Arm genommen. Er genoss die körperliche Nähe zu ihr und sog ihren Duft nach einem blumigen Parfüm, Angst und langem Laufen im Wald angenehm erregt ein.

      ›Leider haben wir jetzt andere Prioritäten‹, bedauerte er sich und verschob die aus seinem Unterbewusstsein aufdrängenden Gedanken auf später.

      »Da vorne ist in Richtung Schulzentrum sicher irgendwo eine Telefonzelle. Von da können wir die Polizei anrufen.«

      Bea sah ihn ernst und bittend an: »Bitte keine Polizei. Versprich mir nicht die Polizei zu holen! Sonst bekomme ich echt große Schwierigkeiten!« Sie schaute ihn im Halbdunkel mit großen Augen an. »Außerdem, fürchte ich, diese Typen sind keine Anfänger. Die dürften an den Ausgänge auf uns lauern, falls sie uns noch hier drin vermuten.«.

      »Wieso keine Polizei? Immerhin haben wir gerade ein Verbrechen beobachtet. Diese Typen gehören in den Knast!«, sagte er.

      Und dachte bei sich ›Da hilft auch ein schöner Augenaufschlag mit deinen großen braunen Augen nicht viel - oder doch?‹ Zu ihr gewandt sagte er: »Aber du hast recht! Wir werden irgendwo über die Mauer klettern müssen«.

      Sie liefen entlang der Parkmauer zurück in die Dunkelheit. Nach einiger Zeit fanden sie einen an der Mauer angelehnten Holzstapel.

      »Hier kommen wir über die Mauer«, flüsterte P, »ich