Schuld und Sühne. Fjodor M. Dostojewski

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Название Schuld und Sühne
Автор произведения Fjodor M. Dostojewski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754174456



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ihn, wenn Du ihn in Petersburg siehst, was sehr bald geschehen wird, nicht so voreilig und zu hitzig zu beurteilen, wie es Dir eigen ist, wenn Dir auf den ersten Blick etwas an ihm mißfällt. Ich sage das für jeden Fall, obwohl ich überzeugt bin, daß er auf Dich einen angenehmen Eindruck machen wird. Außerdem muß man an einen Menschen, den man wirklich kennenlernen will, ganz allmählich und mit der größten Vorsicht herantreten, um nicht in Fehler oder Vorurteile zu verfallen, die später sehr schwer zu korrigieren und zu beseitigen sind. Pjotr Petrowitsch ist aber, wenigstens nach vielen Anzeichen zu schließen, ein höchst ehrenwerter Mann. Gleich bei seinem ersten Besuch erklärte er uns, daß er ein nüchterner Mensch sei, doch in vielen Dingen, wie er sich selbst ausdrückte, ›die Überzeugungen unserer jüngsten Generation‹ teile und ein Feind von allen Vorurteilen sei. Er sagte noch vieles andere, denn er scheint etwas ehrgeizig zu sein und es zu lieben, daß man ihm zuhöre, aber das ist ja fast kein Fehler. Ich habe davon natürlich wenig verstanden, aber Dunja erklärte mir, daß er zwar nicht übermäßig gebildet, doch klug und anscheinend auch gut sei. Du kennst doch den Charakter Deiner Schwester, Rodja. Sie ist ein starkes, vernünftiges, geduldiges und großmütiges Mädchen, wenn auch etwas zu hitzig, was ich an ihr genau studiert habe. Natürlich liegt hier weder auf seiner noch auf ihrer Seite eine besondere Liebe vor, aber Dunja ist nicht nur ein kluges Mädchen, sondern auch ein edles Wesen, ein Engel, und wird es für ihre Pflicht halten, das Glück eines Mannes auszumachen, der auch seinerseits für ihr Glück sorgt; das letztere zu bezweifeln, haben wir zunächst keine zwingenden Gründe, obwohl die Sache, offen gestanden, doch etwas zu schnell zustandegekommen ist. Außerdem ist er ein klug berechnender Mann und wird natürlich selbst einsehen, daß sein eigenes Eheglück um so gesicherter sein wird, je glücklicher Dunjetschka mit ihm ist. Was aber irgendwelche Unebenheiten im Charakter, irgendwelche alte Angewohnheiten und sogar gewisse Gegensätze in den Ansichten (die sich ja auch in den glücklichsten Ehen nicht vermeiden lassen) betrifft, so hat mir Dunjetschka gesagt, daß sie sich darin auf sich selbst verläßt; daß kein Grund zur Beunruhigung vorliege und daß sie vieles tragen könne, unter der Bedingung, daß das Verhältnis auch in Zukunft ebenso ehrlich und gerecht bleibe. Das Außere eines Menschen ist aber oft trügerisch. Mir erschien er zum Beispiel im ersten Augenblick etwas schroff; das kann aber auch darauf beruhen, daß er gerade und offenherzig ist, und das ist auch sicher der Fall. Zum Beispiel schon bei seinem zweiten Besuche, als er das Jawort hatte, äußerte er sich im Gespräch, daß er sich schon früher, ehe er noch Dunja kennengelernt, vorgenommen hätte, ein ehrliches Mädchen, doch ohne Mitgift, zu heiraten, und zwar unbedingt eines, das schon in einer Notlage gewesen sei: er erklärte es damit, daß ein Mann, nach seiner Meinung, seiner Frau durch nichts verpflichtet sein müsse und daß es viel besser sei, wenn die Frau den Mann für ihren Wohltäter halte. Ich bemerke, daß er sich etwas weicher und liebenswürdiger ausdrückte, als ich es Dir hier schreibe, denn ich habe seine genauen Ausdrücke vergessen und erinnere mich nur des Sinnes; außerdem sagte er dies durch aus nicht mit Absicht, sondern ließ es nur in der Hitze des Gesprächs wohl ganz zufällig fallen, so daß er sich später bemühte, es zu vertuschen und zu mildern; und doch kam mir dies etwas schroff vor, und ich teilte diese Bedenken später auch Dunja mit. Aber Dunja antwortete mir sogar geärgert: ›Worte sind noch keine Taten‹, und hat natürlich recht. Vor ihrem Entschluß hatte Dunjetschka eine ganze Nacht nicht geschlafen und war, in der Meinung, daß ich schon schlafe, vom Bett aufgestanden und die ganze Nacht im Zimmer auf und ab gegangen; schließlich kniete sie nieder und betete lange und heiß vor dem Heiligenbilde; am anderen Morgen erklärte sie mir aber, daß sie sich entschlossen habe.

      Ich habe schon erwähnt, daß Pjotr Petrowitsch jetzt nach Petersburg reist. Er hat dort viel zu tun und will in Petersburg ein öffentliches Bureau für Rechtsangelegenheiten eröffnen. Er beschäftigt sich schon seit langer Zeit mit der Führung von Zivilklagen und Prozessen und hat erst dieser Tage einen bedeutenden Prozeß gewonnen. Darum muß er auch nach Petersburg, weil er dort vor dem Senat einen wichtigen Prozeß zu führen hat. So kann er auch Dir sehr nützlich sein, lieber Rodja, sogar in jeder Beziehung, und für mich und Dunja steht es schon fest, daß Du vom heutigen Tage an Deine zukünftige Karriere ganz bestimmt beginnen wirst und Deine Zukunft für gesichert ansehen darfst. Oh, wenn dies doch in Erfüllung ginge! Das wäre so ein Gewinn, daß man es nur für eine Gnade des Allerhalters ansehen dürfte. Dunja träumt überhaupt nur davon. Wir haben schon riskiert, einige Worte darüber Pjotr Petrowitsch zu sagen. Er äußerte sich sehr vorsichtig und sagte, daß er, da er ohne einen Sekretär nicht auskommen könne, es natürlich vorziehen würde, das Gehalt einem Verwandten und nicht einem Fremden zu zahlen, wenn dieser Verwandte sich nur für den Posten eigne (Du solltest Dich nicht eignen!); zugleich äußerte er aber auch Bedenken, ob Deine Studien an der Universität Dir genug Zeit für die Arbeit in seinem Bureau übrig lassen würden. Damit endete auch das erste Gespräch; Dunja will jetzt an nichts anderes denken. Seit einigen Tagen ist sie wie im Fieber und hat schon ein ganzes Projekt ausgeheckt, daß Du in Zukunft Gehilfe und sogar Kompagnon von Pjotr Petrowitsch in seinen Rechtsangelegenheiten werden könntest, um so mehr, als Du Jus studierst. Ich bin mit ihr vollkommen einverstanden, Rodja, und teile alle ihre Pläne und Hoffnungen, da ich sie für durchaus erfüllbar halte; und trotz der jetzigen, wohl verständlichen Zurückhaltung Pjotr Petrowitschs (weil er Dich noch gar nicht kennt) ist Dunja fest überzeugt, daß sie alles durch ihren guten Einfluß auf ihren künftigen Mann durchsetzen wird; ja, davon ist sie fest überzeugt. Wir nahmen uns natürlich sehr in acht, Pjotr Petrowitsch auch nur etwas von unseren Hoffnungen und davon, daß Du sein Kompagnon werden sollst, zu verraten. Er ist ein nüchterner Mensch und könnte es vielleicht etwas trocken aufnehmen, da ihm dies alles als ein leerer Traum erschienen wäre. Ebenso haben wir, weder ich noch Dunja, auch nur ein Sterbenswörtchen von unserer festen Zuversicht fallen lassen, daß er uns helfen werde, Dich mit Geld zu unterstützen, solange Du noch auf der Universität bist; wir sprachen nicht davon, erstens, weil er mit der Zeit ganz von selbst kommt und weil er es uns doch sicher selbst, ohne viele Worte, anbieten wird (kann er denn Dunjetschka etwas abschlagen?), um so mehr, als Du seine rechte Hand im Bureau werden kannst und diese Unterstützung nicht als eine Wohltat, sondern als ein verdientes Gehalt bekommen kannst. So will es Dunjetschka einrichten, und ich bin mit ihr vollkommen einverstanden. Zweitens haben wir mit ihm darüber nicht gesprochen, weil ich durchaus möchte, daß Du bei der bevorstehenden Begegnung auf dem gleichen Fuße mit ihm stehen sollst. Als Dunja zu ihm mit Entzücken über Dich sprach, antwortete er, daß man jeden Menschen zuerst persönlich und aus nächster Nähe sehen müsse, um über ihn urteilen zu können, und daß er sich selbst vorbehalte, nachdem er Dich einmal kennengelernt, seine Meinung über Dich zu bilden. Weißt Du was, mein teuerer Rodja, mir scheint aus gewissen Erwägungen, (die sich übrigens gar nicht auf Pjotr Petrowitsch beziehen, sondern aus meinen eigenen, persönlichen Erwägungen, vielleicht sogar aus einer Altweiberlaune) – mir scheint, daß ich vielleicht besser tue, wenn ich nach ihrer Hochzeit allein, so wie jetzt, lebe, und nicht mit ihnen. Ich bin fest davon überzeugt, daß er so vornehm und zartfühlend sein wird, mich selbst einzuladen und aufzufordern, mich von meiner Tochter nicht zu trennen; wenn er darüber noch nicht gesprochen hat, so doch natürlich nur darum, weil es sich auch ohne Worte ganz von selbst versteht; ich werde aber die Einladung nicht annehmen. Ich habe in meinem Leben mehr als einmal gesehen, daß die Schwiegermütter den Männern nicht sehr sympathisch sind, ich aber will nicht nur keinem Menschen zur Last fallen, sondern auch vollkommen frei und unabhängig sein, solange ich noch ein Stück Brot und solche Kinder habe wie Dich und Dunjetschka. Wenn es geht, werde ich mich in Euerer Nähe niederlassen, denn das Angenehmste habe ich für den Schluß des Briefes aufgespart, Rodja: erfahre nun, mein lieber Freund, daß wir uns alle drei vielleicht sehr bald nach der fast dreijährigen Trennung wiedersehen und umarmen werden! Es ist schon festbeschlossen, daß ich und Dunja nach Petersburg reisen; wann, weiß ich noch nicht, jedenfalls aber sehr, sehr bald, vielleicht sogar in einer Woche. Alles hängt von den Anordnungen Pjotr Petrowitschs ab, der uns, sobald er sich in Petersburg umgesehen hat, Nachricht geben wird. Aus verschiedenen Gründen will er die Eheformalitäten möglichst beschleunigen und die Hochzeit womöglich in der Fastnachtswoche feiern, und wenn das infolge der kurzen Frist nicht mehr geht, dann gleich nach Mariä Himmelfahrt. Oh, mit welchem Glück werde ich Dich an mein Herz drücken! Dunja ist vor Freude, Dich wiederzusehen, ganz aufgeregt und hat einmal im Scherz gesagt, daß sie schon deswegen den Pjotr Petrowitsch heiraten würde. Sie ist ein Engel! Sie schreibt Dir diesmal nicht, bittet mich aber,