Germinal. Emile Zola

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Название Germinal
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175019



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diese Kokette, die nicht schöner sei als eine andere, aber den ganzen Tag damit zubringe, die Löcher ihrer Haut zu mustern, sich zu waschen und mit Pomade zu bestreichen. Übrigens sei es Sache ihres Mannes, wenn ihm ein solches Brot schmecke. Es gebe ja so ehrgeizige Menschen, die ihren Vorgesetzten den Hintern reinigen möchten, um nur ein Dankeswort von ihnen zu hören. So ging es fort, bis sie durch die Ankunft einer Nachbarin unterbrochen wurden, die ein neunmonatiges Kind brachte, Desirée, Philomenens Jüngste. Philomene ließ sich zur Frühstücksstunde das Kind nach dem Sichtungswerke bringen und reichte ihm da, auf einem Kohlenhaufen sitzend, die Brust.

      »Die meinige darf ich nicht einen Augenblick allein lassen, sonst schreit sie gleich«, sagte die Maheu mit einem Blick auf Estella, die in ihren Armen eingeschlafen war.

      Doch es sollte ihr nicht gelingen, der Schlinge zu entgehen, die sie seit einer Weile der Levaque aus den Augen las.

      »Höre einmal: wir sollten doch ein Ende machen«, begann die Levaque.

      Die zwei Mütter waren anfänglich stillschweigend übereingekommen, die Heirat nicht zustandekommen zu lassen. Zacharias' Mutter wollte so lange wie möglich den Lohn ihres Sohnes in die Hand bekommen, und auch Frau Levaque wütete bei dem Gedanken, den Erwerb ihrer Tochter zu verlieren. Man hatte keine Eile; Philomenens Mutter hatte sich sogar dazu verstanden, Achilles zu behalten, solange dieser allein da war; doch als der Knabe größer wurde und Brot aß, und als ein zweites hinzukam, fand sie ihre Rechnung nicht mehr und drängte wütend auf die Hochzeit, weil sie nicht vom eigenen zulegen wollte.

      »Zacharias hat seine Militärpflicht hinter sich, nichts hält ihn mehr zurück. Wann wollen wir Hochzeit machen?« fragte sie weiter.

      »Verschieben wir es auf bessere Tage«, antwortete die Maheu verlegen. »Diese Geschichten sind so ärgerlich! Als ob sie nicht hätten warten können, bis sie verheiratet sind. Bei meiner Ehre! Ich würde Katharina erwürgen, wenn ich erführe, daß sie die nämliche Dummheit gemacht hat.«

      Die Levaque zuckte mit den Achseln.

      »Laß gut sein; sie ist nicht besser als die anderen«, sagte sie.

      Bouteloup ging jetzt zum Eßschrank und suchte da Brot mit der Ruhe eines Menschen, der zu Hause ist. Auf einer Ecke des Tisches lagen Gemüse, für Levaques Suppe bestimmt; Kartoffeln und Lauch, zur Hälfte geschält, inmitten des ewigen Tratsches zehnmal zur Hand genommen und wieder weggelegt. Das Weib hatte sich eben wieder daran gemacht, doch legte sie die Arbeit gleich wieder hin, um sich ans Fenster zu stellen.

      »Was ist denn das?... Schau, Frau Hennebeau mit Leuten. Jetzt treten sie bei der Pierron ein.

      Wieder fielen sie über die Pierron her. Das ist immer so: wenn die Gesellschaft Besucher im Arbeiterdorfe hat, führt man sie geradewegs zu dieser Frau, weil es da rein ist. Sicherlich erzählt man ihinen nicht die Geschichten mit dem Oberaufseher. Man kann leicht rein halten, wenn man Liebhaber hat, die dreitausend Franken erwerben, Wohnung und Heizung haben, die Geschenke ungerechnet. Ach ja: Außen der Glanz, innen der Tanz. In diesem Tone schimpften sie fort, solange die Fremden im Hause der Pierron waren.

      »Jetzt kommen sie heraus«, sagte endlich die Levaque. »Schau, meine Liebe, ich glaube gar, sie gehen zu dir.«

      Die Maheu wurde von Angst ergriffen. Wer weiß, ob Alzire den Tisch abgewischt hat? Ihre Suppe war auch noch nicht fertig. Mit einem flüchtigen »Auf Wiedersehen!« eilte sie davon nach ihrer Behausung, ohne rechts noch links zu schauen.

      Doch zu Hause war alles sauber und in Ordnung. Als Alzire sah, daß die Mutter nicht kam, hatte sie einen Küchenlappen vorgebunden und sich an die Zubereitung der Suppe gemacht. Sie hatte die letzten Lauchstummel und Sauerampfer im Garten gepflückt und war eben mit der Reinigung der Gemüse beschäftigt, während am Feuer in einem großen Kessel das Wasser für das Bad der Mannsleute warm gehalten wurde. Heinrich und Leonore waren zufällig artig und vertrieben sich die Zeit mit dem Zerreißen eines alten Kalenders. Der Vater Bonnemort rauchte still seine Pfeife.

      Die Maheu hatte sich noch nicht recht verschnauft, als Madame Hennebeau an die Tür klopfte.

      »Sie erlauben wohl, liebe Frau?«

      Sie war groß und blond, etwas schwerfällig in der schönen Reife einer Vierzigerin; sie lächelte mit gezwungener Leutseligkeit und ließ nicht allzu sehr ihre Furcht durchblicken, ihr Kleid von bronzefarbener Seide zu beschmutzen, über dem sie einen Mantel von schwarzem Samt trug.

      »Treten Sie ein, treten Sie ein«, wiederholte sie ihren Gästen. »Wir stören niemanden ... Da ist's ebenfalls hübsch sauber, nicht wahr? Und diese wackere Frau hat sieben Kinder! So sind alle unsere Familien ... Wie ich Ihnen schon erklärt habe, vermietet ihnen die Gesellschaft das Haus für sechs Franken monatlich. Eine große Wohnstube im Erdgeschoß, zwei Stuben oben, ein Keller, ein Garten.«

      Der dekorierte Herr und die Dame im Pelzmantel, die am Morgen mit dem Pariser Zuge gekommen waren, rissen die Augen auf; in ihren Mienen war die Verblüffung über diese ihnen neuen, ungewohnten Dinge zu lesen.

      »Ein Garten sogar!« wiederholte die Dame. »Man bekommt ordentlich Lust, da zu leben; es ist ja reizend!«

      »Wir geben ihnen Kohle, mehr als sie brennen können«, fuhr Madame Hennebeau fort. »Ein Arzt erscheint wöchentlich zweimal bei ihnen; und wenn sie alt sind, bekommen sie Ruhegehalte, obgleich ihnen von ihrem Lohne nichts in Abzug gebracht wird.«

      »Das ist ja eine Idylle! Ein wahres Schlaraffenland!« murmelte der Herr entzückt.

      Die Maheu hatte sich beeilt, Stühle anzubieten, doch die Damen lehnten ab. Madame Hennebeau war der Sache schon wieder überdrüssig; es hatte ihr einen Augenblick Vergnügen gemacht, in der Langeweile ihrer Vereinsamung die Wegweiserin zu spielen; doch war sie sogleich angewidert von dem faden Geruch des Elends trotz der gesuchten Reinlichkeit der Häuschen, in die sie einzutreten wagte. Sie wiederholte übrigens nur einzelne abgerissene Redensarten, die sie selbst gehört hatte, und kümmerte sich sonst gar nicht um das Arbeitervolk, das in ihrer Nähe in schwerer Arbeit und in Elend dahinlebte.

      »Die hübschen Kinder!« murmelte die Dame, die sie in Wirklichkeit abscheulich fand mit ihren dicken Köpfen und ihrem struppigen, strohgelben Haar.

      Frau Maheu mußte das Alter der Kinder angeben; aus Höflichkeit befragte man sie auch über Estelle. Der Vater Bonnemort hatte respektvoll die Pfeife aus dem Munde genommen; nichtsdestoweniger blieb er ein Gegenstand der Unruhe, wie er dasaß, durch vierzig Jahre Grubenarbeit zugrunde gerichtet, mit steifen Beinen, morschen Gliedern, erdfahlem Gesichte. Als ein heftiger Hustenanfall ihn packte, ging er auf die Gasse speien, weil er dachte, sein schwarzer Auswurf könne die Gesellschaft ekeln.

      Alzire fand am meisten Beifall. Welche nette, kleine Hauswirtin mit ihrem Küchenlappen! Man beglückwünschte die Mutter zu diesem für sein zartes Alter so verständigen Mädchen. Niemand sprach von dem Höcker; Mitleid und Unbehagen zugleich drückten sich in den Blicken aus, die sich immer wieder nach dem armen, gebrechlichen Wesen wandten.

      »Wenn man Sie«, schloß Madame Hennebeau, »in Paris über unsere Arbeiterkolonien befragt, werden Sie antworten können... Hier ist es immer so still wie jetzt; es herrschen patriarchalische Sitten; alle sind gesund und zufrieden, wie Sie sehen. Sie sollten öfter hierherkommen, um sich in der guten Luft und in der Ruhe zu erholen.«

      »Wunderbar, wunderbar!« rief der Herr in einem schließlichen Ausbruch der Begeisterung.

      Sie traten aus dem Hause mit der entzückten Miene, mit der man eine Baracke verläßt, wo man Naturwunder gesehen. Frau Maheu, die ihnen das Geleite gab, blieb auf der Schwelle stehen und blickte ihnen nach, wie sie unter lauten Gesprächen sich langsam entfernten. Die Straßen hatten sich bevölkert; sie mußten Gruppen von Weibern durchschreiten, die das von Haus zu Haus getragene Gerücht von ihrem Besuche auf die Straße gelockt hatte.

      Die Levaque hatte vor ihrer Tür die Pierron angehalten, die neugierig herbeigelaufen war. Beide heuchelten Überraschung. Wollten diese Leute etwa bei der Maheu übernachten? Es war doch nicht so angenehm da drinnen!

      »Immer ohne Sou bei dem schönen Erwerb, den sie haben. Mein Gott,