Germinal. Emile Zola

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Название Germinal
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175019



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schien. Als sie wieder durch Montsou kam, trat sie entschlossen bei Maigrat ein, den sie so eindringlich mit ihren Bitten bestürmte, daß sie schließlich zwei Brote, Kaffee, Butter und sogar ein Hundertsousstück mitnahm; denn der Mann wucherte auch auf die Woche. Nicht sie wollte er, sondern Katharina; sie begriff es, als er ihr sagte, sie möge ihre Tochter wegen des Einkaufes senden. Man werde schon sehen, sagte sie. Sie setzte im Stillen hinzu, Katharina werde ihm Maulschellen versetzen, wenn er ihr zu nahe kommen solle.

       Drittes Kapitel

      Es schlug elf Uhr im Turm der kleinen Kirche des Arbeiterdorfes der Zweihundertundvierzig; diese Kirche war eigentlich eine aus Ziegeln erbaute Kapelle, in welcher der Abbé Joire am Sonntag die Messe las. Aus der Schule nebenan, gleichfalls aus Ziegeln erbaut, hörte man die lallenden Stimmen der Kinder, trotzdem die Fenster wegen der Kälte geschlossen waren. Die zwischen den vier Blöcken von gleichartigen Häusern sich hinziehenden breiten Straßen, eingekeilt in kleine, aneinanderstoßende Gärtchen, waren verödet; und diese vom Winter verheerten Gärtchen breiteten sich in der Trübseligkeit ihres Mergelbodens aus, in dem die letzten Gemüse wie schmutzige Höcker staken. Die Schornsteine rauchten, in den Häusern wurde die Mittagssuppe gekocht; da und dort sah man ein Weib längs der Häuser auftauchen, dann eine Tür öffnen und verschwinden. Vor allen Häusern, von einem Ende der Straße bis zum andern, tröpfelte es aus den Abzugsröhren in die davor stehenden Bottiche; zwar regnete es nicht, aber der graue Himmel hing voll feuchten Dunstes. Dieses Dorf, in einem Stück mitten in die weite Hochebene hineingebaut, von schwarzen Straßen wie von einem Trauerband eingesäumt, zeigte keinen hellen Punkt als seine roten Ziegeldächer, die von dem Platzregen unaufhörlich blankgewaschen wurden.

      Als Frau Maheu heimkehrte, machte sie einen Umweg, um Kartoffeln bei dem Weibe eines Aufsehers zu kaufen, die noch von der Ernte her einen Vorrat übrig hatte. Hinter einer Reihe krüppelhafter Pappeln -- der einzigen Bäume in dieser flachen Gegend -- stand eine Gruppe vereinzelter Gebäude, Häuser zu vier und vier, von Gärten umgeben. Es war dies ein neuer Versuch, den die Gesellschaft machte, um ihren Aufsehern eine Begünstigung zuzuwenden; dieser Teil der Ansiedelung wurde deshalb von den Arbeitern »Das Dorf der Seidenstrümpfe« genannt, während sie in gemütlicher Verhöhnung ihres Elends das eigene Dorf »Schuldenzahler« nannten.

      »Uff! Endlich sind wir da«, sagte die mit Bündeln beladene Frau Maheu, als sie die mit Schmutz bedeckten, todmüden Kinder Leonore und Heinrich ins Haus schob.

      Vor dem Feuer saß Alzire und wiegte die unaufhörlich schreiende Estelle in den Armen. Da sie keinen Zucker mehr hatte und nicht wußte, wie sie das Kind zum Schweigen bringen solle, tat sie schließlich, als wolle sie ihm die Brust reichen. Diese Täuschung hatte schon oft Erfolg. Allein diesmal hatte sie vergebens das Kleid geöffnet und den Mund des Kleinen an ihre magere Brust eines achtjährigen kranken Kindes gepreßt; Estelle nagte wütend an der Haut, ohne etwas darin zu finden.

      »Gib sie her«, sagte die Mutter, als sie ihr Bündel abgelegt hatte. »Wir können sonst bei dem Geschrei kein Wort reden.«

      Als sie aus dem Mieder eine Brust hervorgeholt hatte, die schwer war wie ein Euter und der Schreihals -- plötzlich verstummend -- sich gierig an den Zutzel machte, konnte man endlich ein Wort reden. Übrigens war alles in Ordnung; die kleine Hauswirtin hatte das Feuer unterhalten, die Wohnstube ausgekehrt und aufgeräumt. In der Stille hörte man oben den Großvater schnarchen; es war dasselbe gleichmäßige Schnarchen, das nicht einen Augenblick aufgehört hatte.

      »Sind das feine Sachen!« sagte Alzire, indem sie die mitgebrachten Vorräte lächelnd musterte. »Wenn du willst, Mutter, mache ich die Suppe.«

      Der Tisch war voll; ein Bündel Kleider, zwei Brote, Kartoffeln, Butter, Kaffee, Zichorie und ein halbes Pfund Fleischkäse.

      »0h, die Suppe!« sagte die Maheu mit müder Miene; »da müßte man erst Sauerampfer und Lauch pflücken ... Nein, ich werde nachher für die Mannsleute Suppe kochen ... Setze Kartoffeln ans Feuer; wir essen sie mit ein wenig Butter ... Und Kaffee: vergiß den Kaffee nicht!«

      Doch plötzlich erinnerte sie sich des Kuchens. Sie schaute auf die leeren Hände Leonores und Heinrichs, die schon wieder wohlgemut waren und sich am Boden wälzten und prügelten. Die naschhaften Rangen hatten unterwegs heimlich den Kuchen gegessen! Die Mutter ohrfeigte sie, während Alzire, die den Kochtopf ans Feuer setzte, die Mutter zu beruhigen suchte.

      »Laß sie, Mama. Wenn es meinethalben ist, so weißt du ja, daß ich den Kuchen nicht mag. Sie haben Hunger bekommen, weil sie soweit gegangen sind.«

      Draußen wurde die Mittagsglocke geläutet; man hörte das Geklapper der Überschuhe der heimkehrenden Schulkinder. Die Kartoffeln waren gar; der Kaffee, durch eine Zutat von Zichorie verdichtet, floß in großen Tropfen laut plätschernd durch den Filter. Eine Ecke des Tisches war abgeräumt; doch aß die Mutter allein da, die Kinder nahmen ihre Teller auf die Knie; der kleine Junge in seiner stummen Gefräßigkeit schaute sich -- ohne etwas zu sagen --; immerfort nach dem Fleischkäse um, dessen fette Papierhülle ihm die Ruhe raubte.

      Frau Maheu trank ihren Kaffee in kleinen Schlucken und legte die Hände an das Glas, um sie zu erwärmen. Da kam der alte Bonnemort herunter. Sonst stand er später auf; man ließ ihm sein Frühstück am Feuer stehen. Heute begann er zu brummen, weil keine Suppe da war. Als seine Schwiegertochter ihm erklärt hatte, man könne nicht immer so tun, wie man möchte, aß er seine Kartoffeln still für sich hin. Von Zeit zu Zeit erhob er sich und spie in die Asche; er tat dies aus Reinlichkeit, um den Estrich zu schonen; dann hockte er sich wieder auf seinen Sessel hin und kaute sein Essen weiter mit gesenktem Kopfe und erloschenen Augen.

      »Ach, ich vergaß, Mutter,« sagte Alzire; »die Nachbarin war da...«

      Die Mutter unterbrach sie.

      »Sie soll mich in Frieden lassen!«

      Sie hatte einen dumpfen Groll gegen die Levaque, die gestern über Not gejammert hatte, um ihr nichts leihen zu müssen; und doch hatte sie Geld, wie die Maheu wohl wußte; der Mieter Bouteloup hatte seinen halben Monat vorausgezahlt. In dem Arbeiterdorfe liehen die Haushaltungen einander nichts.

      »Da fällt mir ein,« fuhr die Maheu fort, »nimm eine Mühle voll Kaffee und schlag ihn in ein Papier ... Ich muß ihn der Frau Pierron bringen, der ich ihn seit vorgestern schuldig bin.

      Als ihre Tochter das Päckchen fertig hatte, sagte die Maheu, sie werde sogleich zurückkehren, um die Suppe für die Mannsleute ans Feuer zu setzen. Dann ging sie fort mit Estelle auf den Armen. Der alte Bonnemort blieb zurück und mahlte langsam seine Kartoffeln, während Leonore und Heinrich sich um die zu Boden gefallenen Kartoffelschalen prügelten.

      Anstatt den Weg über die Straße zu nehmen, schritt Frau Maheu quer durch die Gärten aus Furcht, daß die Levaque sie rufen könne. Ihr Garten stieß eben an den der Familie Pierron und in dem verfallenen Zaun, der sie trennte, war ein Loch, durch das die Nachbarn miteinander verkehrten. Da war auch der gemeinsame Brunnen, der vier Familien diente. Nebenan lag hinter einem verkümmerten Fliederstrauch die Scheuer, wo man die alten Geräte aufbewahrte und dann und wann ein Kaninchen züchtete, um an einem Feiertag einen Braten zu haben. Es war ein Uhr, die Kaffeestunde; keine Seele zeigte sich an den Türen und Fenstern. Bloß ein Arbeiter arbeitete, ohne aufzublicken, in seinem Gärtchen, um die Zeit zu nützen, bis seine Stunde kam, zur Grube anzufahren. Als die Maheu auf der Straße gegenüber ankam, sah sie zu ihrer Überraschung vor der Kirche einen Herrn und zwei Damen. Sie blieb einen Augenblick stehen und erkannte die Fremden: es war Frau Hennebeau mit ihren Gästen, dem dekorierten Herrn und der Dame im Pelzmantel. Sie zeigte ihnen das Arbeiterdorf.

      »Ach, wozu die Mühe? Es hatte keine Eile!« rief Frau Pierron, als Frau Maheu ihr den Kaffee zurückerstattete.

      Sie war achtundzwanzig Jahre alt und galt für die Schöne im Dorfe. Sie hatte eine braune Gesichtsfarbe, große Augen, einen kleinen Mund: sie war überdies kokett, und reinlich wie eine Katze; ihr Busen hatte sich schön erhalten, denn sie hatte kein Kind. Ihre Mutter, die Brulé, Witwe eines Grubenarbeiters, der in der Mine seinen Tod gefunden, hatte aus ihrer Tochter eine Fabrikarbeiterin gemacht und geschworen, daß sie