Germinal. Emile Zola

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Название Germinal
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175019



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nicht zu sehr; auch ließen sie ihre Holzschuhe draußen. Vater und Mutter hatten sich schon in ihren großen Lehnsesseln ausgestreckt, um zu verdauen. Die Scheu vor einem Luftwechsel brachte sie zur Entscheidung.

      »Honorine, lassen Sie sie eintreten.«

      Die Frau Maheu und ihre Kinder traten ein, frierend und hungernd, von einer ängstlichen Scheu ergriffen in diesem Gemach, wo es so warm war und so gut nach Kuchen roch.

       Zweites Kapitel

      In die verschlossen gebliebene Stube drangen allmählich graue Lichtstreifen ein, die sich an der Decke fächerartig entfalteten. Die eingeschlossene Luft ward immer drückender. Alle setzten ihren nächtlichen Schlaf fort: Leonore und Heinrich einander in den Armen liegend, Alzire mit zurückgesunkenem Haupte, auf ihren Höcker gestützt, während der Vater Bonnemort für sich allein im Bett von Zacharias und Johannes mit offenem Munde schnarchte. Kein Hauch kam aus dem Zimmer, wo Frau Maheu wieder eingeschlafen war, während Estelle, quer über dem Bauche der Mutter liegend, an dem überquellenden Busen sog, dessen schlaffe Fleischmassen sie schier erstickten.

      Auf der Kuckucksuhr in der unteren Stube schlug es sechs Uhr. Längs der Häuserreihen des Arbeiterdorfes hörte man Türen auf- und zugehen, dann das Klappern der Holzschuhe auf dem Pflaster der Fußsteige: die Sichterinnen begaben sich zur Grube. Dann ward es wieder still bis sieben Uhr. Um diese Stunde wurden die Fensterläden geöffnet, man hörte gähnen und husten durch die Mauern, eine Kaffeemühle knirschte lange; in der Stube aber wollte noch immer niemand wach werden.

      Doch bei einem Geräusch von Maulschellen und einem Geheul, das aus der Ferne kam, richtete Alzire sich plötzlich in die Höhe. Sie merkte sogleich, wie spät es sei, und eilte mit nackten Füßen zum Lager der Mutter, um sie aufzurütteln.

      »Mutter, Mutter, es ist spät, und du hast einen Gang zu machen!... Gib acht, du wirst Estelle erdrücken!«

      Sie nahm das Kind weg, das unter den riesigen Brüsten schier erstickte.

      »Verdammt!« brummte die Frau und rieb sich die Augen; »man ist so matt, daß man den ganzen Tag schlafen möchte... Kleide Leonore und Heinrich an, ich nehme sie mit. Hab' acht auf Estelle; ich will sie nicht mitnehmen, sie könnte bei diesem Hundewetter krank werden.«

      Sie wusch sich in aller Hast, warf einen alten blauen Rock, ihren besten, über und hüllte sich in ein altes Tuch von grauem Wollstoff, auf das sie gestern erst zwei Flecke gemacht hatte.

      »Und Suppe soll ich kochen! Verdammt! Verdammt!...« brummte sie von neuem.

      Während ihre Mutter, alles beiseite schiebend, hinunterging, kehrte Alzire in die Stube zurück und nahm Estelle mit, die wieder zu heulen begonnen hatte. Sie war an das Geschrei der Kleinen schon gewöhnt; mit acht Jahren war sie schon so findig wie ein Weib, das Kind zu beruhigen und zu zerstreuen. Sie legte sie sachte in ihr noch warmes Bett und schläferte sie wieder ein, indem sie ihr einen Finger in den Mund steckte. Es war Zeit, denn ein neuer Lärm brach los. Sie mußte sogleich den Frieden zwischen Leonore und Heinrich herstellen, die endlich erwachten. Diese Kinder vertrugen sich nur und halsten sich nur, wenn sie schliefen. Das sechsjährige Mädchen fiel über das Brüderchen her, sobald es erwachte und prügelte das um zwei Jahre jüngere Knäblein, das die Püffe nicht erwidern konnte. Beide hatten denselben zu groß geratenen aufgedunsenen Kopf voll struppiger, gelber Haare. Alzire mußte ihre Schwester bei den Füßen zerren und ihr drohen, daß sie ihr den Hintern einpracken werde. Dann gab es ein Stampfen und Schreien wegen des Waschens und bei jedem Kleidungsstücke, das sie ihnen anlegte. Man ließ die Fensterläden geschlossen, um den Schlaf des Vaters Bonnemort nicht zu stören. Doch er schnarchte fort inmitten des greulichen Lärmes der Kinder.

      »Das Frühstück ist fertig. Kommt ihr endlich herunter?« rief Frau Maheu.

      Sie hatte die Fensterläden geöffnet, das Feuer aufgeschürt und Kohle zugelegt. Sie hatte gehofft, daß der Alte nicht alle Suppe verschlungen habe; allein sie fand den Topf leer. Deshalb ließ sie eine Hand voll Nudeln aufkochen, die sie seit drei Tagen in Vorrat gehalten. Man werde sie ohne Butter essen, so wie sie aus dem Wasser kommen, dachte sie; von dem Krümchen, das gestern noch da war, sei wohl nichts übriggeblieben. Zu ihrer Überraschung fand sie aber, daß Katharina, nachdem sie die, »Ziegel« zurechtgemacht, noch ein faustgroßes Stückchen übrig gelassen hatte. Der Speiseschrank jedoch war leer: nichts, nicht das kleinste Krümchen Brot, kein Knochen zum Abnagen. Was sollten sie anfangen, wenn der Krämer Maigrat ihnen den Kredit verweigert und die Spießbürger in der Piolaine ihr keine hundert Sous geben? Wenn die Mannsleute und das Mädchen von der Grube zurückkommen, müssen sie doch essen; denn man habe leider noch kein Mittel erfunden, wie man leben könne ohne zu essen.

      »Kommt ihr endlich?« rief sie zornig. »Ich hätte schon fort sein sollen.«

      Als Alzire und die kleineren Kinder da waren, verteilte sie die Nudeln auf drei kleine Teller. Sie seihst habe keinen Hunger, sagte sie. Obgleich Katharina den Kaffeesatz von gestern schon einmal aufgegossen hatte, goß sie noch einmal Wasser darüber und trank zwei große Gläser voll von diesem Kaffee, der so dünn war, daß er Rostwasser glich. Es werde ihr schon Leib und Seele zusammenhalten, meinte sie.

      »Höre,« sagte sie wiederholt zu Alzire, »du läßt deinen Großvater schlafen und gibst acht, daß Estelle nicht aus dem Bette fällt; wenn sie erwachen und zu stark schreien sollte, hast du da ein Stück Zucker, das du im Wasser lösest; davon gibst du ihr einige Löffel voll... Ich weiß, du bist klug und wirst den Zucker nicht essen.«

      »Und die Schule, Mama?«

      »Die Schule bleibt für einen andern Tag... Ich brauche dich heute.«

      »Soll ich die Suppe machen, wenn du spät kommst?«

      »Die Suppe, die Suppe ... Warte damit, bis ich komme.«

      Mit der Altklugheit eines gebrechlichen Mädchens begabt, verstand Alzire sehr gut, die Suppe zu bereiten. Sie schien indes die Mutter zu verstehen und drängte nicht weiter in sie. Jetzt war das ganze Arbeiterdorf erwacht; die Kinder gingen scharenweise zur Schule, man hörte das schleppende Geklapper ihrer Überschuhe. Es schlug acht Uhr; bei den Levaque, den linksseitigen Nachbarn, ward das Geplauder immer lauter. Der Werktag der Frauen begann; sie standen bei ihren Kaffeetöpfen, die Fäuste auf die Hüften gestemmt, die Zungen in ewiger Bewegung wie die Mühlsteine einer Mühle. Ein welker Kopf mit dicken Lippen und platter Nase erschien draußen am Fenster und rief:

      »Hör' einmal, es gibt was Neues!«

      »Nein, nein, später!« erwiderte Frau Maheu. »Ich habe einen Gang zu machen.«

      In der Angst, dem Anerbieten, ein Glas heißen Kaffees zu nehmen, nicht widerstehen zu können, trieb sie Leonore und Heinrich zur Eile an und brach mit ihnen auf. Der Vater Bonnemort oben schnarchte weiter; sein gleichmäßiges Schnarchen hallte durch das Haus.

      Draußen sah Frau Maheu mit Überraschung, daß der Wind aufgehört hatte. Plötzliches Tauwetter war eingetreten; der Himmel war erdfahl, auf den Mauern lag eine grünliche, klebrige Feuchtigkeit, die Straßen waren mit Schmutz bedeckt, mit einem dieser Kohlengegend eigentümlichen Schmutz, so schwarz wie flüssiger Ruß, dick und zäh, daß die Schuhe darin stecken blieben. Sie mußte sogleich Leonore ohrfeigen, die sich den Spaß machte, mit ihren Schuhen den Schmutz aufzuheben wie mit der Spitze einer Schaufel. Als sie aus dem Dorfe waren, ging sie längs des Kohlenlagers und des Kanals dahin und, um den Weg abzukürzen, quer durch aufgelassene Wege zwischen allerlei wüstem Terrain, das mit alten, moosbedeckten Planken eingefriedet war. Es folgten dann Schuppen, langgestreckte Fabrikgebäude, hohe Schlote, die Ruß spien und dadurch diese ganze wüste Landschaft, diese Fabrikumgebung beschmutzten. Hinter einem Pappeldickicht sah man die Ruinen des alten, aufgelassenen Réquillartschachtes mit dem eingestürzten Aufzugsturm, dessen roh gezimmertes Gebälk allein aufrecht geblieben war. Frau Maheu wandte sich jetzt rechts und betrat die Heerstraße.

      »Wart', schmutziges Schwein, ich werde dich lehren Kugeln machen!« rief sie.

      Dies galt Heinrich, der eine Hand voll Schmutz aufgehoben hatte, den er knetete. Die beiden