Germinal. Emile Zola

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Название Germinal
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175019



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So trotteten sie dahin, schon müde von den Anstrengungen, die sie machen mußten, um ihre Schuhe aus dem klebrigen Schmutz loszukriegen.

      Die Straße nach Marchiennes zog sich zwischen rötlichen Feldern zwei Meilen lang dahin, geradeaus wie ein in Wagenschmiere getränktes Band. Auf der andern Seite schlängelte sich der Weg durch Montsou, das auf dem Rücken einer breiten Erhöhung in der Ebene lag. Diese Straßen im Norden, wie mit der Schnur zwischen den Industriestädten gezogen, in sanften Krümmungen und leichten Steigungen sich hinziehend, wurden nach und nach gebaut, gleichsam um aus einem Bezirk eine einzige Arbeiterstadt zu machen. Kleine Häuschen, aus Ziegeln erbaut und zur Aufheiterung der reizlosen Umgebung bemalt -- die einen gelb, die andern blau, wieder andere schwarz, die letzteren ohne Zweifel deshalb, um sogleich bei dem schließlich unvermeidlichen Schwarz anzulangen -- schlängelten sich rechts und links den Abhang hinunter. Einige größere, zweistöckige Häuser, Wohnungen von Fabriksleitern, unterbrachen die gedrängte Zeile schmaler Häuserfronten. Eine Kirche, gleichfalls aus Ziegeln erbaut, glich einem neuartigen Hochofen mit ihrem viereckigen Turm, den der fliegende Kohlenstaub schon schwarz gefärbt hatte. Zwischen allen Zuckerfabriken, Seilereien und Mühlen herrschten Tanzböden, Schenken, Bierstuben; auf tausend Häuser kamen fünfhundert Schenken.

      Als sie dem gesellschaftlichen Werkhofe sich näherte — einem umfangreichen Komplex von Magazinen und Arbeitsstätten —, entschloß sich Frau Maheu, die Kinder rechts und links bei der Hand zu nehmen. Jenseits des Werkplatzes stand die Behausung des Direktors, Herrn Hennebeau; es war eine Art Schweizerhaus, geräumig, nach der Straße hin durch ein Gitter abgeschlossen, mit einem Gärtchen davor, in dem einige Bäume ein kümmerliches Dasein fristeten. Eben hielt ein Wagen vor dem Tore; ein mit einem Orden geschmückter Herr und eine in einen Pelzmantel gehüllte Dame stiegen aus. Sie waren aus Paris zu Besuch gekommen und hatten zu Marchiennes die Eisenbahn verlassen. Frau Hennebeau, die in dem Halbdunkel eines Flurs erschien, stieß einen Ruf der Überraschung und der Freude aus.

      »Vorwärts, ihr Schlafmützen!« brummte Frau Maheu und zog die beiden Kleinen mit sich fort, die sich im Straßenschmutz vergafften.

      Vor dem Laden Maigrats war sie in großer Aufregung. Maigrat wohnte neben dem Direktor; bloß eine Mauer trennte das Haus des Direktors von dem Häuschen Maigrats. Dieser hatte auch ein Magazin, ein langes Gebäude, das sich in einem Laden ohne Fenster unmittelbar auf die Straße öffnete. Er hielt da alles, Gewürze, Würste und Fleisch, Früchte, Brot, Bier, Küchengeräte. Als ehemaliger Aufseher im Voreuxschachte hatte er mit einer kleinen Kantine den Anfang gemacht; dank dem Schutze seiner Vorgesetzten hatte sein Handel zugenommen und nach und nach alle Kleinkrämer in Montsou erdrückt. Er zentralisierte die Waren; die bedeutende Kundschaft der Arbeiterdörfer gestattete ihm, wohlfeiler zu verkaufen und größere Kredite zu gewähren. Übrigens war er in der Hand der Gesellschaft geblieben, die ihm sein Häuschen und sein Magazin erbaut hatte.

      »Ich bin wieder da, Herr Maigrat«, sagte die Maheu untertänig, als sie ihn auf der Türschwelle erblickte.

      Er schaute sie an, ohne zu antworten. Er war dick, von kühler Höflichkeit und bildete sich etwas darauf ein, seinen einmal gefaßten Entschluß niemals zu ändern.

      »Sie können mich unmöglich abweisen wie gestern«, fuhr die Maheu fort. »Wir müssen Brot zu essen haben von jetzt bis Samstag .... Allerdings schulden wir Ihnen sechzig Franken seit zwei Jahren ....«

      Sie erklärte die Sache in kurzen, mühsam vorgebrachten Sätzen. Es war eine alte Schuld, die sie während des letzten Arbeitsausstandes gemacht hatten. Zwanzigmal hatten sie versprochen, die Schuld zu begleichen, aber sie konnten es nicht; sie waren nicht imstande, ihm zwei Franken alle vierzehn Tage zu geben. Überdies sei vorgestern ein Unglück dazwischen gekommen: sie habe einem Schuhmacher, der ihnen mit der Pfändung drohte, zwanzig Franken bezahlen müssen. Darum seien sie jetzt ohne einen Sou; wäre dieser Zwischenfall nicht gewesen, sie hätten bis zum Sonnabend das Auslangen gefunden wie die anderen.

      Maigrat, der die Arme auf dem dicken Bauche gekreuzt hielt, antwortete auf jede neuere Bitte mit einem stummen Nein.

      »Nur zwei Brote, Herr Maigrat. Ich bin ja vernünftig und verlange keinen Kaffee .... Nur zwei Brote zu drei Pfund täglich ....«

      »Nein!« schrie er endlich mit voller Kraft.

      Jetzt war sein Weib zum Vorschein gekommen, ein gebrechliches Geschöpf, das seine Tage über dem Geschäftsbuche hockend zubrachte und nicht aufzublicken wagte. Sie verschwand sogleich wieder, als sie das unglückliche Weib flehentliche Blicke auf sie richten sah. Man erzählte, daß sie das eheliche Bett den Schlepperinnen überließ, die zur Kundschaft des Ladens gehörten. Es war eine bekannte Sache: wenn ein Grubenarbeiter eine Verlängerung seines Kredites anstrebte, brauchte er nur seine Tochter oder sein Weib zu senden; ob schön oder häßlich, war gleichgültig, wenn sie sich nur Maigrat gegenüber willfährig zeigten.

      Frau Maheu, welche die Augen noch immer bittend zu Maigrat erhob, fühlte sich belästigt durch die Art und Weise, wie er sie mit seinen kalten, klaren Äuglein musterte und gleichsam entkleidete. Sie geriet in Zorn; als sie noch, jung war, bevor sie sieben Kinder geboren, würde sie begriffen haben. Sie ging weiter und zerrte Leonore und Heinrich mit sich, die aus dem Straßenschmutze Nußschalen aufgelesen hatten, deren Inneres sie untersuchten.

      »Das wird Ihnen kein Glück bringen, Herr Maigrat; merken Sie sich's!«

      Jetzt blieben ihr nur die Bürgersleute in der Piolaine. Wenn diese nicht hundert Sous hergaben, konnten sich alle hinlegen und verrecken. Sie wandte sich links und schlug den Weg nach Joiselle ein. Hier stand das Haus der Grubenverwaltung --- in dem Winkel, den die Straße bildete ---, ein wahrer Palast aus Ziegeln erbaut, wo die großen Herren aus Paris, Fürsten, Generale und Minister, alljährlich im Herbste große Essen gaben. Unterwegs sann Frau Maheu darüber nach, wie sie die hundert Sous verwenden werde: Sie werde zunächst Brot kaufen, dann Kaffee, ein Viertelpfund Butter, einen Scheffel Kartoffeln für die Frühsuppe und zum Abendbrot, endlich vielleicht ein wenig Fleischkäse, denn der Vater müsse Fleisch bekommen.

      Der Pfarrer von Montsou, der Abbé Joire, kam eben vorüber und hob seine Sutane in die Höhe, um sie im Straßenkote nicht zu beschmutzen. Er war von milder Gemütsart und tat, als kümmere er sich um nichts, um weder die Arbeiter noch ihre Herren gegen sich zu erzürnen.

      »Guten Tag, Herr Pfarrer!« grüßte die Maheu.

      Er lächelte den Kindern zu und ließ die Maheu mitten in der Straße stehen, ohne sich aufzuhalten. Die Maheu war jeder Religion bar; aber sie hatte sich plötzlich eingebildet, dieser Priester werde ihr etwas geben.

      Sie setzte also ihren Weg in dem schwarzen, teigigen Schmutze fort. Zwei Kilometer hatte sie noch zurückzulegen. Erstaunt über diese weite Wanderung ließen sich die Kinder immer mehr schleppen. Rechts und links vom Wege lagen noch immer wüste Stellen, von moosbedeckten Planken eingeschlossen, und rauchgeschwärzte Fabrikgebäude, von hohen Schloten starrend. Im Freien dehnten sich dann die flachen Felder endlos dahin, einem Meer von braunen Schollen gleich, in dem kein Baum sein Geäst ausbreitete, bis zur violetten Linie des Waldes von Vandame.

      »Mutter, trage mich!«

      Sie trug sie abwechselnd. Es gab Pfützen auf der Straße; sie hob ihre Röcke in die Höhe aus Furcht, allzu schmutzig anzukommen. Dreimal war sie nahe daran, auf dem glitschigen Pflaster zu fallen. Als sie endlich vor der Auffahrt des Hauses anlangten, stürzten sich zwei riesige Hunde mit so wütendem Gebell auf sie, daß die Kleinen entsetzt aufschrien. Der Kutscher mußte eine Peitsche nehmen und die Hunde zurückjagen.

      »Laßt eure Holzschuhe draußen und tretet ein«, sagte Honorine.

      Die Mutter und die Kinder standen unbeweglich in dem Speisezimmer, betäubt durch die plötzliche Hitze, sehr verlegen unter den Blicken des alten Herrn und der alten Dame, die in ihren Lehnsesseln ausgestreckt lagen.

      »Meine Tochter, walte deines Amtes«, sprach die alte Dame.

      Die Grégoire betrauten Cäcilie damit, ihre Almosen auszuteilen. Dies paßte zu ihren Begriffen von einer guten Erziehung. Man mußte mildtätig sein; sie sagten selbst, ihr Haus sei das Haus des lieben Gottes. Sie schmeichelten sich übrigens,