Das Mysterium der Wölfe. Anna Brocks

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Название Das Mysterium der Wölfe
Автор произведения Anna Brocks
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754954881



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Was ist das bloß? Ich will doch eigentlich die anderen auch noch zur Strecke bringen, oder etwa doch nicht? Warum schmerzt mein Kopf plötzlich so sehr? Mein Körper ist wie gelähmt. Irgendetwas zwingt mich dazu, mich wieder in einen Menschen zu verwandeln. So etwas habe ich noch nie zuvor gespürt. Das Gefühl ist völlig unbekannt. Letztendlich wird das Stechen so stark, dass ich nachgeben muss und meine Gestalt ändere. Sofort fasse ich mir an den Kopf und kralle meine Hände in den Haaren fest.

      „Aufhören! Was auch immer das ist, es soll aufhören!“ Ich sinke auf meine Knie. Der Schmerz lässt noch immer nicht nach. In meinem Kopf tobt ein heftiger Kampf. Die schwarze Aura zuckt heftig um meinen Körper herum. „Schluss jetzt! Verschwindet! Alle beide!“ Augenblicklich spüre ich nichts mehr. Mein Körper entspannt sich wieder. Ich nehme die Hände vom Kopf und stütze mich am Boden ab. Angestrengt atme ich ein paarmal tief durch. Es scheint sich wieder alles normalisiert zu haben.

      Dieses Gefühl war unglaublich, auf negative Weise. Es fühlte sich kurzfristig so an, als hätte ich keine Kontrolle mehr über mich selbst. Ganz eindeutig, das war die andere Seite. Die Lichtwölfin in mir hat sich mit aller Macht gewehrt. Ich verstehe das nicht. Heißt das, dass diese Seite doch noch nicht ganz verschwunden ist? Ich habe geglaubt, dass ich sie damals am See der Spiegel völlig aufgegeben habe.

      Das ist so ungerecht. Finde ich denn nie meinen inneren Frieden? Ich dachte, dass ich nun endlich wüsste, wer ich wirklich bin. Die Schatten haben mich damals so gequält. Mich ihnen hinzugeben, erschien mir als einzige Lösung für dieses Problem, aber nun will das Licht wieder die Überhand gewinnen? Nein, das lasse ich nicht zu! Nie wieder! Ich allein bestimme, wer ich bin! Meine Zukunft liegt in den Schatten, kein Zweifel!

      Entschlossen richte ich mich auf. Von nun an bin ich stark. Ich stehe hinter der Entscheidung, die ich damals am See der Spiegel getroffen habe und das gilt es nun zu beweisen. Aber wie?

      „Jessica!“ War das Blake? „Jessica, wo bist du? Antworte doch!“ Ja, ganz sicher. Vielleicht braucht er meine Hilfe. Ich muss zu ihm.

      Schnell laufe ich in die Richtung, aus der seine Stimme kam: „Blake! Ich bin hier!“ Es dauert nicht lange, bis ich ihn sehe. Aufgebracht läuft er mir entgegen. Auch er hat wieder seine menschliche Gestalt angenommen. Das heißt, dass keine Gefahr mehr in der Nähe sein kann. Aber wo ist Leader? War es vielleicht schon zu spät? Hat er ihn verloren?

      Als wir uns gegenüberstehen, wirkt er erleichtert: „Ich dachte schon, dass dich das Rudel verschleppt hat. Zum Glück geht es dir gut.“

      In der Hinsicht stimme ich ihm zu: „Ja, stimmt schon. Von den Mitgliedern des Rudels kann man das nicht behaupten. Diejenigen, die übrig geblieben sind, sind weggelaufen. Wo ist Leader? Hast du ihn noch erwischt?“

      Nun hat er ein stolzes Lächeln im Gesicht: „Ja, das habe ich. Der Kampf hat nicht sehr lange gedauert. Sein Körper liegt dort drüben.“ Er deutet hinter das Gestrüpp. Nur eine Sache macht mich skeptisch.

      Blake von oben bis unten musternd frage ich nach: „Es scheint kein allzu harter Kampf gewesen zu sein, nicht wahr?“ Das wundert mich ehrlich gesagt sehr. Leader war der Anführer eines großen Rudels und nicht gerade schmächtig gebaut. Außerdem wird er doch angeblich von so vielen Wölfen gesucht und ist berühmt als Verbrecher. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er ein leichter Gegner gewesen ist.

      „Dasselbe könnte ich von dir behaupten. Immerhin hast du es mit einem ganzen Rudel aufgenommen, nicht wahr?“ In seiner Stimme erkenne ich etwas, das ich zuvor bei ihm noch nie wahrgenommen habe. Es erinnert mich an einen leichten Anflug von Panik oder Misstrauen.

      Also rede ich nochmal dagegen: „Versteh mich nicht falsch, aber ich bin schließlich eine Schattenwölfin. Es ist bei mir genetisch veranlagt, dass ich stark bin. Du hingegen kämpfst überdurchschnittlich gut, ohne solche Fähigkeiten vererbt bekommen zu haben. Hast du irgendeine besondere Ausbildung gehabt?“ Meine Argumente sind zwar etwas weit hergeholt, aber ich muss zugeben, dass ich ein ungutes Gefühl habe. Bisher habe ich Blake von Anfang an vertraut. Erst jetzt, wo alles vorbei ist, hinterfrage ich so manches, was mir zuvor nicht aufgefallen ist.

      Wieder reagiert Blake ähnlich wie vorhin: „Ausbildung? Woher sollte ich denn bitte eine besondere Ausbildung haben?“ Er stellt sich dumm. Außerdem hat er mir keine direkte Antwort auf meine Frage gegeben. Blake weicht mir aus. „Ich habe dir doch bereits alles aus meiner Vergangenheit erzählt. Es gibt keinen Grund, mir zu misstrauen.“ Nun spricht er sogar den Vertrauensaspekt an. Irgendwas ist hier faul. Oder bilde ich mir das alles nur ein? Bisher hat mich mein Instinkt eigentlich nie im Stich gelassen und mir immer die richtigen Warnungen und Hinweise gegeben. Es kann aber auch sein, dass ich momentan generell etwas skeptisch bin. Immerhin hatte ich zuvor einen Schwächeanfall und die schwarze Aura ist zurzeit nicht mehr in meiner Nähe. Vielleicht fühle ich mich nur unsicher.

      Ich beschließe also, es dabei zu belassen: „Du hast recht, Blake. Es tut mir leid. Du hast mir nie einen Grund gegeben, dir zu misstrauen. Also sollte ich es auch nicht tun.“

      Jetzt hat er ein zufriedenes Grinsen im Gesicht: „Na also. Freut mich, dass du das genauso siehst. Wenn du willst, kannst du dich von meinem Sieg vergewissern.“ Mit einer kurzen Handgeste gibt er mir zu verstehen, dass ich ihm folgen soll. Dann geht er voraus zu der Stelle, wo er Leader zur Strecke gebracht hat.

      Als wir durch das Dickicht gehen, kommt mir eine naheliegende Frage in den Sinn, die ich sogleich stelle: „Wie geht es nun für dich weiter? Wir haben unser Ziel erreicht und beide unsere Rache bekommen.“

      Nun, da wir vor Leaders leblosem Körper stehen, deutet er darauf und gibt mir eine Antwort: „Wir haben ihn gemeinsam verfolgt und letztlich auch gekriegt. Warum sollten wir unsere Arbeit nicht würdigen lassen?“

      Mir ist nicht klar, was er meint: „Was willst du damit sagen?“

      Schulterzuckend antwortet er mir: „Du weißt doch, dass auf seinen Kopf eine ziemlich hohe Summe ausgesetzt ist. Ein bisschen Kapital hat noch keinem geschadet.“ Die Gleichgültigkeit in seiner Stimme kommt mir so gekünstelt vor. Wieder steigt ein ungutes Gefühl in mir hoch.

      Etwas zögernd schüttle ich den Kopf: „Nein, das will ich eigentlich nicht. Versteh mich nicht falsch, du kannst dir die Belohnung gerne holen. Sie gehört dir. Ich selbst werde nun wieder meinen eigenen Weg gehen. Glaub mir, das ist besser so.“ So drehe ich mich weg von ihm und will gerade gehen.

      Plötzlich aber hält er mich an der Schulter fest: „Nein, warte!“ Ich wende mich ihm noch einmal zu. „Dieses Geschenk kann ich nicht so einfach annehmen. Du hast mir sehr geholfen, Jessica. Das wäre nicht fair.“

      Erneut weise ich ihn ab: „Ach was, das geht schon in Ordnung. Wenn ich als Wölfin eines gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass Reichtümer einem im Leben nur wenig bringen. Merk dir das, Blake. Leb wohl.“

      Als ich wieder einen Schritt weg von ihm mache, stellt er sich mir plötzlich in den Weg und lässt mich nicht vorbei: „Nein, ich lasse dich jetzt nicht gehen. Auf keinen Fall.“ Er erschrickt über seine eigenen Worte. „Wir sind gemeinsam so weit gekommen. Das kann doch nicht so einfach enden.“

      Ich mustere ihn erneut. Ich beobachte jede Reaktion seines Körpers. Seine Hände zittern und er strahlt dennoch eine enorme Entschlossenheit aus. Eines steht fest, er will mich auf keinen Fall gehen lassen. Leider kaufe ich ihm nicht ab, dass ich ihm in unserer gemeinsamen Zeit ans Herz gewachsen bin. Da steckt etwas anderes dahinter.

      Ruhig, aber dennoch bestimmt sehe ich ihm in die Augen: „Lass mich sofort gehen, Blake.“ Er rührt sich nicht. Ein großer Fehler. „Was verheimlichst du?“

      Seine Entschlossenheit weicht mit einem Mal: „Was meinst du? Wieso sollte ich etwas verbergen? Vertraust du mir nicht?“ Das war nun eine Frage zu viel.

      Also gebe ich ihm eine ehrliche Antwort: „Nein, Blake. Das tue ich nicht. Hinter all dem steckt doch weit mehr, als du zugeben willst. Sag mir die Wahrheit. Ich finde sie sowieso heraus. Glaub mir, du kannst mich nicht täuschen.“

      Noch immer weist er alle Anschuldigungen ab: „Ich weiß noch immer nicht, was du meinst, Jessica.