Das Mysterium der Wölfe. Anna Brocks

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Название Das Mysterium der Wölfe
Автор произведения Anna Brocks
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754954881



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sind wir noch an keinem Ort vorbeigekommen, der als neue Heimat für sie geeignet sein könnte. Wir bewegen uns in Richtung Westen. Bisher hat es noch nicht geregnet und das Wetter ist sehr mild, selbst in der Nacht. Trotzdem tut das wärmende Lagerfeuer vor mir gut.

      Plötzlich höre ich in der Ferne das Knacken eines zerbrechenden Zweiges. Es folgen Schritte. Dann sehe ich Blake, der sich dem Feuer nähert und begrüße ihn: „Wie sieht’s aus? Tut sich was im Rudel?“

      Er setzt sich kopfschüttelnd gegenüber von mir ans Feuer: „Nein, nicht wirklich. Sie haben nun endgültig beschlossen, die Nacht hier zu verbringen. Erst im Morgengrauen werden sie weiterziehen.“

      Ich lege noch ein paar Äste nach, sodass das Feuer nicht ausgeht: „Besteht irgendein Verdacht, dass wir sie verfolgen?“

      „Nein, sie wiegen sich noch in Sicherheit.“ Er blickt in die Flammen. „Das mit dem Feuer hast du gut hinbekommen. Der Ort ist perfekt geeignet. Man sieht das Licht erst, wenn man ganz nahe ist.“

      Lächelnd stochere ich mit einem Stock in der Asche herum: „Das war auch meine Absicht. Und es ist nicht viel dabei, ein Feuer zu machen. Zumindest nicht, wenn man das schon so oft gemacht hat wie ich.“

      „Du bist tatsächlich schon viel herumgekommen, nicht wahr?“ Es wundert mich, dass er das fragt. Vielleicht wird er nun doch neugierig.

      Mit einem Lächeln im Gesicht gebe ich ihm eine Antwort: „Glaub mir, ich war an Orten, von denen du dir nicht einmal vorstellen kannst, dass es sie gibt.“ Warum sollte ich ihm eigentlich nichts von mir und meinem früheren Leben erzählen? Ich vertraue ihm. Anfangs fiel mir das zwar etwas schwer, aber in den letzten Tagen habe ich mich immer besser mit ihm verstanden. Also kann er ruhig wissen, was ich bisher erlebt habe.

      Gespannt fragt er nach: „Und welche Orte wären das?“

      Ich beginne zu erzählen: „Da wäre zum Beispiel der Kristallwald. Ein Ort, der durch und durch aus schimmernden Kristallen besteht, die in allen Farben leuchten, wenn ein Lichtstrahl auf sie trifft. Dann wäre da noch ein riesiges Labyrinth in einem Berg, unter dessen Gestein ich fast begraben worden wäre. Ich war auf einem der höchsten Gipfel, der als unbezwingbar gilt. Selbst bei einem See, der inmitten einer Wüste liegt und in diversen Wäldern und Städten.“

      Blake ist sichtlich erstaunt: „Klingt nach einem ziemlich abenteuerlichen Leben, wenn du mich fragst. Du hast bestimmt viele Leute kennengelernt, nicht wahr?“ Nun ist sein Interesse endgültig geweckt. Aber wer könnte es ihm verübeln? Mein Leben ist ein einziges Abenteuer, seit dem Tag, an dem ich mit Jake meine Heimat verlassen habe.

      Das bringt mich auch zu meiner nächsten Antwort: „Ja, sehr viele sogar. Leider sind die Begegnungen nicht immer positiv gewesen. Oftmals habe ich mich in große Gefahr begeben, aber irgendwie bin ich immer rausgekommen.“

      „Du kannst verdammt stolz darauf sein, wenn du dich da immer allein durchgeboxt hast. So etwas hätte ich bestimmt nie hinbekommen.“ Blake lächelt mich an.

      Ich korrigiere ihn: „Nein, ganz so war es dann auch nicht. Ich hatte meistens Hilfe und nicht gerade wenig. Mein Rudel hat mich immer unterstützt.“

      Er wirkt überrascht: „Du warst in einem Rudel? Waren das auch Schattenwölfe, so wie du?“

      Kopfschüttelnd starre ich in die Flammen: „Nein, keineswegs. Es sind aber auch keine gewöhnlichen Wölfe, das kannst du mir glauben. Jeder von ihnen ist auf seine eigene Weise besonders. Eines haben sie aber alle gemeinsam. Sie sind die besten Freunde, die man sich nur wünschen kann. Gütig, freundlich, gerecht, loyal, es gäbe so viele Worte, die sie beschreiben. Wobei eines trifft es wohl am besten: unbezahlbar.“

      Nun scheint Blake verwirrt zu sein: „Und warum bist du dann nicht mehr mit ihnen zusammen? Was ist geschehen?“ Eine Frage, deren Antwort ich selbst kaum in Worte fassen kann.

      Also weiche ich aus: „Das ist kompliziert. Ich habe mich verändert und sie kämpfen für eine Sache, die ich nicht mehr vertreten kann. Es war meine eigene Entscheidung, sie zu verlassen. So ist es am besten.“

      Blake sieht mich eindringlich an: „Du vermisst sie, Jessica. Das sieht man dir eindeutig an. Ein gutes Rudel ist wie eine Familie. Wenn du sie aufgibst, wird immer eine Lücke in dir bleiben.“ Ich schweige. „Hast du sie denn im Guten verlassen?“

      Es folgt ein bitteres Lachen meinerseits: „Nun ja, wenn du es als gut verstehst, dass ich die wichtigste Person in meinem Leben angeschrien habe und einfach weggerannt bin.“

      „Also nicht. Das ist schade.“ Nun ist er derjenige, der noch ein paar Äste nachlegt. „Man merkt sofort, dass du lange mit anderen Wölfen zusammen warst. Sobald man dich näher kennenlernt, merkt man das. Du bist immer wachsam und achtest stets auf deine Begleiter. Außerdem siehst du mich manchmal lange an, wenn ich meine Wolfsgestalt angenommen habe. Ich erinnere dich an jemanden, das hast du doch schon einmal gesagt.“

      Ich nicke: „Ja das tust du. An meinen besten Freund, zumindest war er das einmal. Ich habe ihn bitter enttäuscht. Er war immer so gut zu mir. Keiner hat mich je besser verstanden. Egal was ich getan habe, er hat es mir immer verziehen und war zu jeder Zeit für mich da. Keiner könnte ihn je ersetzen. Nun bleibt mir nur noch die Erinnerung an ihn.“

      Wieder sieht mir Blake tief in die Augen: „Du hast ihn sehr gemocht, das sieht man dir sofort an. Wenn nicht sogar geliebt.“

      Augenblicklich frage ich nach: „Wie kommst du denn darauf? Du kennst ihn doch nicht einmal und auch mich nicht richtig. Was fällt dir also ein, solch eine Vermutung anzustellen?“

      Er zuckt mit den Schultern: „Oft liegen Liebe und Freundschaft sehr nahe beieinander. Bei einer Freundschaft, wie du sie gerade beschrieben hast, ist es fast immer der Fall, dass einer mehr empfindet.“ Ich bin völlig sprachlos. „Außerdem zeigt mir deine Reaktion gerade, dass ich gar nicht so falsch liege.“

      Ohne noch weiter darauf einzugehen, stehe ich auf: „Ich lege mich schlafen. Morgen müssen wir bald auf den Beinen sein.“ Mit diesen Worten gehe ich in den Wald. Blake folgt mir nicht. Er wird schon wissen, dass er mich heute besser nicht mehr ansprechen sollte.

      Heute Nacht werde ich im Wald schlafen. Ich brauche Zeit für mich. Es gibt so einiges, worüber ich nachdenken sollte, aber das will ich eigentlich nicht. Das Einzige, das ich will, ist vergessen. Den Kopf freizukriegen von all den Geschehnissen, wäre mit Abstand das Beste, was mir passieren könnte. Leider ist das gar nicht so einfach.

      Hier ist ein geeigneter Platz zum Übernachten. Der Boden scheint trocken zu sein und das viele Laub macht es ein wenig gemütlicher. Also lege ich mich hin und starre durch die Baumkronen in den Sternenhimmel. Warum geht mir das, was Blake gesagt hat, einfach nicht aus dem Kopf? Natürlich hängt das mit meinem schlechten Gewissen zusammen. Obwohl ich es nicht bereue, dass ich meine Freunde verlassen habe, ist es dennoch die Art und Weise wie ich es getan habe, die mich beschäftigt. Sie hätten einen angemesseneren Abschied verdient. Besonders Jake.

      Und schon wieder schleicht er sich in meine Gedanken. Er will mir nicht aus dem Kopf. Ich habe Blakes Worte immer noch vor den Augen. Liebe. War es tatsächlich mehr als nur Freundschaft? Leider erinnert mich das, was Blake zuvor sagte, auch an Jakes letzte Worte, die er an mich gerichtet hat, oder besser gesagt richten wollte. Ich habe ihn nicht aussprechen lassen und bin davongelaufen. Dennoch weiß ich eindeutig, was er sagen wollte. Ich liebe dich.

      Es ist Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Jake war tatsächlich in mich verliebt. Ich weiß nur nicht, wie lange schon. Wie denn auch? Ich bin mir noch nicht einmal über meine eigenen Gefühle im Klaren. Eigentlich weiß ich es, ich will es nur nicht wahrhaben. Es gab eine Zeit, wo auch ich Jake anders gesehen habe. Ganz am Anfang, als ich ihn gerade erst kennengelernt habe. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich ihn damals nicht überwältigend fand. Dann aber ist er ein so guter und unbezahlbarer Freund für mich geworden. Nur hin und wieder habe ich einen Gedanken daran verschwendet, dass da mehr sein könnte, mehr als nur Freundschaft.

      Egal, wie lange ich jetzt noch darüber nachdenke, das Ergebnis bleibt das gleiche. Ich war ebenso in Jake verliebt,