Kannibalen und feine Leute. Bexhill

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Название Kannibalen und feine Leute
Автор произведения Bexhill
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742704313



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John hätte ihn am liebsten umgeknickt. »Literatur Constable, das Wort kann zu einem scharfen Messer in der Hand werden. Denken Sie an die anarchistischen Umtriebe in Russland und Europa. Aus Worten können Brandbomben werden.« Er reichte dem Constable ein dicht beschriebenes Blatt Papier. »Hier bitte das sind die Arbeiter, die sich Literatur zweifelhaften Inhalts wie etwa Edgar Allan Poe, Darwin, Hegel und diesem Deutschen Mark oder Marx und ähnliche Materie ausgeliehen haben!«

      Der Constable zuckte zusammen, »Die Arbeiter Bibliothek merkt sich, was wer liest und gibt dir dann diese Liste?« John Arnold lieh sich regelmäßig Bücher dort aus, nicht weil er ein überzeugter Sozialist war, sondern weil die Bibliothek im Arbeiter Bildungsklub die einzige der Stadt war.

      Miss Lemotte die ungekrönte Königin von West Hoathly und der gesamten Grafschaft Sussex sagte, »Tue nicht so, als ob du das nicht wüsstest. Und zehn Pfund sind eine große Summe Geldes für die einfachen Leute, nehme ich an.«

      Der Constable wusste nun wenigstens, das diese Leseliste von irgendeinem Angestellten Sir Lemottes nach Schlagworten durchsucht wurde. Eins der Worte war bestimmt bezahlter Urlaub. »Wollen Sie damit sagen, dass einer der sich seinen Darwin ...«

      »Gottlose von Satan inspirierte Lügenliteratur!«, verbesserte Miss Lemotte.

      »Wollen sie damit andeuten, dass Sie einen Leser für den Unhold halten, soll ich die Leute befragen, die sich ein Kochbuch ausleihen?«

      Rotgesichtig und mit aufgeplusterten Backen in einem grauen Reitkostüm saß Miss Lemotte da; die kurzen stämmigen Beine wie Brückenpfeiler auf den Boden gestemmt, ihre plumpen Hände spielten mit einem Schreibstift. »Ganz und gar offensichtlich ein Geistesgestörter«, sagte sie, »der durch diese Art von gewerkschaftsnaher Literatur auf den Geschmack gekommen ist.«

      »Wieso geistesgestört? Vielleicht ein raffinierter Zug des Mörders, der die Ermittlungen in die falsche Richtung lenken will.« Rief Francis begeistert und sein fahles, spitzes Gesicht bekam etwas Feuer.

      »Ich bitte dich. Er hat ihm den Kopf abgeschnitten, ihm das Herz herausgerissen. Er hat von der Leiche gegessen!« Fuhr Sie ihn an. Francis schluckte: »Rein privat ... «, sagte er, nachdem er sich gesammelt hatte. Miss Lemotte öffnete ein Heft und setzte den Stift zum Mitschreiben an. »Also rein unter uns John wem traust du diese Untaten zu? Diesem feinen Herren William Samuel Antill?« Seine Stimme überschlug sich vor Abscheu, Antill war ein junior Fabrikinspektor, dem vor drei Jahren die Stadt Hoathly zum Inspektionsrevier zugeteilt wurde. Öffentlich bekundet er, die Arbeitsbedingungen bei der Sussex Brighton London Railway seien Todesurteile und es dauerte kein Jahr mehr, bis etwas Schlimmes passiert. Leider konnten die Lemottes ihn nicht wegen Rufschädigung vor den Landrichter schleppen, denn die Arbeit bei ihrer Eisenbahn waren verkappte Todesurteile. Jemima war ganz offensichtlich mit ihren Gedanken sehr weit weg, denn sie schreckte hoch, nickte und sagte: »Die Strafen waren seine Idee. Kosten, für die der einfache Arbeiter bezahlen muss. Ich glaube, man sollte sich auf die Suche nach einem passenden Mann machen, dass man ihn Zugang gewähren muss, ist lästig!« Sie blinzelte den Constable an, »Du scheinst diese schreckliche Sache recht leicht zu nehmen, John«, tadelte sie.

      »Was? Dass William Antill seine Aufgabe ernst nimmt und keine Kinder mehr beim Lokomotiven Reinigen sehen will?«

      »Kinder passen nun einmal am besten in die Kohlen Befeuerung einer Lokomotive und nebenbei auch am besten in die Kamine. Weißt du, dass Mister Wostress seinen Preis wieder erhöht hat. Lemotte House hat 45 Kamine, die gereinigt werden müssen. Aber ich meine selbstverständlich die Morde. Und ich frage dich, wo ist, das Mitgefühl mit dem Opfer geblieben? Ist unsere Stadt wirklich so herzlos?«, klagte sie mit aufgeplustertem Gesicht selbstgefällig und ließ sich erschöpft vom Kuchen essen und reden in den Damensessel zurücksinken.

      »Und wie ist die Stimmung unter der Allgemeinheit? Du lebst unter denen und hast Kontakte zu ihnen, den wir natürlich nicht haben.« Fragte Francis Sebastian, der sich weniger durch seine Talente, als durch sein Gespür Ja zu sagen auszeichnete, was Mister Sebastian zu einem idealen Gesprächspartner für Miss Lemotte machte. Sie hingen aneinander, zwei Menschen, die sich gegenseitig brauchten. Francis Sebastian, weil sie die Tochter des wohlhabendsten Mannes in East Sussex war. Sie brauchte ihn nur als Bestätigung ihrer eigenen Meinungen. Insgeheim beschlich den Constable das Gefühl potenziellen Opfern, gegenüberzusitzen. Er musste an die Worte der alten Green denken.

      5

      John lief gemächlich, die James Street entlang, in den Fenstern der hübschen bunt gestrichenen Häuser brannte, das Gaslicht. Mister Marken trottete mit seiner langen Leiter auf der Schulter und seinem Lehrling im Schlepptau die Straße entlang und entzündete die Gaslaternen. Constable Arnold atmete die schneidende Dezemberluft ein und dachte über den Mord nach, der sich vor einer Woche ereignet hatte. Wenigstens beschäftigten sich die Bewohner von West Hoathly sich nun nicht mehr ausschließlich mit ihren Zänkereien und belästigten ihn damit, jetzt hatten sie ein Thema um das Sie sich drehen und sich darin wälzen konnten. Der Constable hatte bereits ein bestimmtes Muster erkannt. Der Mord war in der Nähe begangen worden und äußerst brutal, ja schon beinahe so absurd, wie in einem Theaterstück von Alfred Jarry im Theater von Brighton, in das ihn seine Freunde geschleift hatten. Das englische Theater war deutlich verarmt, seit Oscar Wilde Stücke geächtet wurden. Der Mörder hatte einen Mann aus dem East Sussex Geschäftsleben ermordet. Er schien zudem zu den Kriminellen zu gehören, denen ihre Verbrechen Vergnügen bereiteten und in diesem besonderen Fall vermutlich auch noch satt machte. Das Gerücht, das die Innereien des Opfers gekocht wurden, hatte noch kein Pathologe bestätigt. Aber man musste nur eins und eins zusammenzählen. Die Nieren des Opfers fehlten und am Tatort war ein Teller Nieren Haschee gefunden worden. Der Mörder schien bei seinen Inszenierungen keine Mühe zu scheuen. Erst tötete er grauenhaft über mindestens eine Stunde sein Opfer und dann bereitete er sich seelenruhig sein Essen aus ihm zu. Gesättigt und gestärkt transportierte er die kopflose Leiche zum Denkmal und positionierte ihn wie einen Büßer, wie Kaiser Friedrich beim Gang nach Canossa, vor dem Kriegerdenkmal. In West Hoathly Sussex gab es nur das eine Ehrenmal, denn seit Jahrzehnten hatte man sich noch nicht entschieden, wem die Ehre eines weiteren Denkmals gebühre. Es stand einzig fest, dass es ein großer Mann aus Hoathly sein musste und darin genau lag das Problem. Man konnte als Patriot nicht behaupten, ohne zu Lügen West Hoalthy sei die Heimatstadt großer Persönlichkeiten. Musste mit dem Kohlenstaub zu tun haben, den man hier einatmete, verkümmerte irgendwie den Drang danach Großes zu vollbringen, dachte der Constable. Die letzten Meter bis zu dem Tor von seinem Haus rannte John. Unglaublich aber ihm schien es noch kälter zu werden.

      Kaum stand er im Foyer, rief seine Mutter von oben, »bist du es Tulpe? Es ist spät, du solltest lieber nicht abends auf den Straßen sein, bis der Mörder gefasst wurde.«

      »Ja Ma'am aber ich bin Polizist!«

      »Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ich will nicht, dass du dich nachts herumtreibst, Sohn!«

      »Ja Mutter ich werde, gleich morgen früh versuchen, das meinen Vorgesetzten in Brighton zu erklären, sicherlich werden sie Verständnis haben, dass ich nur bei Sonnenlicht Polizeiarbeit machen kann!« Sein Sarkasmus war verschwendet. »Guter Junge, sage dem Dienstmädchen sie soll dir Tee und etwas zu essen machen.«

      John ging in sein Arbeitszimmer und drehte das Gas etwas weiter auf, setzte sich in den bequemen Diwan am Kamin und begann zu lesen. Ein Schauer überlief ihn in seiner warmen, vertrauten Umgebung, auf dem Diwan hingestreckt und auf das Essen wartend. Im Kamin glomm Glut und die Gaslampen legten einen goldenen Lichtschimmer auf die polierten Möbel. Die Kälte in seinem Inneren ließ sich selbst nicht durch eine Tasse dampfend heißen Tee vertreiben, die auf dem kleinen Beistelltisch neben ihm stand. Stumm und mit seit Generationen vererbter Hochachtung vor den Herrschaften, in einer gestärkten weißen Schürze trug das Dienstmädchen die Fischsuppe auf. Als Hauptgang gab es Lamm in einer Rotweinsoße, Miss Clearance, die seit dreißig Jahren im Haushalt war, hatte die Speise extra aufgewärmt. Zwar konnte das Personal nicht verstehen, welcher irrsinnige Geist John verführt, hatte in den einfachen Polizeidienst zu treten. So dem Namen seines Vaters keinen Gefallen zu erweisen. Aber dennoch blieb er der Sohn der Herrschaft, eine Stellung weit über