Kannibalen und feine Leute. Bexhill

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Название Kannibalen und feine Leute
Автор произведения Bexhill
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742704313



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Hunde in ihrem schmucken Haus im Queen Anne Stil. Ihre Zuchtkriterien Betreffen weder das Aussehen noch genormten Rassestandards, sondern allein die Größe und das Gewicht. Mrs Singers Hunde rissen angeblich die Schafe von den Weiden. Aber wer sagte, schon einer alten spitzzüngigen Dame, deren Mann als Kriegsheld im Burenkrieg 1881 als einer der ersten Offiziere umgekommen war, sie solle ihre Hunde an die Leine legen?

      »Wie ungehobelt, Derek«, rief William Samuel Antill, der seine Brille absetzte und mit Dereks schmierigen Poliertuch säuberte und sich wieder die Nase verächtlich rümpfend seinem Kreuzworträtsel zu wandte.Es war seine Passion, er selber nannte es ein kleines Hobby die kompliziertesten Kreuzworträtsel, die je von einem Menschen ohne ernsthafte geistige Erkrankung erdacht worden waren, zu verfassen und an die Zeitungen des Landes zu versenden. Wofür, die ihm noch Geld zahlten. Leider konnte John ihn dafür nicht verhaften. Kreuzworträtsel waren an sich nichts Subversives. William Antill unterließ es, seine Bekannten die genauen Summen zu nennen, die ihm Times, Guardian und die anderen großen Zeitungen postalisch anwiesen. Aber die Summe war so groß das er ohne jedes Fingerspitzengefühl seiner Arbeit, als junior Fabrikinspektor nachging.

      Derek Green nahm nun einen Besen und ging nach draußen, um der riesigen Promenadenmischung zu beweisen, dass auch in einem sehr kleinen Mann innerlich ein Riese stecken konnte. Einen kurzen Moment herrschte angenehme Ruhe im Wirtshaus, man hörte das freundliche Knistern der brennenden Holzscheite im Kamin, dann schrie Derek laut und kam zurück in die Gaststube gerannt.Er starrte mit Glotzaugen, die jedem Moment aus seinen Augenhöhlen zu fallen, schienen zu John und brüllte: »Gott im Himmel, so eine Scheiße gibt es doch nicht, kommen Sie schnell.«Der Constable ging über diesen Auftritt entgeistert folgsam zur Tür. Draußen lief er durch Knöchel tiefen Schneematsch bis zu der Stelle, wo nun Derek Green und der ob dieser schmeichlerischen Aufmerksamkeit schwanzwedelnde Hund vertraut vor dem Denkmal des Gefallenen Postboten beieinander standen und den Gegenstand ihres Interesses anstarren.

      »Großer Gott«, flüsterte John, als die Sirene des Stahlwerks grausam los schrillte und die abendliche Stille mühelos, wie ein Blatt Papier zerriss. Die Figur, die am Heldendenkmal im Schnee kniete, war, kein Veteran, der Blumen zu Füßen von Oberst Singer niederlegte, es war ein Mann besser die Leiche eines Mannes ohne Kopf. »Mein Gott das ist kein Scherz, der Tote ist echt!«, Dereks Stimme klang schrill und grauer Atem wallte aus seinem Mund und Nasenlöchern. Es war bitterkalt in diesem frühen Stadium des Dezembers. »Wie lange der wohl schon so auf den Knien liegt, der ist ganz eingeschneit?«, fragte Derek in den Abendhimmel. »Hm, gute Frage!«, sagte John. Er war sich nicht sicher, es hatte den ganzen Tag über geschneit, es schneite seit einer Woche ununterbrochen und das Thermometer in der Wache zeigte unerfreuliche 20 Grad unter null. Er räusperte sich amtlich: »Schwer zu sagen, ein paar Stunden vielleicht.« Dann fiel John Arnold etwas sehr Wichtiges ein, »Weiß einer von euch, wer das sein könnte?«

      »Das niemand ihn da knien gesehen hat, geht mir einfach nicht in den Schädel?«, William Antill schüttelte seinen Kopf.

      »Wer sollte ihn schon sehen unter so einer dicken Schneedecke, Mister Antill?«, fragte der Wirt.

      »Seit Wochen ist die Gaslaterne kaputt und was tut der Bürgermeister? Nichts, der ist heilfroh, wenn wir alle in unseren Betten abgemurkst werden, hat er weniger Arbeit!«, schimpfte Mister Antill und pikste mit seinem Gehstock kleine Löcher in den Schnee.Der Bürgermeister von West Hoathly war eine Kreatur von Isaak Lemotte, ein Mann den Mister Antill bodenlos hasste. Niemand wusste, womit Isaak Lemotte sich die Rachsucht von Mister Antill zugezogen hatte. Während William Antill schimpfte wie ein Rohrspatz, dachte John, dass er als ranghöchster Polizist etwas anderes tun sollte als einfach nur mit seinen Kumpels herumzustehen und Maulaffen feilhalten und über den Schnee nachzudenken.

      »Ich gehe und telefoniere mit dem Inspektor vom Dienst in Brighton. Ihr als Zeugen seid bitte so zuvorkommend und bewegt euch nicht vom Fleck.«

      »Du machst wohl einen Witz, Mister Arnold? Keine zehn Pferde kriegen mich weg von hier!«, behauptete Antill und streifte sich zur Unterstreichung der Behauptung seine Wollhandschuhe über.

      Wieder einmal verfluchte Constable John Arnold die schwierige Situation der Polizei von East Sussex besonders der von West Hoathly. Der Wache standen laut Polizeigesetz Vorschrift zur Fixpunktierung vom 4. 5. 1875 ein Inspektor zwei Sergeanten sowie fünf Constable zu und was hatte er? Keinen Inspektor, Lewis war seit 1889 im Ruhestand und bewirtschaftete seine Kleefelder draußen in Upper Dicker, seine einzigen drei Constable lagen schwer krank wegen einer angeblichen Pilzvergiftung im Queen Victoria Krankenhaus von Brighton. Der first class Constable hatte es nicht übers Herz gebracht seine Leute in das neu errichtete Krankenhaus von Brighton einweisen lassen wegen einer Methanolvergiftung, die sie sich beim Schwarzbrennen von Whisky selber zugezogen hatten. Doktor Swift war so menschenfreundlich gewesen aus der Alkoholvergiftung eine Nahrungsmittelvergiftung zu machen, andernfalls hätten drei schlechte Polizisten, die dennoch gute Menschen waren ihre Arbeit verloren. War eine dumme Idee von ihm, seinen Leuten zu gestatten im Keller der Wache ein Polizeimuseum zu errichten, wenn die einzigen Ausstellungsstücke Utensilien zum Schwarzbrennen und Wildern waren. Zum Glück hatte er es nie mit einem Falschmünzer zu tun gehabt, sonst hätte er es womöglich mit einer unerklärlichen Inflation in Hoathly zu tun gehabt anstatt mit Symptomen von Verwirrung, kurzzeitiger Erblindung und Ausbrüchen übelster Sentimentalität.

      Er war alleine in dieser Situation, er musste zuallererst Ruhe bewahren und klaren Kopf behalten. John rannte aufgeregt quer über den Platz zum Krämerladen und Postamt von West Hoathly und trommelte mit beiden Fäusten gegen die weiße Tür. Eine aufgewühlte Mrs. Agatha Singer, die das Geschehen vom Fenster ihres Schlafzimmers von wo man eine wunderbare Aussicht auf die Fenster in der Lester High Road besaß, aus verfolgt hatte, öffnete ihm nahezu hysterisch. Um ihren Hals hing noch das Opernglas, das immer auf dem Fensterbrett ihres Schlafzimmers zu finden war, als hoffe sie eines Tages würde die Oper La Traviata auf der Straße aufgeführt. Dabei missfiel ihr jede Form von Pathos und sie verabscheute Unmoral. Irgendwo in der Wohnung war das diabolische Knurren von mehreren Hunden zu hören. Ein Knurren ähnlich dem Zerberus, wer wusste, was Agatha, die Helden Witwe von West Hoathly bei ihren Hundezucht Experimenten für Ungetüme zum Leben erweckte. Das tiefe Knurren, gepaart mit dem Geräusch von knackenden Knochen aus Richtung der Küche. Es weckte in dem Constable die Erinnerung an Mary Shelleys Frankenstein. Ein Buch, das er sich vor dem Charles Darwin in der Arbeiter-Bibliothek ausgeliehen hatte und unbedingt zurückgeben musste.

      »Deinen Fernsprechapparat Agatha schnell, ein Mord, ist geschehen, nehme ich an!«Agatha rang die Hände, »Mord oh je ein Mord«, klagte sie. Die alte, kleine Frau lief schnell zum Telefon-Tisch und drehte die Induktion Kurbel des Fernsprechapparat Modell Ericsson Eiffel Tower, als wolle sie der britischen Edison Gesellschaft für angewandte Elektrizität Konkurrenz machen. Sie ließ sich vom Fräulein der United Telephone Company mit dem, Anschluss Brighton 053 verbinden und machte dann Platz für den Constable.John brüllte seine Dienstnummer in den Sender und meldete einem müden Sergeanten den Fund des noch unbekannten Toten und bat wortreich um Verstärkung. Von draußen schallte Dereks aufgeregte Stimme der „Mord zu Hilfe“ schrie.

      Während sich Mrs. Singer Wort für Wort des Gespräches einprägte. Passagen ihren Mund bewegend auswendig lernte, rannte Derek Green aufgescheucht in der Lester High Road umher und verbreitete die Geschichte von der Missetat. Die Anwohner der Straße kamen aus den Wohnhäusern, den Geschäften, andere steckten die Köpfe aus den Fenstern. Dann versammelten sich der Mob unaufhaltsam, von morbider Neugier angelockt in der Lester High Road und zertrampelten auf ihrem Weg einen Toten anzustarren wichtige Spuren. Constable Arnold beendete sein dienstliches Telefongespräch und schrie seinen Dank in den Sender.

      Mit Anweisungen versehen und Mrs. Singer und ihrem aufgeregten Hunderudel im Schlepptau verließ er den Laden. Er trat auf die Straße und sah, wie die Leute den Toten in einem Halbkreis umringten und den Kreis immer enger zogen. Und eine Anweisung aus Brighton lautete keine Spuren zu zerstören. Bis demnächst ein Inspektor, falls verfügbar, die Sozialisten in Brighton waren die dringendste Angelegenheit im Moment, kommt. Er solle versuchen, nur ein Minimum an Aufsehen zu erregen. Was dachten die sich, er war nicht im Ungeheuer London, wo alle zehn Minuten einer umgebracht wurde. Wo ein Mord so aufsehenerregend war wie das Spucken in die Gosse.