Kannibalen und feine Leute. Bexhill

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Название Kannibalen und feine Leute
Автор произведения Bexhill
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742704313



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fährt. Die East Sussex Railway zieht es an Dienstagen vor nicht direkt von Waterloo Station, abzufahren.«

      »Ach nein, vielleicht von Paddington aus? Charing Cross? Pancras?«, riet Littlewood. Sein wunderbares, neues London war so reich an Bahnhöfen, man konnte Stolz darauf sein.

      »Nein, Bahnhof Nekropolis!«

      Snyder grinste und Littlewood nicht. Da in den 1850er Jahren die Beseitigung der Leichen in London aufgrund der beengten Platzverhältnisse immer schwieriger und teurer wurde, errichtete die London Nekropolis Company im 60 Meilen entfernten Surrey Brookwood den größten Friedhof der Welt. Die Nekropolis Company baute auch einen Bahnhof, der sich direkt neben dem Bahnhof Waterloo Station befand. Die Nekropolis Toten Züge fuhren täglich Trauernde und Fracht. Manche mochten die Nase rümpfen, aber Littlewood sah darin das Zeichen der neuen Zeit. Es war auch ein nettes mathematisches Rätsel. »Die Römer gründeten Londinium im Jahre 47 jetzt haben wir das Jahr 1891. «

      »Na und?«

      »Wir können das Bevölkerungswachstum messen, sowie den Bevölkerungs Abgang und stellen fest das unter unserem Boden nicht viel weniger als sagen wir 50 Millionen Leichen liegen sollten. Ja die gute Londoner Erde ist ein wirkliches Knochenhaus.« Nach dieser kleinen Erläuterung an den dummen Snyder, er hatte auch nie eine Höhere Schule von innen gesehen, setzte sich Littlewood.

      »Das hier ist London die größte Stadt der Welt. Wenn kein Zug wegen des Schneefalls geht, nehmen wir eben die Postkutsche, den Pferdeomnibus, besorgen uns eines dieser Dampfautomobile, aber wir Fahren in dieses gottverdammte Kaff, Anweisung von oben. Und nehmen wir Sergeant Thomas Brady mit. Außer sich mit seiner Pfeife im Mund hier in den Fluren herumzutreiben und über seine Gesundheit zu klagen, tut er ja nichts.«

      Beide seufzen, wenn alle Polizisten arbeiteten, wie Brady hatte das Verbrechen das ganze Jahr über Feiertag. Wie üblich hatte er Inspektor Snyder nicht gefragt, wen er als Gehilfen haben wollte. Thomas Brady war noch ziemlich jung, aber ein solcher Hypochonder, dass er wie ein alter Mann wirkte. Er war nicht unangenehm und auch nicht faul, aber dauernd schluckte er obskure Medikamente. Er Schwor auf Doktor Francis Thumbeltys Indianermedizin, ein Kurpfuscher, den man im Verdacht hatte, Jack the Ripper zu sein. Der ganz sicher gehängt worden wäre, hätte er nicht bei zwei Ripper Morden wegen Homosexueller Unzucht im Gefängnis gesessen. Brady witterte hinter jeder Ecke Verschwörungen und Verbrechen und man wusste nie, was er nun davon Ernst meinte. Brady fühlte sich mit allen Übeln behaftet, über die er etwas im british medical Journal las, was ihn jedes Mal in Angstzustand versetzte. Besonders nervend im Umgang mit Brady war, dass er auf der Suche nach Krankheitssymptom einem förmlich ins Gesicht kroch. Sein Lieblingssatz war. Sir, fühlen sie sich wohl, sie haben ganz gelbe Augen.

      »Ich werde Thomas Brady abholen und dann Sie.«

      Inspektor Snyder war von seinem Stuhl aufgestanden und schlüpfte in seinen Mantel. Die Dunkelheit hing bereits wie ein schwarzes nasses Tuch über dem grau von London.

      »Ja, tun Sie das«, verabschiedete ihn Littlewood schlecht gelaunt. Und begann an einem Bericht zu Feilen die Vorkommnisse in West Hoathly betreffend. War es die Tat einer Terrorgruppe? Eines Einzeltäters? Und wie verdammt sollte er mit Männern wie Snyder und Brady den gefährlichsten Irren seit Jack the Ripper fassen? Snyder ging den tristen Korridor entlang und verließ Scotland Yard. An der prächtigen U-Bahn Station Victoria Embankment kaufte Snyder sich eine Times Zeitung und machte sich, das Abendblatt im Zugabteil zweiter Klasse lesend, mit der Untergrundbahn auf den Heimweg nach Chelsea. Es hatte wieder angefangen zu schneien, matschiger Schleim flockte vom grauen Himmel. Zu Hause drehte er das Gaslicht an und setzte sich mit einer Flasche Bier in das Lesezimmer und dachte nach. Er dachte oft über die Leere seines Lebens nach. Und manchmal blickte er in den grotesk, langweiligen Abgrund der Normalität. Sein eigenes Spiegelbild starrte ihn aus den Fenstergläsern des Schiebefensters an, draußen klapperten die Hufe eines Hansom Cabs auf dem Kopfsteinpflaster vorbei. Alles war so nichtssagend, auswechselbar an diesem Leben, das ihn diese Gedanken zwangen, sofort über etwas anderes zu grübeln. Wie er bloß seine Gattin Mrs. Snyder dazu bewegen konnte ihm zu erlauben, sich eines dieser Hansom Cabs zu kaufen. Er hatte weit über seinen Stand geheiratet, sein Schwiegervater war Landpfarrer in einer reichen Gemeinde, verdiente 1000 Pfund im Jahr. Er hasste einen stillen Moment lang seinen Schwiegervater und dann fragte er sich wie er Brady am Morgen finden konnte, er hatte sich nicht seine Adresse geben lassen. Er sah auf die Uhr, in einer Stunde trafen sich die Vertreter der City Wachen um sich die Strategie bei den Lohnverhandlungen, mit dem Lord Mayor zurechtzulegen. Mit 27 Schilling und 6 Pence die Woche konnte kein Polizist würdig Leben das mussten die einsehen andernfalls hatte London mit einer Krankheitswelle vom Constable bis hoch zum Inspektor zu rechnen.

       8

      Derek schlurfte mit langem Gesicht von Tisch zu Tisch, er arbeitet schließlich nicht im Ritz in Paris. Derek kannte diese goldene berufene Stadt aus den Erzählungen seines Vaters, der sie wiederum in irgendeinem schlüpfrigen Kalenderblatt gelesen hatte. Leider konnte er nicht vergessen, wo er sich befand. Er muss nur aus dem verschneiten mit Eisblumen bewachsenen Fenster seiner Kneipe starren, so wie es der Constable mit seinem gutmütigen rosa Ferkel Gesicht machte. Eine Gruppe Arbeiter marschierte wie zum Drill eines Preußen zur Nachtschicht in die Gießerei. Typen mit dicken Hälsen roten Augen und rauer Sprache. Wohin geht ihr nur? Fragte sich der Constable, seltsam poetisch gestimmt. Er bedauerte die 12-jährigen, die gezwungen wurden, anstatt ein gutes Buch zu lesen oder was immer man in einem der kältesten Winter seit Jahrzehnten machen konnte, zur Knochenarbeit in drückende Hitze zu müssen. Derek Green legte die Melodie pfeifend den Irisch Marsch von Sullivan auf das neue Grammofon. Der Constable widmete sich nach der Betrachtung der Arbeiter, halber Kinder der nicht weniger unerfreulichen Inneneinrichtung des Seemannskopfs.

      An den Wänden hingen 200 mittelmäßige bis drittklassige Gemälde und Drucke von Segelschiffen und der Küste von Dover. Der Wirt und Besitzer der miesen Ölschinken schlurfte an seinem Tisch vorbei und bedachte ihn mit einem kurzen Nicken. John sah, wie die Tür aufflog und wie Singer, Lemotte und als kreisender Satellit, der das Licht beziehungsweise den Einfluss als gravitätische Einheit umkreiste, Francis Sebastian, heute ohne dieses lächerliche lange Kragenhemd, das ein über dreißigjähriger nicht tragen sollte, ganz egal wie fanatisch er auch an der Überzeugung hing, mit junger Mode das Alter kaschieren zu können, an ihren Tisch schlenderten, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Viel war an diesem Abend nicht los; vielleicht war der Mord daran schuld, oder die auffälligen Gestalten, die man im Ort noch nie gesehen hatte, aber in der Kneipe hingen, mit den Schillingen klimperten wie Lords und vorgaben auf der Suche nach Arbeit zu sein. Jeder sah es auf den ersten Blick Lemotte Männer dazu engagiert, den aufkeimenden Streik zu ersticken.

      »John!« Die aufdringliche Stimme Miss Lemottes ertönte durch den Pub, der guten Leute. »John bist du taub? Komm schon!«

      John riss sich von seinen Träumen los. Er machte sich innerlich gequält auf den Weg zu ihnen. Auf dem kurzen Weg zur Elite dieses Städtchens begaben sich seine Gedanken auf eine andere Reise und schlugen Richtungen ein, die mit seiner Funktion als Polizist nichts zu tun hatten. Er war von oben bis unten voller guter Hausmannskost und Wunschträumen, wie zum Beispiel, dass er endlich den Mut aufbrachte, in den Kolonialdienst zu treten. Nur wie sollte er das seiner 76 Jahre alten Mutter erklären, die in hündischer Liebe an ihren Jüngsten hing. Seinen Weg zum Tisch seiner Bekannten führte er einem inneren Dialog auf, sodass es jedem, der in sein Gesicht gesehen hätte, es aufgefallen wäre. Die meisten taten es nicht, seine Lippen bewegten sich und sein Mund zeichnete ein Lächeln in die Luft, was er absurderweise für charmant und schneidig hielt. Vor Francis Füßen lag ein gewaltiger, zottiger Hund von sehr zweifelhaftem Charakter. Der so groß war, um eine Kuh von der Weide zu reißen und den Kadaver 3 Meilen weit nach Hause zu schleifen. Als er John kommen sah, öffnete er kurz seine Augen und beobachtete, wie er den Raum durchquerte. Kaum hatte John sich gesetzt, erhob er sich und lief auf ihn zu und legte zuerst seine gewaltige Pfote und dann seinen Kopf auf seine Knie.

      »Mörder mag dich, John«, sagte Agatha Singer verwundert.

      Die alte Dame hatte ein Faible für spleenige Namen. Man konnte in West Hoathly ab