Kannibalen und feine Leute. Bexhill

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Название Kannibalen und feine Leute
Автор произведения Bexhill
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742704313



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umwerfend aus, Sir!«, sagte Littlewood.

      Lestrades Gesicht bekam einen heiteren Ausdruck, »macht alles die Schwangerschaft mein junger Freund, haben schon drei dieser kleinen Rabauken im Haus, aber ich sage man kann ein paar Dinge in dieser Welt nie zu viel haben. Kinder, Gesundheit und Geld!«

      »Da haben sie wohl recht, Sir!«

      Littlewood stimmte nur den beiden letzteren Dingen zu. Die Kinder, die er in Pimlico kannte oder sah, waren wie missgewachsene kleine Erwachsene, erinnerten ihn bei ihrem Weg in die besseren Schulen irgendwie an unheimliche Jesuiten oder eine Herde blöder verfressener Vikare. »Eine Frage Sir?«

      »Schießen sie schon los, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit, im Nebenraum sitzen Watson, Burello, Lim und der verdammte Graf von Habsburg und saufen das Bier als wäre es Wasser. Muss mir angewöhnen, Antitoxin mitzubringen, wenn ich das nächste Mal auf einen Habsburger treffe, saufen alle wie die Fuhrknechte.«

      »Bezog sich die Einladung nur auf den Auftrag, Sir? Ich sehe nämlich die umwerfende Lady Lilly Langtry.«

      Der Chiefconstable grinste, »aha also auf eine Mätresse des Prince of Wales abgesehen, na dann viel Glück!«

      Der Staatssekretär errötete, es kam nicht sehr oft in der Öffentlichkeit vor das jemand diese berühmte Schauspielerin, eine Hetäre nannte. Littlewood war begeistert, er hatte sie 1886 im Theater royal Haymarket in dem amüsanten Stück „She Stoops to Conquer“ gesehen. Ihre natürliche Anmut und Grazie legte ihr nicht nur sein Herz, sondern auch das der Londoner Künstlerwelt und der Salons von Mayfair zu Füßen. Aber vermutlich nahm sie es Scotland Yard übel ihren besten Freund in ein Zuchthaus gesteckt zu haben, wo er zwei Jahre schwere Zwangsarbeit verrichten musste. Er selber hatte sich geweigert an diesem Racheakt, von John Sholto Douglas, den 9. Marquess von Queensberry der die Ehre seines Sohnes befleckt sah teilzunehmen. Der Marquess konnte sich nun rühmen, der englischen Theaterwelt einen tödlichen Dolchstoß versetzt zu haben. Queensberry hatte nicht wie ein Gentleman gehandelt. Der Marquess hatte das Ehrgefühl eines kleinen bissigen Straßen Köters gepaart mit der Rachsucht einer Viper. Mal sehen ob er diese Schönheit davon überzeugen konnte, sein Bett zu teilen.

       3

      »Wenn Sie kurz beschreiben könnten, unter welchen Umständen sie die Leiche gefunden haben«, fragte Inspektor Littlewood aus London. Der nach einer groben Reinigung im kleinen Wachhaus mit der Zeugenbefragung begann. Er war noch immer leicht verstimmt von der Eisenbahnfahrt, der Bahnhof in West Hoathly diente ausschließlich gewerblichen Zwecken und bot nicht den geringsten Komfort. Tag um Tag verließen Waggons mit Stahl den Ort in Richtung London, wo der Zug kurz vor Brompton auf einem privaten Gleis nach Docklands abbog. Dort wurden die Güterwagen mit Kohlen beladen, dem Motor der Wirtschaft. Das hieß Walter Littlewood reiste nicht gewohnt erster Klasse, sondern Holzklasse im ganz hinten angehängten Passagierwaggon. Das erklärte seinen Missmut, denn auf der ganzen Fahrt hatte er neben ungehobelten Arbeitern gesessen. Die sich in Brighton ein Match des Sussex County Cricket Klub gegen den Brighton Cricket Klub angeschaut hatten. Ihm waren die Rauchschwaden der Lokomotive sowie der mit dem aller billigsten Tabak gefüllten Pfeifen der herausgeputzten Arbeiter in Gesicht geblasen worden. Zu allem Überfluss hatten sie direkt nach ihrer Ankunft in West Hoalthy zuerst das Haus des Opfers durchsucht. Seine teure Kleidung war verschmutzt und ein ekelhafter Kohlefilm von der altertümlichen Stevenson Dampflokomotive klebte unter seinen manikürten Fingernägeln. Jeder einzelne Knochen tat ihm weh.

      Constable Arnold beantwortete die Fragen, die ein Mitarbeiter des Chiefs im Rang eines second class Inspektors, im schweren Fuchspelzmantel, mit rot gefrorener Nase daneben saß und angeödet Constable John Arnolds Antworten in sein Polizeibuch eintrug. Inspektor Snyder sah mit seinem roten Haar wie ein Streichholz aus und besaß denselben Esprit. Er hatte ein hartes, rosiges Gesicht und verwaschene nichtssagende blaue Augen. Die stählerne Schreibfeder kratzte über das Papier und ging Constable Arnold auf die Nerven.»So viel Ihnen bekannt ist Constable, war dieser Johann Donneou ziemlich gut angesehen hier, keine Feinde? Littlewood blätterte stirnrunzelnd in seinem eleganten Notizbuch zurück, »Verzeihung das Opfer heißt wohl Donovan! Soviel mir bekannt wurde, ein angesehener Bürger, ein Gentleman von hier.«

      »Ja, von hier«, bestätigte Constable Arnold, als einziges der Behauptungen. Er war wenig vom Rang und dem Scotland Yard Stallluft seines Gegenübers eingeschüchtert. Er fragte sich, was die Betonung das Opfer stamme aus der Gegend bedeuten mochte. Ob die korrekte Bezeichnung nicht eher das Opfer hieß Donovan, gewesen wäre. Immerhin war das Opfer in Abney Park dem Armenfriedhof, wie man das Versterben in der niedrigen Schicht nannte. Allerdings würde Mister Donovans Körper nicht auf diesem in die Sprachkultur eingegangenen Armenfriedhof von London begraben werden. Tote Reiche bevorzugten auch monumentales aus Marmor, selbst wenn es ihnen nicht viel nützte.

      Inspektor Littlewood hielt den Kopf schief, als hätte er eine Dystonie und fixierte John Arnold aus müden blauen Augen. »Sie nehmen also auch an, dass dieser Mensch von einem ihrer eigenen Irren umgebracht wurde?«»Ja ein Irrer, von wo auch immer, natürlich. Sie etwa nicht? Das Lesen ist daran schuld. Romane, in denen es nur so vor Intimitäten und Mord wimmelt. Nehmen sie nur diese Groschenhefte, wie Warney der Vampir oder die Geheimnisse von London, die jeder für einen Sixpence bekommt. Das sagt alles. Solche Groschenhefte bringen den Leser um den erholsamen Schlaf und wecken im umgeschulten Leser die Lust am Verbrechen.«»Hört, hört, hört«, murmelte Snyder kurz abgelenkt.

      Der Inspektor nickte, und fragte sich, warum in der Dienstakte dieses Polizisten stand, er sei unfähig ein höheres Amt zu bekleiden. Der Inspektor fand die Ideen vom Constable klar und durchdacht und er erkannte den feinen Witz in der Aussage. Constable Arnold verfolgte also das politische Geschehen in der Tagespresse, denn mit genau dieser Begründung, versuchte der Duke of Longford im Oberhaus die Ratifizierung eines Lieblingsprojektes ihrer Majestät, Königin Victoria das allgemeine kostenlose Schulgesetz auszubremsen. Anscheinend machte eine gebildete Arbeiterklasse den hohen Lords Sorgen. Immerhin war das Gesetz vor drei Jahren zur Unterschrift im House of Lords eingereicht worden und Unterhaus und Oberhaus schoben sich die Gesetzesvorschläge gegenseitig hin und her. Jetzt schrieb man das Jahr 1891 und die Queen hatte eine diskrete Mahnung aus ihrer schottischen Besitzung Balmoral Castle an die Peers gerichtet. Littlewood informierte sich immer zu Beginn eines neuen Falles, mit welcher Art von Polizist er zusammenarbeitete. Dieser Kleinstadt Constable hatte eindeutig das Zeug zu besseren als in dieser elenden Provinz, zu verwelken, hatte sich im Haus des Mordopfers gut geschlagen. Inspektor Snyder zählte nicht, der hatte kein Herz, war kalt wie Fischaspik in seiner Brust, der würde nicht mal die Miene verziehen, wenn er seine Frau gemetzelt in seinem Schlafzimmer vorfinden würde.

      »Bringen Sie uns einen Whisky«, befahl Littlewood, Inspektor Snyder. Der sich daraufhin mit unbewegtem Gesicht erhob und das kleine Wachhaus verließ, um im Seemannskopf ein paar Minuten zu Fuß die Straße hinunter das Gewünschte zu besorgen, nachdem er sich selbst erst einmal in aller Ruhe ein Guinness Bier gegönnt hatte. Sollten dieser lackierte Affe und der Constable, der in einen Zirkus gehörte und nicht in die Uniform der Sussex Police doch auf ihren Whisky warten.In den Seemannskopf war die Polizei eingezogen. Nicht schlecht für den Wirt Derek Green. Sergeanten, und Constables, die zur Spurensuche aus Brighton und Lewis herangekarrt worden waren, von Haus zu Haus gehen sollten und eigentlich mit dem Zeugen auffinden beschäftigt sein sollten, soffen viel. Derek war es zufrieden, noch so ein Mord und er konnte sich bald den 20 Pfund teuren Doktor Maxwells elektrischen Wachstums Gürtel leisten. Der für sein, die Wissenschaft revolutionierendes Werk, nach einem Spartaner Leben gewidmet allein der Erforschung der Wachstumsprozesse in den Zeitungen für sein Produkt warb. Zwei Zentimeter Wachstum per Monat versprach die Werbung. In nur einem Jahr konnte es Derek, auf 1 Meter 75 bringen hatte er ausgerechnet und das Beste der Wachstums Gürtel war patentiert.

      Im kleinen Wachhaus mit nur einer Zelle starrte derweil Constable John Arnold an die vom Kohlenruß geschwärzte Decke. Es herrschte ein nachdenkliches Schweigen. Zwei Charaktere saßen auf den knarrenden Holzstühlen, die sich gegenseitig einzuschätzen versuchten. Beide warteten auf den Whisky, es war verdammt kalt und der kleine Kohleofen im Polizeirevier von West Hoathly, das ehemaliges Cottage eines Tagelöhners war absolut überfordert.