ALLES für NICHTS. Volker Bauch

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Название ALLES für NICHTS
Автор произведения Volker Bauch
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783738014020



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dass nun Schluss sei, weil ich einen Brief schrei ben wolle. Ein bisschen Ruhe wäre dabei nicht schlecht.

      Da hatten sie mir einen völligen Durchgeknallten auf die Hütte gelegt, der unberechenbar war. Anscheinend brauchte man so eine Art Aufpasser. So verstand ich es jedenfalls.

      Der späte Nachmittag begann so, wie der am vorherigen Tag. Nun betätigte der Typ alle 15 Minuten die Rufanlage und ver

      langte nach Medikamenten. Einmal erhielt er zwei Tabletten, aber dann nichts mehr. All seine weiteren Versuche waren vergeblich. Er steigerte nun seine Turneinlagen und tobte zwischen Boden und Bett hin und her. Mir stand eine weitere unruhige Nacht

      bevor.

      Langsam wuchs meine Wut über den Kraftsportler, der unter mir das ganze Bett zum Beben brachte. Nach ein paar heftigen Worten hielt er nun tatsächlich Ruhe.

      Es muss so gegen 4 Uhr morgens gewesen sein, als ich durch tosende Geräusche aus dem Schlaf gerissen wurde.

      Ich sah nur einen Schatten, der, wie wild geworden, an dem Schrank herumzerrte und diesen vor die Eisentür schob. Als nächs tes kamen die Hocker dran, mit denen er den Eingang verbarrika dierte.

      Ich traute meinen Augen nicht. Der komplette Inhalt des Schranks lag in Einzelteilen verstreut auf dem Boden.

      „Drehst du jetzt total durch!“ schrie ich ihn an.

      „Die wollen mich holen! Die stehen mit 34 Leuten und Do bermännern vor der Tür und wollen mich holen. Und du bist auch einer von denen!“

      Er hatte sich den Nassrasierer genommen und kam bedrohlich auf mich zu.

      Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett und gelangte so hinter ihn. Mein erster Schlag traf ihn nur halb, doch der zweite saß. Krachend knallte er rückwärts mit dem Kopf gegen die Heizung.

      Dann war es still. Er gab keinen Ton mehr von sich.

      Ich machte das Licht an, um zu sehen, was mit ihm war. Er blutete aus Mund und Nase und regte sich nicht. Seine Atemzüge waren kurz und heftig.

      „Scheiße!“ Ich bekam es mit der Angst. „Hoffentlich nippelt der mir hier nicht ab und ich bin dran schuld!“

      Ich nahm zwei Gläser kaltes Wasser und schüttete sie ihm ins Gesicht. Langsam kam er wieder zu sich und fragte, was passiert sei.

      Ich erklärte ihm, dass er mich angreifen wollte und einen totalen Ausraster gehabt hätte.

      „Das kommt schon mal ab und zu vor“, war sein Kommentar. Noch sichtlich benommen schlich er in sein Bett.

      So gut es ging, brachte ich alles wieder in Ordnung. Als die Tür zur Frühstücksausgabe aufging, forderte ich von dem Beamten, mich sofort zu verlegen, da ich ansonsten für nichts mehr garan tieren könne.

      Eine Stunde später packte ich meine Sachen.

      Ich kam auf eine Regelstation für Strafhaft. Dort saßen die, die rechtskräftig verurteilt waren und nun ihre Strafe verbüßten.

      Meine neue Zelle hatte eine Steckdose und an der Wand, auf einem Tisch, stand ein kleiner Fernseher. Diese beiden Dinge fie len mir als erstes auf.

      Der Mithäftling hieß ebenfalls Michael und war 34 Jahre alt. Mit Unterbrechungen, hatte er 18 Jahre im Knast verbracht.

      In dieser Zelle war es genauso eng, wie in der letzten. Doch alles wirkte viel sauberer und aufgeräumter. Mein neuer Zellenkollege besaß einen Tauchsieder. Heißes Wasser konnte man nun jeder Zeit haben und war nicht mehr auf das „Goodwill“ von Beamten oder missmutigen Hausarbeitern angewiesen.

      Im Vergleich zu meiner letzten Unterkunft, war das hier fast eine LuxusSuite. So empfand ich es jedenfalls.

      Mein Mitbewohner sprach nicht viel und das war mir auch ganz recht so. Ich hatte mich um meine eigenen Dinge zu kümmern. Beate hatte mir einen Anwalt namens KOHN aus Hann. Mün den bei Kassel besorgt. Angeblich ein Strafrechtsexperte mit

      Schwerpunkt Wirtschaftsdelikte.

      Doch erst einmal musste ich von hier wegkommen. Ob ich beim nächsten Transport dabei sein würde, konnte mir, trotz massiven Nachfragens, niemand sagen. Die Hoffnung, dass die Kripo jemals hier erscheinen würde, hatte ich bereits aufgegeben.

      Jemanden von den Bediensteten zu fragen, war vergebene Lie besmüh. Die machten durch die Bank, Dienst nach Vorschrift. Alles andere interessierte sie nicht.

      Ich schrieb Eingabe um Eingabe, mich beim nächsten Ab fahrtstermin zu berücksichtigen. Ich erhielt noch nicht einmal eine Antwort.

      Inzwischen war ein weiterer Mittwoch vorbei und ich saß noch immer hier. Wieder eine Woche warten!

      Zu den Hauptbeschäftigungen meines Mitbewohners zählte, von früh bis spät durch die Programme des Fernsehers zu zappen. Und der lief bis in die Nacht.

      Zweimal am Tag stählte er seinen Körper mit Kraftübungen. Dazu benutzte er einen Besenstiel, an dessen Enden er jeweils einen gefüllten Wassereimer befestigte. Damit machte er bis zu 20 Kniebeugen. In die Freistunde ging er fast nie. Ich drehte meist allein meine Runden.

      Mir wurde in der Zeit im Knast schnell klar, dass ich trotz Gesellschaft allein auf mich gestellt war. So etwas wie Solidarität gab es nicht. Allerhöchstens Zweckgemeinschaften, wenn es um irgendwelche Dinge des Alltags ging, die man sich über verschie dene Kanäle besorgen wollte.

      Auf dieser Station gab es pro Tag so genannte Umschlusszeiten. Dann waren die Zellentüren eine Stunde lang geöffnet und man konnte andere Gefangene besuchen oder empfangen.

      Für mich kam das nicht infrage. Ich wollte bewusst nicht viel Kontakt zu diesen Leuten.

      Immer kamen die gleichen Fragen:

      „Warum bist du hier?“ und „Wie viel Jahre hast du bekommen?“ Danach wurde man eingeschätzt, wobei das körperliche Erschei nungsbild und ob man sich etwas zum Einkaufen leisten konnte,

      weitere Kriterien waren.

      Die Kommunikation spielte sich meist auf der untersten geisti gen Ebene ab.

      Die Legenden so mancher Mitgefangener waren schockierend. Sie stammten überwiegend aus katastrophalen sozialen Verhält

      nissen, hatten weder Bildung noch Beruf und waren teilweise schon etliche Male im Knast gewesen.

      Der Grossteil der Leute konnte nur mäßig lesen oder schreiben und befand sich auf dem Leistungsstand eines Drittklässlers. Im Umgang miteinander bediente man sich einer eigenen primitiven Knastsprache.

      Einzelne Formulierungen waren mir bis dahin auch fremd.

      So bedeutet ein Koffer, zum Beispiel, ein Päckchen Tabak. Die dazu benötigten Blättchen sind ein Buch. Ein Glas löslicher Kaf fee ist eine Bombe und der diensthabende Beamte wird als Schlie ßer tituliert. Angesprochen wird man regelmäßig mit „Was geht ab, Alter?“

      Als vermeintlichen Ausdruck der Persönlichkeit, hatten sich nicht wenige dem Kraftsport bzw. dem Bodybuilding verschrieben. Wahre Muskelmassen stolzierten in der Freistunde wie aufgebla sene Kampfhähne über den Hof.

      Der Anteil der Ausländer hier war groß. Insbesondere die Grup pe der Russen und Russlanddeutschen war beträchtlich und ein in sich geschlossener Kreis. Andere Nationalitäten, wie Türken, Albaner, Jugoslawen, sah man ebenfalls ausschließlich unter sich. Fast jeden Abend stieg ein süßlicher Geruch zu mir nach oben. Michael kiffte. Manchmal rauchte er drei bis vier Stück in kur zen Abständen bis er so dicht war, dass ich den ganzen Abend oder Nacht nichts mehr von ihm hörte. Woher er das Zeug hatte, wusste ich nicht und interessierte mich auch nicht. Hauptsache,

      er ließ mich damit in Ruhe.

      Wieder war ein Mittwoch gekommen und ich hoffte sehnlichst, diesmal auf der Transportliste zu stehen.

      Als ich morgens das Frühstück