ALLES für NICHTS. Volker Bauch

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Название ALLES für NICHTS
Автор произведения Volker Bauch
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783738014020



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Arm schmerzte höllisch. Die Schulter war komplett aus dem Gelenk. Ich musste handeln bevor die Muskulatur sich total versteifte. Ich kannte das schon. Bereits sechs Mal rechts und sechs Mal links hatte ich mir die Schulter beim Sport, speziell beim Fußball, ausgerenkt. Das letzte Mal lag aber bereits zwei Jahre zurück.

      Jetzt musste schnell etwas passieren. Ansonsten ginge ohne Nar kose gar nichts mehr und vorher würde man mir den Magen aus pumpen. Das hatte ich alles schon dadurch.

      Mit der linken Hand löste ich den Gürtel von meiner Hose. Ich baute eine Schlaufe und legte sie um das heraus gesprungene Ge lenk. Das andere Ende befestigte ich am Griff der Bürotür und

      drückte kniend meinen Oberkörper mit aller Kraft nach unten. Mit dem anderen Arm gab ich noch zusätzlich Zug und drehte die rechte Hand in die richtige Position. Es krachte und der Arm war wieder drin.

      Dafür flog nun der linke Arm aus dem Gelenk. Wahrscheinlich durch die verdrehte Haltung und wegen der einseitigen Kraftan strengung. Doch diesmal reichte ein kurzes Ziehen nach unten und der Arm war wieder in der richtigen Position.

      Ich war schweißgebadet und vollkommen fertig. In was für eine Sache war ich da rein geraten und warum? Ich kannte so etwas nur aus dem Fernsehen und nun war ich „live“ dabei. Und das ausge rechnet in dem kleinen Städtchen Korbach. Was war hier los?

      Wie benebelt fuhr ich nach Hause. Das ganze Wochenende über legte ich: Was ist zu tun und vor allem, was ist das Richtige? Die Typen sprachen von noch mehr Geschäften auf ihrer Liste.

      Bei meinem Nachbarn gegenüber, einem Sportgeschäft und auch Kunde von PRO MEDIA, war in kurzen Abständen die Schau fensterscheibe vier Mal komplett eingeschlagen worden. Gerüch ten zufolge, würden chinesische und italienische Restaurants seit Längerem Zahlungen leisten. Von einigen Einzelhändlern war bekannt, dass sie sich private Sicherheitsdienste besorgt hatten.

      „War ich nun dran? Hatten diese Verbrecher die großen Städte abgegrast und gingen nun aufs Land? Was passiert, wenn ich da mit zur Kripo gehe? Würden die mir überhaupt Glauben schenken? Ich hatte keinerlei Zeugen. Wie viel Typen sind da noch im Hintergrund? Wo Zwei sind, können noch Zehn andere sein.“

      Fragen über Fragen überkamen mich, ohne dass ich eine Ant wort hatte. „Was tun? Was ist das Richtige?“ Ich war noch nie in so einer Situation.

      Die Verunsicherung und die Bedrohlichkeit, die die Ganoven erzeugt hatten, wirkte. Ich beschloss, das Geld zu besorgen in der Hoffnung, dass es eine einmalige Sache war und ich danach wieder Ruhe hätte. Ein folgenschwerer Fehler.

      Zu Beginn der neuen Woche stand ich immer noch unter dem Eindruck der vergangenen Ereignisse.

      Zwischenzeitlich hatte ich meine Meinung wieder geändert.

      Ich wollte den Gestalten nicht so einfach zu Willen sein. Auf der anderen Seite war da die Angst und die Unsicherheit, nicht zu wissen was passiert, wenn ich es nicht tue.

      Der Montag im Büro war schrecklich. Die beiden „Herren“ hat ten nicht gesagt, wann sie wieder kommen wollten. Ich musste also jeder Zeit damit rechnen, dass sie auf einmal im Raum stehen könnten. Und wenn nicht hier, dann warteten sie vielleicht wo anders auf mich. Das Büro zu zuschließen war auch nicht mach bar. Ich konnte meinen Mitarbeitern schlecht sagen: „Geht mal nach Hause. Ich erwarte gleich zwei Erpresser.“

      Am nächsten Tag besorgte ich das Geld.

      Meine Konzeption bekam ich mehr schlecht als recht fertig. Ir gendwie war ich froh, an diesem Mittwoch nicht im Büro sein zu müssen. Die Vorstellung des Werbekonzepts lief wider Erwarten positiv. Ich fuhr mit einem guten Gefühl zurück und beschloss, im Büro noch die Post durchzusehen. Es war mittlerweile 19 Uhr 30.

      Ich kam nur wenige Minuten dazu, mich mit den Unterlagen zu beschäftigen, da standen plötzlich die beiden Typen im Büro. Ich wunderte mich, wie sie ins Haus gekommen waren. Die Ein gangstür wurde immer um 19 Uhr zugeschlossen. Ich selbst hatte sie noch verschlossen, als ich ins Büro ging. Anscheinend war ein Mieter, aus einer der anderen Wohnungen, noch einmal raus und

      hatte vergessen, die Tür abzuschließen.

      „Das Geld haben bereit jetzt, wie gesagt, ey?“

      Wieder war der Größere der Rädelsführer. Der kleinere Bullige nahm seinen Platz vor der Bürotür ein.

      „Du viel Zeit hatten, machen Gedanken für Kooperation.“

      Der Bullige grinste über beide Backen. Wieder hatte er Baseball Cap, Lederjacke und Jeans an. Der Andere war edler, mit Bund faltenhose, Hemd und Sakko, gekleidet.

      „Es ist nicht einfach für mich, im Moment 5000 Mark aufzu treiben. Meine Kunden zahlen schlecht“, versuchte ich die Situa tion zu entspannen.

      „Du nix erzählen Scheiße, ey! Wissen genau, was du machen. Hassu viel Kunden. Nimmst du Geld von Konto Kunden für Rech nung.“

      „Woher wissen die das?“ ging es mir durch den Kopf.

      „Hier guckst du Bilder.“

      Der Größere legte mir drei Polaroidfotos auf den Schreibtisch.

      „Kennst du sicher die Kleinen!“

      Das erste Bild zeigte Beates siebenjährige Tochter Sabine, wie sie aus der Grundschule kam. Auf dem zweiten Foto war mein Patenkind Julia, fast vier Jahre alt, die Tochter meines Bruders. Das dritte Bild war vor dem Ausgang des Gymnasiums gemacht worden und zeigte Kathrin, zehn Jahre alt, Beates älteste Tochter.

      Mir wurde anders.

      „Guckst du genau! Sind liebe nette Kinder. Aber sind schlechte Zeiten. Kann viel passieren, wenn nicht zahlen. Auch wissen ge nau, wo du wohnen. Wissen genau, wo wohnen deine Papa, deine Mama. Wissen genau, wo wohnen deine Freundin. Wissen genau, wo wohnen ExFrau deine. Stadt nix weit von hier. Nur 30 km. Kennen genau, wie heißt Club für Fußball du warst Sonntag.

      Mir verschlug es die Sprache. Sie wussten alles von mir und mussten mein ganzes Umfeld ausspioniert haben. Der Druck war enorm. Mein Gesicht und die Wand hinter mir, dürften in etwa die gleiche Farbe gehabt haben. Schweigend öffnete ich meinen Aktenkoffer und gab ihnen die 5000 Mark.

      „Du sehen, geht doch! Du jetzt Kunde. Wird sein gute Zusam menarbeit.“

      Der Größere steckte das Geld ein und beide verließen das Büro.

      Das Ganze hatte nicht länger als 15 Minuten gedauert. Wie lange ich noch vollkommen regungslos auf meinem Stuhl geses sen habe, weiß ich nicht mehr. Wie mein Auto den Weg nach Hause fand, ebenfalls nicht.

      Meine Gedanken überschlugen sich. Sorge und Angst machte sich breit und schnürte mir den Magen zu. An Nahrungsaufnah me war nicht zu denken.

      Es ging nicht mehr allein um mich. Drei vollkommen unschul dige Kinder waren mit im Spiel. Die Gangster kannten alle Perso

      nen, die mir nahe standen, wo sie wohnten und wahrscheinlich auch ihren Tagesablauf. Aber woher wussten sie von den Geschäfts abläufen von PRO MEDIA? Woher kannten sie Name und Adres se meiner NochEhefrau? Sogar meinen Fußballverein TV L. hat ten sie genannt.

      Da hatte man einen unheimlichen Aufwand betrieben, um all das herauszufinden. Das wurde mir nun klar. Zwei Mann allein, konnten das nicht geschafft haben und auch nicht in zwei Tagen, Da muss ich schon länger im Visier dieser Leute gewesen sein. Doch ich hatte nie etwas bemerkt.

      Normalerweise gehe ich Probleme ziemlich forsch und gezielt an. So schnell haut mich auch nichts um, aber das hier war eine ganz andere Nummer.

      Ich war froh, dass Geld gezahlt zu haben. Auch wenn’s wehtat. So hatte ich zumindest Zeit gewonnen. Irgendwie hoffte ich noch immer, dass es eine einmalige Sache war und ich nun Ruhe hätte. Nüchtern betrachtet, glaubte ich daran aber nicht.

      Ich kannte bei der Kripo eine Reihe der Beamten von Schule, Sport und auch privat. Sogar angeheiratete Verwandtschaft war dabei.

      Es war schon