Die Stadt des Kaisers. Alfred Stabel

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Название Die Stadt des Kaisers
Автор произведения Alfred Stabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781260



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in erster Linie sich, des weiteren den König, seinen zweiundzwanzigjährigen Sohn, den Dauphin, den greisen Kanzler Michel Le Tellier, der Louvois Vater war, den Finanzminister Claude le Peletier und Jean-Baptiste Colbert, dem Jüngeren, der das Amt des Marineministers bekleidete. Am Tisch saßen also zweimal Vater mit Sohn und ein Onkel mit einem Neffen. Finanzminister Le Peletier, der ohne physischen Verwandten am Tisch saß, sympathisierte mit Louvois und dessen Vater. Diese drei traten manchmal geschlossen gegen die beiden Colberts auf, was den König gemäß Anlass und Laune amüsierte oder auch irritierte. Der Dauphin pflegte still wie ein Geist im Rat zu sitzen, aus Angst, seinem Vater zu missfallen. Er enthielt sich auch jetzt jeder Äußerung, während die Colberts diskret protestierten und Louvois Vater und Le Peletier andeutungsweise in die Hände klatschten.

      „Lösungen wollen wir hören!“ fuhr Louvois fort. „Keine Grabgesänge.“

      Charles Colberts glaubte bereits eine Lösung gefunden zu haben, wollte sie aber später und sicherlich nicht auf Druck Louvois vortragen. Mit gewichtiger Miene legte er ein Gold besticktes seidenes Täschchen auf den Tisch. So fremd und fein sah es aus, dass sich sofort alle Augen darauf richteten. „Das kam gestern aus Marseille, Sire.“

      „Ich hoffe, es ist nicht das, wofür ich es halte!“ sagte der König. „Wer ist der Absender?“

      „Der Osmanische Großwesir Mustafa Pascha. Die Türken nennen ihn Kara Mustafa, weil er dunkel wie ein Kaffer ist.“

      Ärgerliches Staunen. Vergangenes Jahr war ein Schreiben Sultan Mehmeds an Ludwig XIV. von den Österreichern abgefangen und übersetzt worden. Seither dienten diverse Textstellen in Journalen und Druckschriften als stärkstes Mittel antifranzösischer Propaganda. Besonders populär war die vom Sultan gewählte Anrede ´An meinen geliebten Bruder Ludwig, König zu Frankreich und Deutschland.` Wer es nicht glaubte, konnte das Original am Reichstag besichtigen.

      „Diesmal haben sich die Türken für ihre Post eines unserer Kriegsschiffe bedient“ sagte Colbert beschwichtigend.

      Ludwig nahm das Täschchen an sich. „In welcher Sprache ist das Schreiben abgefasst?“

      „In Osmanisch und Latein.“

      „Wir werden es lesen und den Herren im nächsten Ministerrat vortragen“ versprach der König.

      „Sire!“ protestierte Louvois, „Colbert hat es gelesen, da bin ich sicher und ich will es auch lesen und die anderen Minister ebenfalls.“

      „Geduldet Euch, Louvois! Wir fahren mit unserem Thema fort! Wir haben unsere Verbündeten auf dem Kontinent verloren, Unsere Diplomatie ist zum Stillstand gekommen. Wie können wir wieder zum Status quo kommen?“

      „Sire“ sagte Colbert, „Es bedarf eines Schwenks in der Politik. Weg von den Türken und hin zum Deutschen Reich!“

      „Eure Ansichten sind uns bekannt, Colbert.“

      „Sehr wohl, Sire. Aber hört mich bitte weiter an. Ihr habt mir gestattet, meine diplomatischen Fühler auszustrecken. Das habe ich getan. Und mit einigem Erfolg.“

      Colbert zog ein Taschentuch heraus und putzte sich umständlich die Nase, was, wie jeder am Tisch wusste, sein probates Mittel war, ihre volle Aufmerksamkeit zu haben. Dieses Mal brauchte es besonders lange, bis das Tuch wieder in seiner Weste verschwand.

      „In London“ fuhr Colbert fort, „hat es vergangene Woche ein heimliches Treffen unseres Gesandten mit dem kaiserlichen Diplomaten Graf Caprara gegeben.“

      „Steigt die heilige römische Majestät etwa vom hohen Ross herunter?“ witzelte Louvois.

      Colbert ignorierte ihn. „Alberto Caprara ist ein hochrangiger Diplomat. Vor zwei Jahren hat er in Konstantinopel die Verhandlungen geführt.“

      „Und ist dabei gescheitert“ grinste Louvois.

      „Schweigt jetzt!“ wies ihn der König zurecht. „Habt Ihr dieses Treffen eingefädelt, Colbert?“

      „Jawohl, Sire.“

      „Und wer weiß davon?“

      „Die beiden Gesandten, Sire, und auf Seiten des Kaisers wohl nicht mehr Personen, als in diesem Kabinett sitzen. Für den Kaiser ist Diskretion oberstes Gebot. Man stelle sich die Entrüstung am Reichstags vor, wenn die Sache bekannt würde.“

      „Was wurde in London geredet?“

      „Noch nichts Essentielles, Sire, es war eine erste Annäherung. Der Kaiser ist zu Geheimverhandlungen bereit."

      „Gut gemacht, Colbert!“ lobte der König. „Ist jemand hier der Meinung, dass geheime Verhandlungen mit dem Kaiser uns zum Nachteil gereichen könnten? Dann soll er jetzt sprechen!“

      „Ich sehe keinen Nachteil“ sagte Kanzler Michel le Tellier und alle bis auf Louvois nickten zustimmend.“

      „Zuerst hätte ich gerne gewusst, was im Schreiben dieses Schwarzen Mustafa steht, Sire!“

      Ludwig ignorierte ihn. „Colbert, was meint Ihr wird der Kaiser von Uns wollen? Und welche Zugeständnisse würde er machen?“

      „Seine geringste Forderung wird eine beeidete Garantie sein, dass wir am Rhein Ruhe geben. Dadurch bekommt er Regimenter gegen die Türken frei. Das allein für sich, wird ihn aber nicht zufriedenstellen. Er wird militärischen Beistand verlangen und ein Darlehen, um seine Kriegskosten zu decken."

      "Höchst amüsant" lachte Louvois. "Der Kaiser ist so gut wie bankrott. Welche Sicherstellung könnte er uns geben, Colbert?"

      "Eins seiner Erblande. Wie wäre es mit Vorderösterreich?"

      „Nicht schlecht. Und an welche Summe habt Ihr gedacht?“

      "An noch keine bestimmte. Ein Darlehen kann Teil eines Anbots an den Kaiser sein. Genaueres wird später verhandelt."

      „Und was wollen Wir vom Kaiser verlangen?" fragte der König. "Wie weit würde der Kaiser gehen, um zu kriegen, was er will?“

      „Soweit wie es seine Ehre und der deutsche Reichstag zulassen.“

      „Und was heißt das genau?“

      „Dass er Eure Gebietsgewinne anerkennt.“

      „Das ist Uns zu wenig! Was sagt Unser Herr Sohn? Was sollen Wir vom Kaiser fordern?“

      Dauphin Ludwig errötete. „Den polnischen Thron für meinen Onkel Philippe?“

      „Sehr uneigennützig gedacht“ lobte der König. „Aber denkt zunächst einmal an Euch! Würdet Ihr nicht gerne auf dem bayrischen Herzogstuhl Platz nehmen? Dort sitzt sich´s bequem. Ihr seid mit einer Wittelsbacherin verheiratet. Oder wollt Ihr nach der polnischen Krone greifen oder gar“ - Ludwig senkte seine Stimme zu einem bedeutungsvollen Flüstern - „nach der römisch deutschen, die Euch zu Leopolds Nachfolger bestimmt?“

      „Wie Ihr es wünscht, Sire.“

      Die Gefügigkeit seines Sohnes verstimmte den König. Er ging zu einem der acht Fenster und schaute auf die riesige Baustelle. Obwohl es dicke Flocken schneite, wurde fieberhaft am neuen Seitenflügel gearbeitet. Nach dem Tod des alten Jean Baptiste Colbert hatte er mit Verzögerungen gerechnet, weil er ihn für unersetzlich hielt. Und sich Gottlob geirrt. Hunderte Arbeiter karrten Baumaterial herbei, schlugen Steine zurecht, zerrten sie an riesigen Flaschenzügen hoch und setzten sie ins Mauerwerk. Ob sie sich der Tatsache bewusst waren, dass unter ihren Händen seine Residenz zum größten und schönsten profanen Bauwerk emporwuchs? Vielleicht würde ihn das Volk einmal seinen ´großen König` nennen wegen dieses Schlosses. Gewonnene Kriege, starke Herrschaft, fester Glaube und vorausblickendes Denken hatten ihn in den Augen der Welt bereits groß gemacht. Doch zum Gesamtbild des ganz großen Monarchen gehörte mehr, nämlich Großzügigkeit und maßvoller Umgang mit seinesgleichen. Vielleicht sollte er dem armen Cousin Leopold gegen die Türken unter die Arme greifen, ohne ihm dabei die Hosen auszuziehen? Er ging zum Tisch zurück. Dort war ein scharfes Wortgefecht zwischen den Parteien Colbert und Louvois entbrannt. Im Grunde hatte Ludwig nichts dagegen, wenn sich seine Minister