Die Stadt des Kaisers. Alfred Stabel

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Название Die Stadt des Kaisers
Автор произведения Alfred Stabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781260



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Kerl. Vom Publikum angefeuert, verließ ihn die Kraft erst nach dem fünfunddreißigsten Schupfer. "Die werden gesunde Kinder haben" verkündete der Progroder und "jetzt sind Brauteltern, Beistände und Kranzljungfern dran!"

      Ein Beistand, ein langer Kerl mit breiten Schultern und pockennarbigem Gesicht, zog Agnes zum Tanzboden. Breitenbrunn ging nach seiner Truhe sehen, überdies brauchte er Quartier für die Nacht. Alles war bereits vom guten Progroder arrangiert worden. Die Truhe stand in einer kleinen Kammer neben einem frisch überzogenen Bett. Er tauschte die Reisekleider gegen Hemd und Rock und die Stiefel gegen Schnallenschuhe. Die Wirtin steckte die Nase bei der Tür herein und fragte, ob der Herr auch zurechtkäme. Es wäre halt ein Notquartier, weil alle guten Zimmer von Hochzeitsgästen belegt waren. Breitenbrunn versicherte ihr, dass es an nichts fehlte und sie bat ihn, einen Blick auf die vier Männer zu werfen, die sich in der Gaststube niedergelassen hatten. Reden tat nur einer von ihnen und dem fehlten drei Finger an der rechten Hand. Ob das entlaufene Soldaten oder gar Räuber wären? Er ging sich die Männer ansehen. Dass es sich um Soldaten handelte, sah er an ihren Stiefeln und der herausfordernden Art wie sie am Tisch lümmelten. Er setzte sich mit einem Krug Wein zu ihnen. Zehn Minuten später wusste er, dass alles seine Ordnung hatte. Sie waren in venezianischen Diensten gestanden und wollten heim nach Hessen.

      In seiner Abwesenheit hatten sich ein Priester und ein Mann im Stiftherrenornat an die Tafel gesetzt. Agnes tanzte mit einem anderen Beistand, schaute aber öfter zu ihm herüber.

      „Gelobt sei Jesus Christus!“ sagte Breitenbrunn im Niedersetzen.

      „In Ewigkeit Amen!“ Die Geistlichen waren vom wohlbeleibten rosigen Schlag, der nichts anbrennen ließ. Während sie Kipfeln und Wein zusprachen, guckten sie ständig zu den vor Anstrengung und Lust dampfenden Frauen auf der Tanzfläche. Der Priester so angestrengt, dass er beim Nachfüllen den Wein verschüttete und es nicht merkte.

      „Schöne volle Früchte wachsen in dieser Gegend“ bemerkte Breitenbrunn. Zur Illustration formten seine Hände einen weiblichen Körper in die Luft.

      „Ja, die gedeihen hier gut“ antwortete der Priester mit starrem Blick. „Macht das klare flinke Wasser. Ihr solltet an einem warmen Sommertag kommen! Da tummeln sich die Nixen nackig im Fluss. Man sieht alles von ihnen.“ Hochwürden seufzte tief auf. „ Brüste, Schenkel, blanke Hinterteile.“

      Breitenbrunn konnte sich die Szenerie vorstellen. Vorne die Badenden, im Gebüsch der zwischen Keuschheit und Sünde schwankende Kleriker. Ein Pfaff braucht nicht zu heiraten, so lange der Bauer eine Frau hat!

      „Die eben zu uns herschaut“ - Breitenbrunn deutete auf die Bezopfte - „ist auch eine von den Nixen?“

      „Welche?“

      „Der gleich das Kleid über der Brust platzen wird.“

      „Ah, die Agnes meint Ihr. War Dorfhebamme, bis sie einen Seitenstettener Bauern geheiratet hat. Ja, die schwimmt und taucht wie ein Fisch. Jetzt ist ihr Alter tot. Hat ihr den Hof hinterlassen mit allem was dazu gehört. “

      „Ihr kennt Eure Schäfchen wirklich sehr gut, Hochwürden“ lobte Breitenbrunn. „Sie trägt nicht Schwarz. Also ist das Trauerjahr vorbei?“

      „Ist vorbei. Jetzt entschuldigt mich. Hier ist es zu laut und zu heiß!“

      Der Priester nahm ein letztes geflochtenes Kipfel und stand auf. Ebenso der Chorherr. Nach ihrem Abgang wurde es im Saal womöglich noch ausgelassener und lauter. Die nicht tanzten, klatschten zur Musik, schlugen mit den Löffeln auf Gläser und Krüge oder saßen umschlungen auf den Bänken und wiegten sich im Takt. Agnes kam zum Tisch und sah ihn herausfordernd an.

      "Wo waren der Herr?"

      "Hab mich für die Nacht eingerichtet."

      "Ist Euch nach Schlafen zumute?"

      "Keineswegs" sagte er und stand auf, „wer viel schläft, versäumt viel! Lass uns tanzen!“

      Einen langsamen Landler spielten sie, da konnte er sie an sich drücken, ohne dass es auffiel. Nach ein paar Drehungen legte sie den Mund an sein Ohr.

      „Worüber habt Ihr mit dem Pfaffen geredet?“

      "Darüber, dass die Liebe keine Sünde ist."

      Sie kicherte. "Na, was hat er wirklich gesagt?"

      "Dass im Sommer in Ardagger Nixen schwimmen."

      "Er beobachtet uns beim Baden?"

      "Wer will´s ihm verdenken" sagte er und strich sanft mit der Nase über ihr Ohr.

      "Neue Partner!" rief der Progroder und zog ihm die Agnes weg. „Ihr kriegt die Brautmutter zum Landlern! Zeigt´s was ihr könnt´s! Aufstellung!"

      Breitenbrunn murmelte etwas von fremden Tänzen, die er nicht kannte. Aber das half nichts. Resolut packte die Matrone seinen Arm. "Des geht nit, dass einer nur mit die jungen Weiberleit tanz´n mag! Die Alten woll´n auch!". Der Progroder richtete ihn zu Recht. Sein rechter Arm umfasste die Alte, ihr linker ihn und ihre freien ausgestreckten Hände umschlangen sich. Los ging das Gehüpfe im Kreis mit dem Progroder und der schönen Agnes in der Mitte. Sie vollführten beim Tanzen allerlei komische Figuren. Fensterl, Joch, Herzerl, hießen sie. Nacheinander tanzten Paare in die Mitte und vollführten neue Faxen, die von den anderen sogleich übernommen wurden. Aber wie die Wurst hatte auch diese Sache ihr Ende. Breitenbrunn drückte der Brautmutter einen Kuss auf die Wange und schob sie weg. Ein Mann, der zur Agnes wollte, fand den Weg versperrt und ballte die Fäuste. Der Progroder drängte ihn ab. Eng umschlungen, wenn es langsam ging, und fröhlich hopsend, wenn die Trommeln wirbelten, tanzten sie in den Abend. Dass sie heimlich Zärtlichkeiten austauschten, fiel in der angeheiterten Gesellschaft nicht auf. Als die Musikanten eine Pause einlegten, zogen sie sich in eine stille Ecke zurück.

      "Gefällts´s dir bei uns?" fragte sie. "Bist du mir gut?"

      „Ja“ antwortete er.

      „Ich hab´s gern, wenn um mich geworben wird. Bleibst du eine Weile in Ardagger? Nein? Bist wenigstens ehrlich! Aber gefallen tu ich dir?“

      Er nickte und zog ein trauriges Gesicht. Die männliche Melancholie übte auf manche Frauen einen unwiderstehlichen Reiz aus.

      „Was hast du denn? Plagt dich was?“ fragte sie beflissen.

      „Nein“ sagte er so zögernd, dass es einem Ja gleich kam. „Es ist halt so, dass Du-“ – er legte eine bedeutungsschwangere Pause ein – „dass Du mich an eine erinnerst. War ebenso reizend und hübsch wie du. Ganz vernarrt war ich in sie!“

      „Trotz meiner Sommersprossen gefalle ich dir?“

      Dazu sagte er nichts. Die zarten Fleckchen störten keineswegs. Aber wenn sie deswegen an ihrer Schönheit zweifelte, war es kein Schaden.

      „Oder magst du mich gerade wegen meiner Sommersprossen? Hatte die auch Sommersprossen?“

      "Was spielt das für eine Rolle? Heut will ich dich!" Agnes überlegte kurz. Ihre Monatsblutung hatte vor zwei Tagen aufgehört. In den ersten Tagen konnte eine Frau nicht empfangen. Und der Offizier gefiel ihr. "Dann tu jetzt so, als ob du dich von mir verabschieden wolltest" sagte sie "und in einer Stunde kommst du in meine Kammer im ersten Stock bei der Treppe, aber so, dass dich keiner sieht!"

      Die Schiffsknechte packten die Ruder, das Seil zum anderen Ufer spannte sich, die Rolle quietschte gequält und unter lautem Knirschen brach der Fährkahn durchs dünne Eis. Breitenbrunn winkte ein Lebewohl zum ersten Stock, wo die Agnes eingewickelt in einem Schaffell hinter dem Fenster stand. Nur einmal hatte sie ihm eine Frage gestellt. Warum er in den Krieg wollte, anstatt die Segnungen des Friedens an der Seite einer liebenden Frau zu genießen? Sie besaß eine Wirtschaft groß genug, um ein schönes Auslangen zu haben. "Hab mein Leben dem Kampf gegen die Türken verschrieben, Liebes!“ hatte er geantwortet, „für mich ist kein Bleiben!" Damit sie ihm nicht gram war, hatte er ihr beim Abschied einen silbernen Ohrring mit einer schwarzen Perle geschenkt. Den hatte sie gleich angesteckt und gesagt, dass sie seiner in Liebe gedenken würde. Und jetzt war er wieder alleine! Gegen die aufsteigende Wehmut – die