Die Stadt des Kaisers. Alfred Stabel

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Название Die Stadt des Kaisers
Автор произведения Alfred Stabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781260



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den Drachen tötete und auf Breitenbrunns ein knuspriger Bär. Vielleicht eine Anspielung auf das dicke Bärenfell, das er bei der Ankunft getragen hatte.

      "Schmeckt mir" sagte der Engländer. "Kennt Ihr zufällig die Rezeptur?" Breitenbrunn kannte sie genau, weil er Martha und Ursula im Fidelen Weinfass bei der Zubereitung des Rosinenteigls zugesehen hatte. "Milch und Mehl zäh vermischen, Schmalz vom gleichen Gewicht wie Zucker und Hageputteneinkoch, mit der Hefe nicht sparen, ein wenig Salz und die Rosinen müssen im Mehl gewälzt werden, damit sie nicht absinken. Soll die Oberfläche knusprig sein, streut man nach einer halben Stunde des Backens in Milch eingelegte geriebene Haferflocken darauf und gibt Obacht, dass sie im Rohr nicht zu dunkel werden."

      "God bless you!" sagte der Engländer beschwingt, "das war eine genaue Angabe. Ihr hättet das Zeug zum praktischen Gelehrten."

      "Ich ein Gelehrter?" staunte Breitenbrunn. "Ich versteh nichts anderes als den Krieg."

      "Dann ist es Euch von der Natur in den Schoß gelegt!" Breitenbrunn fühlte sich geschmeichelt. "Und seid Ihr ein Gelehrter?"

      "Ein natural philosopher. Das Wort gibt es im Deutschen nicht, ich muss es umschreiben. Ein natural philosopher studiert die Physik der Natur ohne methaphysisches Beiwerk. Dabei bedient er sich der Methode der Empirie, das heißt er beobachtet und experimentiert, bis er zu einem stichfesten Ergebnis kommt."

      "Und was trieb Euch nach Passau?"

      "Bin auf dem Heimweg nach England. Sollte für die Royal Society den östlichen Donauraum kartographieren. Als der Krieg ausbrach, verlegte ich meine Arbeit nach Westen. Jetzt habe ich genaue Karten und Zahlen von 200 Strommeilen."

      "Ihr habt die Ufer vermessen und Karten angelegt?"

      "Und die Wasser- und Lufttemperaturen dreimal täglich gemessen und aufgezeichnet. By the way. Ich wollte mich mit einem italienischen natural philosopher in Belgrad treffen, bevor der Krieg losging. Graf Luigi Marsigli aus Bologna. Sagte, er wollte in kaiserliche Dienste treten, wenn die Türken loslegen.. Habt Ihr zufällig von ihm gehört?"

      "Wenn es der Marsigli ist, den die Tataren bei Raab geschnappt haben, dann steht er jetzt in osmanischen Diensten als Kaffeekoch oder Galeerenruderer."

      Der Lord nahm es gefasst auf. "Der Marsigli ist ein geschickter Mensch und wird sicherlich freikommen."

      "Ihr habt Euch gestern lange mit dem Engländer unterhalten" stellte Hermann in vorwurfsvollen Ton fest. Sie saßen bereits um fünf am Morgen wieder in der Kutsche, weil der Markgraf die lange Strecke bis Regensburg an einem Tag zurücklegen wollte. "Der Mann könnte ein Spion sein!"

      Breitenbrunn lachte. "Ein Spion, der die Natur bespitzelt? Er nennt sich Natural Philosopher oder Praktischer Gelehrter. Er sagt, dass es in der Natur wie in einer Küche zugeht. Hitze, Wasser, Luft und Dampf wirken auf die Substanzen ein, geben ihnen Form und Geschmack. So wie der Koch muss sich auch der praktische Gelehrte an Vorgaben halten, dass seine Arbeit gelingt. Was dem Koch das Rezept ist, ist dem Gelehrten die Methode. Verwendet er dieselben Methoden und Stoffe, erhält er stets dieselben Ergebnisse. Diese Vorgehensweise heißt Empirie. Entwickelt hat sie der englische Staatskanzler Francis Bacon, ein englischer natural philosopher.“

      "Potztausend! Ich weiß zwar was Küchenlatein bedeutet, von einer Küchenphilosophie habe ich noch nie gehört. Wollt Ihr jetzt statt des Schwertes den Kochlöffel schwingen?“

      "Wenn es Durchlaucht beliebt, würde ich jetzt gerne das Diarium lesen."

      "Nehmt es" sagte Hermann gönnerhaft "und findet heraus, wer es geschrieben hat!"

      Im Diarium stand nichts von den langwierigen Vorbereitungen der Verteidiger, der Verfasser begann mit der Beschreibung der Gefechte in den brennenden Wiener Vorstädten am 13. Juli, woraus Breitenbrunn schloss, dass er zu einem Regiment gehört hatte, das sich unmittelbar vor der Einkesselung in die Stadt geflüchtet hatte. Das schloss einmal die Männer der Stadtwachen und des Kaisersteinschen Regiments aus. Und dann fiel ihm auf, dass die übliche Auflistung der Regimenter und ihrer Offiziere fehlte. Das sprach dafür, dass der Verfasser keinen Überblick über den Truppenstand gehabt hatte, also ein Außenseiter, oder ein Mann von niedrigem Rang gewesen war. Über den Stadtbrand und die Pulverexplosion am vierzehnten berichtete der Anonymus, dass das von zwei Ungarn gelegte Feuer den zehnten Teil der Häuser verzehrt und den größeren Teil des Schwarzpulvers vernichtet hatte. Am 15. Juli wurde er erstmals namentlich genannt:

       In der Nacht ist Obristwachtmeister Breitenbrunn mit achtzig Freiwilligen gegen die türkischen Gräben im Südwestabschnitt ausgefallen. Es gab einen erbitterten Kampf, in dessen Verlauf die Angreifer die Oberhand behielten und die vordersten türkischen Gräben zuschütteten, so dass die türkischen Mineure am Morgen mit ihrer Arbeit im Abschnitt neu beginnen mussten. Stadtkommandant Starhemberg ließ jedem Freiwilligen einen Gulden auszahlen und dankte den beteiligten Offizieren. Eingebrachte türkische Gefangene behaupteten, dass das Heer des Großwesirs hundertzwanzigtausend Mann stark wäre, einhundertzwanzig Geschütze und Verpflegung und Tierfutter für drei Monate mitführte.

      An solche Angaben konnte sich Breitenbrunn nicht erinnern, sie konnten aber der Wahrheit entsprechen. Die nächsten Tage wurden kurz abgehandelt. Zu der von Starhemberg am 19. Juli verordneten Kampfpause vermerkte er, dass sich wunderlicher Weise auch die Türken daran hielten.

       Der Herr Stadtkommandant geruhte nicht seine Absichten mitzuteilen, so dass sich Garnison und Volk in fruchtlosen Vermutungen ergingen und die Hoffnung aufkeimte, dass Kaiser und Sultan sich auf einen späten Frieden geeinigt hätten. Diese Spekulationen fanden ein jähes Ende, als in der Nacht zum 23. Juli drei Regimenter gegen die Türken ausfielen. Es zeigte sich, dass der Angriff verraten und der Feind wohl vorbereitet war. Wegen der hohen Verluste traf Graf Starhemberg Anweisung, nur mehr bei der höchsten Dringlichkeit gegen den Feind auszufallen.

      Dann kam der 24. Juli, der Tag, an dem die zwei ungarischen Brandstifter auf dem Hohen Markt unter begeisterter Anteilnahme des Volkes hingerichtet worden waren. Die stundenlange Quälerei war dem Verfasser eine ganze Seite wert.

      Als nun die beiden Schurken von Pferden auf den Richtplatz geschliffen, drückten ihnen die Henkersknechte in herzlicher Begrüßung die glühenden Eisen ins Fleisch. Der Anonymus hatte die Hinrichtung zunächst mit Befriedigung verfolgt, dann waren ihm Bedenken gekommen. "Als die Brandstifter nun mit gebrochenen Gliedern auf dem Rad lagen, schien manchen der Zuseher die Strafe genug. Sie verließen die Richtstätte, bevor sie dem Feuer übergeben wurden.

      Der Schreiber hatte den letzten Akt der Hinrichtung nicht mitansehen wollen. Was sagte das aus? Gar nichts. Viele waren nicht bis zum Ende geblieben.

       25. Juli. Vormittags ließen die Türken im südwestlichen Verteidigungsabschnitt drei Minen springen, die unterschiedlich große Schäden an den Palisaden anrichteten. Am Nachmittag wurde Obrist Wachtmeister Breitenbrunn noch zur rechten Zeit aus einem eingestürzten Stollen gezogen. Kommandant Starhemberg mahnte den verantwortlichen Oberingenieur Rimpler, beim Pölzen der Stollen nicht Holz zu sparen. Doch woran es in Wahrheit mangelte, waren im Stollengraben und Zimmern erfahrene Bergleute.

      Das klang so, als ob der Autor sich in unmittelbarer Nähe aufgehalten hatte.

       Vor Tagesanbruch zündeten die türkischen Maulwürfe am Schottenglacis eine gewaltige Mine, die viel Erdreich in den Graben warf und an den Mauern Schaden anrichtete. Bevor noch der Schlag der Detonation verhallt war, rutschten hunderte Janitscharen, die auf Lauer gelegen waren,

      über die entstandene Rampe in den Graben, aus dem sie nach dreistündigem Kampf unter Zurücklassung vieler Toter und Verletzten wieder vertrieben wurden. In diesem blutigen Gefecht zeichneten sich die Obristen Mannsdorf, Beck und Kuttulinsky aus. Der Leutnant der Nachtwache sollte nun vor ein Kriegsgericht gestellt werden, doch gewährte der Stadtkommandant ihm die Gnade, seine Ehre mit einem Ausfall retten zu dürfen. Um den Leutnant sammelten sich dreißig Freiwillige, die ihm sogleich in das Labyrinth der türkischen Gräben folgten.

       Bei der Kommandeursbesprechung wurde eine neue Einteilung der Infanterie in sechzehn Bataillone bekanntgeben, die sich in Gefechtsdienst,