Die Stadt des Kaisers. Alfred Stabel

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Название Die Stadt des Kaisers
Автор произведения Alfred Stabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781260



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      Breitenbrunn war bei dieser Kommandeursbesprechung gewesen. Die Angaben stimmten. Der Schreiberling berichtete nun ausführlicher und facettenreicher als zu Beginn. Zum achtundzwanzigsten Juli schrieb er:

       Wie an den vorangegangenen Tagen schossen die Jäger des Grafen Kielmannsegg gar treffsicher mit ihren langen Flinten aus den Fenstern der kaiserlichen Burg. Für die Türken, die keine Gewehre mit gedrehten Läufen kennen, war es ein Rätsel, dass die Kugeln bevorzugt ihre Paschas und Offiziere aus dem Wege räumten. Da Graf Kielmannsegg ein Wettschießen verordnet hatte, gab es Preise für die besten Schützen.

      Die Kutsche hielt, weil es dem Sekretär im Bauch krampfte. Breitenbrunn stieg ebenfalls aus, um sich an der frischen Luft die Beine zu vertreten. Im Geröll des Donauufers sah er Steine, die sich zum Blatteln eigneten. Sorgfältig suchte er drei aus. Der erste Wurf geriet zu steil, der zweite zu flach, beim dritten hüpfte der Stein lustig übers gewellte Wasser. Der Leutnant der Leibwache gesellte sich zu ihm und glückliche fünf Minuten lang lief ein Wettbewerb, wessen Steine öfters abprallten, bevor sie im Wasser versanken. Breitenbrunn hatte eben mit dem Leutnant gleichzogen, als Markgraf Hermann mit voller Stimme "Ausgespielt, die Herren!" und "Allez, allez, allez, vous bonhommes joyeux!" rief. Breitenbrunn kam grinsend zum Wagen und Hermann wunderte sich nicht zum ersten Mal, welcher Kinderstube dieser ungehobelte Baron entwachsen war. Eine dementsprechend giftige Frage lag ihm bereits auf den Lippen, als ihn ein schwermütiger Gedanke durchfuhr. Sein Louis war auch von ungestümem, bisweilen taktlosem Benehmen gewesen, das durch Anfälle knabenhaften Charmes erträglich gemacht wurde. Nein, nicht bloß erträglich! Veredelt! Louis war bei aller Raubeinigkeit auch vornehm gewesen. Er hatte sich fein auszudrücken gewusst und den Damen Gedichte vorgetragen. Das tat Breitenbrunn sicher nicht und trotzdem spürte er eine Art geistiger Verwandtschaft zu seinem Neffen. Er würde ihn beim Kaiser protegieren so gut er konnte. "Nun, Breitenbrunn, ist Euch die Erleuchtung gekommen, wer das Diarium verfasst haben könnte?"

      "Nein, Durchlaucht."

      Er kam zum 13. August, dem Tag vor der Entsatzschlacht:

       Um Mitternacht stiegen vom Kahlenberg weiße Raketen hoch, wie es vereinbart worden war, so dass wir einander in die Arme fielen und uns erstmals zu unserem Glück gratulierten durften. Kommandant Starhemberg ließ sogleich mit zwei weißen und drei roten Raketen als Zeichen höchster Not Antwort schießen. Eine Stunde vor der Dämmerung ist dann der Herr Breitenbrunn mit achthundert Musquetieren zu einem Ausfall über den Kanal in die Leopoldstadt gerudert. Weil es dunkel war und die Mission alle gebührliche Heimlichkeit verlangte, beobachtete nur die Defension auf den Wällen ihr Ablegen. Eine halbe Stunde später war vom Lager der Ägypter Schießen und Schreien zu hören, die auf die Biberbastei stiegen, sahen das ägyptische Lager in Flammen und die Janitscharen, die noch nicht erschlagen worden, in wilder Flucht davon stürzen. General Starhemberg gab nun Befehl, gegen die äußeren Donauinseln vorzurücken, wo sich das Heer Tökölys zur Überquerung des Flusses anschickte. Mit Trommeln und Gesang, beklatscht und bejubelt von den Zusehern, zogen die siegreichen Soldaten auf der Nordseite des Kanals zum Tabor. An diesem Morgen beglückwünschten sich viele Wiener zu ihrer baldigen Befreiung und die konsternierten Türken gaben zwei Stunden lang keinen einzigen Schuss ab. Trotz dieses schönen Erfolges kam es Mittags zum Streit zwischen dem Obristen Breitenbrunn und dem Kommandanten, der die Retirierung in die Stadt befohlen hatte, ein Befehl der sich im Nachhinein als unglücklich herausstellte, insofern die Ungarn ungestört übers Ufer setzten und den unglücklichen Ausgang der Schlacht entscheidend mitbestimmten.

      Gottverflucht, sagte sich Breitenbrunn, der Mann hat mich gemocht und dann war ihm mit einem Mal klar, wer das Diarium geschrieben, oder besser gesagt, initiiert hatte, weil so gut Deutsch konnte Jovan Dimitrovic, der serbische Gaukler, der ihm aus dem eingestürzten Minenstollen gezogen und unter Kielmannsegg als Scharfschütze gedient hatte, nicht. Tränen der Rührung schossen ihm in die Augen. Der Jovan lebte!

      Hermann, der seinem Sekretär diktierte, hatte den Gefühlssturm nicht bemerkt. Breitenbrunn las weiter und kam nach einer halben Stunde zum letzten Kapitel:

      Am 24. August machte ein gefangener Janitschar auf der Folter die Aussage, dass der Großwesir den Generalsturm für den nächsten Morgen befohlen hatte. Und tatsächlich sahen wir die Türken den ganzen Tag mit Vorbereitungen beschäftigt. Der Herr Stadtkommandant hielt in herzlichen Worte eine Rede an die Verteidiger, in denen er ihnen für die gezeigte Tapferkeit dankte. Der Franziskaner, der täglich vor Tausenden am Platz bei den Michaelern die Apokalypse gepredigt hatte, sparte sich die düsteren Worte und versprach allen guten Christen der Stadt das Paradies. Auf Befehl des Herrn Grafen Starhemberg buken die Bäcker frisches Brot und die Wirte hielten ihre Gäste frei. Angeregt durch Suff und Völlerei gaben sich viele in Angesicht des nahen Untergangs den tollsten Ausschweifungen hin. Stündlich schwollen Lachen und Geschrei an, worüber sich die Türken in den Gräben wohl sehr gewundert. Nun soll der werte Leser nicht glauben, dass sich die Verteidiger willenlos ihrem Schicksal ergaben. Auf den Mauern zunächst und dann in den Gassen wurde verbissen bis in den Nachmittag gerungen und die meisten unserer Tapferen starben mit dem Schwert in der Hand, wohl wissend, dass kein Pardon gegeben würde. Eine kleine Gruppe Schützen schaffte es auf die Turmstube von St. Stefan. Sie verbarrikadierten den Aufgang und schossen durch die Fenster. Alle Versuche, sie aus ihrem Adlerhorst zu holen, scheiterten, bis am vierten oder fünften Tag das Schießen von selbst aufhörte. Als nun die Türken zur Wahrschau hinaufstiegen, fanden sie das Nest zu ihrem Ärger leer. Sie suchten in den Gassen und Häusern und ihre Gesichter wurden immer länger, bis sie schließlich aufgaben und behaupteten, dass der Zorn Allahs die Ungläubigen getroffen hatte. Unbeschreiblicher Zorn und Gram erfasste die Wiener, als an einem Freitagnachmittag ein muselmanischer Gebetsrufer von den Mauern der Kathedrale plärrte. Von diesem Tag an betrat der Sultan täglich das entweihte Gotteshaus, um dort zwei oder drei Stunden zu verweilen. Diese Gewohnheit geriet ihn zum Verhängnis. Eine Flintenkugel, abgefeuert aus einem zerstörten Haus an der Ecke zum ´Graben`, warf den heidnischen Tyrannen nieder, als er aus der Kathedrale kommend sein Pferd bestieg. Nun war der Jammer unter den Türken groß und die Schützen nutzten die entstandene Verwirrung, um den Häschern ein zweites Mal zu entkommen.

      "Gott verdamm mich, Durchlaucht! Der Sultan hat vom Jovan Dimitrovic eins auf den Pelz gebrannt bekommen!"

      "Dimitrovic? Ist das der Mann, der´s geschrieben hat?"

      "Kein Zweifel, dass er das ist. Korporal Dimitrovic von den Scharfschützen."

      "Gut. Dann können wir nach ihm suchen lassen. Schreibt den Namen auf, Wilmersdorf! Bin sehr zufrieden mit Euch, Breitenbrunn. Ich will Euch bei Hofe einführen, allerdings" - Hermann setzte eine strenge Miene auf - "mit der Bedingung, dass Ihr das Fluchen einstellt und Euch überhaupt einer gefälligeren Ausdrucksweise bedient. Das kaiserliche Audienzzimmer ist kein Feldlager! In Regensburg bekommt Ihr von mir ein Buch zum Lesen. Ist von einem Franzosen geschrieben, ja von einem Franzosen. Dem Chevalier de Méré. Legt gefälligst Eure frankophobe Haltung ab, wenn es um Fragen des Geschmacks geht! Das Buch für Kavaliere ist in Dialogform geschrieben, also kurzweilig. Ich möchte, dass Ihr es studiert, als ob es die Bibel wäre."

      "Und wenn ich mich wie ein spanischer Offizier benehme?" schlug Breitenbrunn vor. „Bei den Spaniern war ich Fähnrich.“

      "Dann benehmt Euch meinetwegen wie ein Spanier, alles ist besser als Eure Bärbeißigkeit!“

      Der Markgraf tätschelte kurz Breitenbrunns Knie, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen. „Will nicht, dass Eure Ambitionen an Fragen der Etikette zerbrechen! Und jetzt erzählt mir von Eurer Dienstzeit bei den Spaniern. Stimmt es, dass sich die wegen jeder Bagatelle duellieren? Habt Ihr Euch duelliert?“

      Breitenbrunn erzählte vom ersten Duell mit einem Leutnant, kaum älter als er, der sich in die selbe Dame verschossen hatte, pikanter Weise die Geliebte ihres Oberst, der in Unkenntnis ihrer Gründe den Schiedsrichter beim Zweikampf abgegeben und nach dem ersten Blut – Breitenbrunns Blut, mit dem Degen war er nie gut gewesen – abgebrochen hatte, weil ihn die beiden jungen Männer dauerten. Danach waren sie Freunde und Bauchschwäger geworden.

      „Was sind Bauchschwäger?“ wollte der Sekretär wissen.

      „Bauchschwager