Eva und das Paradies. Dominik Rüchardt

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Название Eva und das Paradies
Автор произведения Dominik Rüchardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738009972



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beziehungsweise am liebsten gar nicht. Beachten Sie das bitte, sollten Sie je von Behörden nach Ihrem Auftrag befragt werden.“ Diplomatisches Luftholen: „Wir wissen, dass Ihr Unternehmen international tätig ist und auch in großem Umfang für die afrikanische Staatengemeinschaft arbeitet. Das sollte genügen, falls Sie in einen Loyalitätskonflikt geraten."

      Ochudo Bakari wandte seinen Blick über das Zentrum Berlins ab und dem Mann zu, an den die Worte gerichtet gewesen waren: "Ich erwarte einen wöchentlichen Bericht über die diskrete Post sowie eine Verfügbarkeit für Rückfrageninnerhalb von 12 Stunden.“

      Das war nur die mittlere Preisklasse für Ermittlungsleistungen und somit mitnichten ein Exklusivauftrag. Draeger würde ihn mit halber Kraft erledigen müssen und parallel andere Aufträge bearbeiten, um auf seine Auslastung zu kommen.

      GlobalResearch war der größte Anbieter diskreter Ermittlungen mit einem weltweiten Netz, aber als börsennotiertes Unternehmen auch streng durchorganisiert. Und ein einfacher Ermittler, auch wenn er auf eine beeindruckende Vorgeschichte verweisen konnte, musste zu jeder Zeit darauf achten, sein Geld auch tatsächlich wert zu sein. Die goldenen Zeiten für Geheimdienste, als staatlich finanzierte Sonderzonen ohne Geldsorgen, waren spätestens seit den Transparenzgesetzen der dreißiger Jahre vorbei, die dem überbordenden Ausspähen ein Ende gesetzt hatten. Aber das sollte kein Problem sein. GlobalResearch verfügte über ein hochintelligentes System, um Aufträge zu identifizieren, die sich bestmöglich kombinieren ließen, hinsichtlich Zeit, Reisen und Anforderungen an den Ermittler. Leon Draeger machte sich also ohne große Gedanken auf den Weg, um einen Arbeitsplan zu machen und diesen mit dem System abzustimmen. Immerhin ging es in Richtung Süden, das war gut.

      *****

      Als der Detektiv gegangen war, blieb Ochudo Bakari noch eine Weile nachdenklich sitzen. Wenn einen ein System beunruhigt, sollte man es nicht nur beobachten, sondern am besten auch stören. Eine alte Weisheit der Geheimdienste.

      Er schickte eine kurze Abfrage an das Auskunftssystem für politische Organisationen, grinste zufrieden und ließ sich an die Wiener Regionalverwaltung durchstellen. Eine kleine Bitte um Auskunft würde vermutlich schon mal einige Wellen schlagen.

      Unterm Baum – Feld bei der Biofarm am Wiener See

      In sich versunken saß Eva auf der Kuppe unter dem Baum und versuchte, nicht zu denken. Solange es leer in ihrem Kopf war, tat es nicht so weh. Eigentlich sollte sie verstehen, was passiert war, doch sie konnte sich nicht durchringen, darüber nachzudenken. Also saß sie einfach still da, nur ihre Augen beobachteten ihre Umgebung: kleine Tiere, die emsig ihrer Beschäftigung nachgingen, Blumen, die eifrig ihre Stempel hervorstreckten, Pflanzenkeime, die sich frech aus dem Boden reckten und ihren Platz suchten. Sie beneidete die Selbstverständlichkeit, mit der sie taten, was sie taten. Im Gegensatz zu ihr. Nichts war mehr klar seit der Nachricht des Standesbeamten. Sie hing in der Luft. Völlig. Mehr noch, sie hing in einer Finsternis ohne Richtung. Spürte nicht einmal ihre Gefühle. Nur dumpf nahm sie die Umgebung war. Der Blickkontakt mit den Kleintieren band sie immerhin irgendwie an die Welt, aus der sie gerade so gerne verschwunden wäre.

      Sie konnte auch nicht trauern. Kurz hatte sie überlegt, einen Stein aufzustellen, aber das hätte geheißen aufzugeben. All das, was geschehen war, oder auch nicht, war zu unecht. Unmöglich, sich darauf zu verlassen. Es war etwas, das sie im Moment irgendwie hinnehmen musste. Ergebnis ihrer außergewöhnlichen, verrückten Beziehung, die zwar wie eine romantische Liebe aussah, doch immer mehr ein Projekt war.

      Doch immer wieder, wenn sie sich so ein Bild für ihre Situation zusammenbaute, glitt sie ab. Leere Verzweiflung stieg in ihr hoch, genährt durch die Machtlosigkeit, die die Anonymisierung und die damit verbundene Unsicherheit brachten. Sie ertappte sich dabei, wie sie wütend wurde auf Jasiri. Einfach zu verschwinden, anonym abzutauchen, mit nichts als einer unsicheren Nachricht. Sie merkte dann jedes Mal, wie sich ein Schwall Tränen in ihr aufbaute, aus dem Becken heraus die Wirbelsäule hochschoss, um aus den Augen herauszufließen, es schüttelte sie dann und sie schluchzte und schniefte. Dann wieder verfiel sie in Leere, und das Ganze ging von vorne los.

      Auf der Farm hielt sie es nicht aus. Noch wusste kaum einer etwas. Ein normales Leben aber konnte sie auch nicht vorspielen. Also saß sie hier. Nur dieser Baum gab ihr etwas Ruhe. Der Platz ihrer Liebe. Was nur sie beide wussten. Hier konnte sie zwischendurch träumen und sich erinnern. Hier hatte Jasiri ihr, der Journalistin, damals vor der verödeten Landschaft seine Pläne erklärt:

      "Du musst Dir vorstellen, dass hier Vögel leben, unendlich viele Vögel, die in großen Schwärmen ihre Kreise ziehen. Die das Land beherrschen, das aus ihrer Sicht ihr Land ist. Diese Vögel finden Nahrung, weil sie Würmer und Insekten finden. Lauter kleine Wesen, die sich von Pflanzen, Pilzen und anderen Lebensformen ernähren, die hier wachsen. Die sich befruchten und verrotten, in einem wechselseitigen Geben und Nehmen. Da wird geboren und gestorben, gefressen und vermehrt, da findet Leben statt. Das musst Du Dir vorstellen. Es riecht nach allem gleichzeitig, nach verfaulten Früchten, nach Pollen, nach frischen Kräutern, nach Blumen."

      Sie erinnerte sich genau, wie er, groß, stark und schwarz, auf dem Feld gestanden hatte, mit weit ausladenden Gesten, die pure Energie. Und er hatte ihr erzählt, wie das in Afrika war. Dass dort die Vogelschwärme noch flögen, dass die Menschen dort ganz anders lebten, mit mehr Freude und weniger Vernunft.

      ESCO behauptete ja, das mit den Vögeln hätte es nie gegeben. Das sei eine romantische Verklärung von Fotografen und Filmern. Es gab zwar alte Aufnahmen, aber alle wussten, die konnten genauso gefälscht sein. Schließlich war seit geraumer Zeit der Unterschied zwischen echter und künstlicher Wirklichkeit nicht mehr nachweisbar. Doch sie glaubte Jasiri, seinen alten Geschichten und Bildern, die zu detailreich waren, um falsch zu sein.

      Lange hatten sie damals, hier unter dem Baum, die vorsichtige Spannung zwischen ihnen aufrechterhalten, irgendwann aber gab es kein Halten mehr. Jasiri war ganz weich als Liebhaber. Da kam der Träumer aus ihm heraus, der die unendlichen Weiten der Steppe noch tief in sich trug und unter dem Sternenhimmel die Welt liebte. Sich mit dem Löwen verbrüderte und ihn doch fürchtete, der ganz auf der Erde lebte, in seinem Stamm verwurzelt.

      Ihre Heirat war schlicht. Er bestand auf Kemal Deixner als Trauzeuge, wollte sicherstellen, dass die Verbindung in seinen Kreisen zwar diskret behandelt wurde, aber bekannt war. Sie nahm sich keinen Trauzeugen. Jasiri wollte die Ehe nie wirklich offen zeigen. Er meinte, es sei aus Sicherheitsgründen, in Wirklichkeit aber, da war Eva sich sicher, war es, weil seine Familie oder besser gesagt sein Dorf, es nicht verstehen würde. Sie hatten das aber nie intensiver besprochen.

      Die Anonymisierung hatte ihm die Freiheit gegeben, seine Geschäfte zu tätigen. Damit ihre Organisation erst möglich, aber dafür ihre Beziehung zu etwas Irrealem gemacht. Ihre Liebe war eine Begeisterung für einander gewesen. Als Inspiration ebenso wie in der körperlichen Liebe, die immer wieder spontan und neu war. Doch mit dem behördlichen Geisterzustand war die verbindliche Tiefe verloren gegangen, als ob ihnen klar war, dass das, was sie hatten und waren, jederzeit verschwinden könnte. Vielleicht war sie ja deshalb so verzweifelt. Ihre Beziehung verschwand, als ob es sie nie gegeben hätte. Das machte ihre Trauer so verwirrend. Sogar sein Tod war nicht sicher. Sie fühlte sich betrogen.

      Da war ihre Kette. Schwer am Hals. Ein Geschenk Jasiris aus seinem Dorf. Sie hatte sie bisher nie getragen, das Dorf war zu weit weg. Nun war es ihre Verbindung. Zu Jasiri und dem Dorf, das sie nicht kannte.

      Versonnen betrachtete sie wieder die Blumen, Kleintiere und Insekten, die um sie herum ihren Alltag bestritten. Was nun mit ihnen geschehen würde? Was aus all dem würde, was sie hier geschaffen hatten, war ihr in keiner Weise klar. Würde ESCO darüber walzen? Sie wusste, sie musste eigentlich genau darüber nachdenken, doch in ihrem Kopf war im Moment eine gummiartige Wand.

      Rikschafahrt – Wien, Stadtmitte

      Zhaoming Chiang, Exilamerikaner chinesischer Abstammung und Leiter der Philosophieschule der Region Wien, saß auf dem Rücksitz einer Rikscha und genoss den Morgen. Zwischen den wuchtigen Mauern der Wiener Innenstadt