Eva und das Paradies. Dominik Rüchardt

Читать онлайн.
Название Eva und das Paradies
Автор произведения Dominik Rüchardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738009972



Скачать книгу

Leben spielte sich zwischen Öffentlichkeit und Untergrund ab. Wobei Eva sich um das Öffentliche kümmerte und so Jasiri den Rücken freihielt. Denn auch wenn alles friedlich und natürlich wirkte: Ein großer Teil dessen, was sie auf der Farm taten, widersprach den gültigen Gesetzen für die Landwirtschaft und galt als Gefährdung der Europäischen Ordnung. Geladen mit der Energie des afrikanischen Aufbruches, war Jasiri vor 10 Jahren als junger Anwalt aus Afrika nach Wien gekommen. Das in Regeln und Lobbynetzwerken erstarrte Europa hatte ihn auf teuflische Weise fasziniert. Er war ganz besessen davon, dem etwas entgegenzustellen und zu zeigen, dass es auch anders geht. Der Prozess, bei dem es um den Erhalt geschützter Arten im Wiener See gegangen war, die jedoch den Betrieb von ESCO störten, kam da gerade recht. In einem Husarenstück hatte Jasiri die Richter dazu gebracht, ihm ein Stück Land zu überlassen. Als Ausgleich, und sofern er ESCO nicht gefährde. Ein sehr feinmaschiger Zaun teilte nun den See, und der so gerettete Südteil bildete das Zentrum des heutigen Farmgeländes. Seitdem wuchs ihr Betrieb. In der Region waren sie beliebt oder zumindest respektiert, von der Industrie und der Patentpolizei aber wurden sie bekämpft. Am Rande der Legalität gelang ihnen, trotz des fast vollständigen Verbotes von Zucht und Anbau patentfreier Pflanzen, Landbau in bester Bio-Qualität.

      Eva gab das Bürsten auf. „Strohpuppe“ entfuhr es ihr. Aber egal. Im Lauf der Jahre hatte sich auch bei ihr ein gewisser Gleichmut eingestellt. Schließlich löste sie das Problem mit einem Tuch und wusch ihr Gesicht wieder ab. Bald würde die Besuchergruppe kommen, sie würde sie über die Farm führen, nett sein und aufmerksam, was sie wem sagte. Beim Aufräumen entdeckte sie einen Sensor in der Bürste. Was auch immer der maß, sie zerquetschte ihn und warf ihn weg. Schnell zog sie sich fertig an, und lächelnd ging sie wenig später auf die Gruppe zu, die bereits wartend auf dem Hof herumlief.

      „Guten Morgen!“ Sie blinzelte in die Sonne und betrachtete die Gruppe von vier Erwachsenen und zwei Kindern. „Ich bin Eva Teichmann“, sie blickte sich um, „willkommen zu unserer Farmführung“. Sie bückte sich zu den beiden Kindern: „Und ihr wollt sicher auch unsere Schule sehen, oder?“

      „Ich will lieber toben, mein Freund hat erzählt, hier gehen die Kinder nur die halbe Zeit in die Schule.“

      „Das stimmt.“ Eva grinste, der Junge hatte begriffen, worum es geht. „Meistens sind alle irgendwo draußen.“

      „Hallo, wir sind Ferdinands Eltern.“ Freundliche, unkomplizierte Leute standen da, das rundwangige Strahlen der Mutter war ein offenes Buch. „Der würde am liebsten sofort hier einziehen.“

      „Das ist schön“, Eva wurde ernst, „aber Sie wissen hoffentlich, was das heißt?“

      Tatsächlich würden viele Firmen diese Leute nie wieder beschäftigen. Doch Ferdinands Eltern wollten wohl wirklich. Sie wandte sich an die Mutter des anderen Kindes. Eine gepflegte Frau, professionell, praktisch, vermutlich alleinerziehend. Die wiegelte gleich ab: „Ich möchte nicht hier her ziehen“, sagte sie und zog ihre Tochter zu sich, „aber Franziska soll hier zur Schule gehen, wir wohnen in der Nähe.“ Die Frau tänzelte verlegen, wusste nicht, ob sie dazugehörte oder nicht. Franziska drückte sich an das Bein ihrer Mutter. „Mama, ist das die Lehrerin?“

      Freundlich beugte sich Eva herunter, wartete, bis Franziska sie vorsichtig anschaute: „Nein, das bin ich nicht. Aber ich leite die Schule, und ich hole nur nette Lehrer!“ Das Kind drückte sich noch enger an das Bein seiner Mutter.

      Eva wandte sich der sechsten Person zu, ein junger Mann, der sie unverhohlen von oben bis unten musterte, mit den Blicken auszog.

      Sie sah mit ihren 36 Jahren ziemlich gut aus, das war ihr bewusst: einen Meter siebzig groß, schlank, unter den braunen, schulterlangen Locken ein gerades Gesicht, leicht hervorstehende Augen, wohlgeformt. Ihre etwas ungelenk schiefe Haltung verriet etwas kräftiges, zupackendes hinter ihrer Gestalt. Das wirkte wohl anziehend. Sie war Männerblicke gewohnt, aber diese gingen weit. Zu weit. Trotzdem lächelte sie ihn an: „Und was führt Sie auf unsere Farm?“

      „Weiterbildung.“ Er schnappte leicht beim Sprechen. „Alternativer Landbau und so. Ich bin Umweltingenieur.“

      „Soso, na, dann gehen wir mal los.“ Vorsicht. Das konnte ebenso gut ein Mann von ESCO sein, oder von der Patentpolizei. ‚Du kannst mir viel erzählen‘ dachte sie, ertappte sich aber, wie sie gegen ihren Willen beim Losgehen leicht mit dem Hintern wippte. Das hatte der Typ also schon erreicht. Sie ärgerte sich über ihre eigene Unsicherheit. Den Triumph wollte sie ihm eigentlich nicht gönnen.

      Die Tour verlief über die Felder und Eva erklärte die Farmarbeit. Sie versicherte, alle Pflanzen seien pollenfrei und zeigte, wie sie ernteten und Lieferungen zusammenstellten, und sie führte sie über den Farmmarkt, wo Privatleute ebenso wie Restaurant- und Ladenbesitzer einkauften. Die Fragen des Ingenieurs, woher die Pflanzen kämen, welche Patente sie hätten und wem die Farm eigentlich gehöre, überging sie freundlich; den Wareneingang ließ sie weg, bei deren Prüfung alle Farmmitarbeiter ständig Sensoren und Sender aus allem entfernten, was hereinkam.

      Ferdinand war glücklich und seine Eltern bewegten sich, als ob sie hier immer schon hergehörten. Franziska gefiel der Schulgarten und sie nickte schließlich auf die Frage, ob sie hier zur Schule gehen wolle.

      Am Schluss lud sie das Elternpaar ein, sich mit dem Verwalter Mirko Nemec genauer zu unterhalten und erklärte Mutter und Tochter die Schuleinschreibung. Den Umweltingenieur verabschiedete sie freundlich: „Ich glaube, Sie passen besser zu einem anderen Betrieb.“ Mit kaltem, trotzigem Blick machte er sich grußlos davon.

      Eva versuchte, sich sein Gesicht zu merken, doch kaum hatte sie durchgeschnauft, war es verblichen. Diese Leute waren alle gleich. Zum Glück war ihr kleines Paradies einigermaßen geschützt. Der Status eines afrikanischen Betriebes, der offiziell an Diplomaten lieferte, eine schwer durchschaubare Gesellschaftsstruktur und die Region Wien als wohlwollender Vermieter trugen dazu bei. Solange keiner genau mitbekam, wie sie arbeiteten, konnte niemand nachweisen, dass die Farm eigentlich an oder gar hinter den Grenzen der Legalität arbeitete und Jasiri ihren Nachschub regelmäßig aus Afrika einschmuggelte.

      Der Preis für das Idyll war die ständige Bedrohung. Durch Leute wie den angeblichen Umweltingenieur. Jasiri hatte den Ausweg der Anonymisierung gefunden, eine Art digitaler Geisterzustand, der ihre Ehe jetzt belastete, hervorgerufen durch eine Manipulation der zentralen Computersysteme. Sie musste sich damit abfinden. Sie war die Frau eines Chefs, der immer wieder in einer anderen Welt verschwand. In Afrika, das so weit weg war, so verlockend − und so isoliert vom Rest der Welt, mit anderen Regeln und Vorstellungen. Dennoch, sie wollte hier nie wieder weg. Die Farm war ihre Familie geworden. Eine Familie, die von anderen argwöhnisch beobachtet wurde. Was das bedeutete, sollte Eva bald erleben. Doch noch genügte es, wenn sie mögliche Spione erkannte und elegant abblitzen ließ.

      Als die Besucher fort waren, ging sie zurück ins Haus. Im Schlafzimmer kramte Jasiri, der seine Tasche packte. Lässig warf er seine wenigen Dinge hinein, die Tasche blieb halb leer. Wie immer schuf seine Anwesenheit eine leicht vibrierende Lebendigkeit im Raum.

      „Ah, gut dass Du kommst“, er blickte kurz auf, als sie das Zimmer betrat, „ich muss bald los. Deine Schwester hat sich gemeldet, ich hab es Dir aufgeschrieben.“

      „Da war wieder so ein Typ, der uns ausspionieren wollte.“ Eva nahm das Tuch ab und schüttelte ihre Haare aus. „Um davon abzulenken, hat er mich die ganze Zeit angeglotzt. − Musst Du jetzt schon los?“, zart, aber deutlich drückte sie sich an ihn.

      „Auch Spione haben Geschmack.“ Die Arme, die sie umschlangen, schienen sein breites Grinsen ins Unendliche zu verlängern: „Ich würde Dich auch anglotzen. − Und ja, ich habe noch Zeit – aber nur kurz.“

      Kurz. Immerhin. Nicht darüber nachdenken, den Moment nehmen: „Dann komm, lass uns noch zusammen rausgehen, das tut uns gut.“ Achtlos hängte sie den Zettel neben den Spiegel, räumte ihre Frühstücksreste weg und beobachtete, wie er seine Tasche fertig packte. Mit wenig Gepäck reisen, das hatte inzwischen auch sie von Jasiri gelernt und es freute sie, ihm dabei zuzusehen. Sie war stolz auf Jasiri.

      Kurz darauf stellte er die Tasche vor der Tür ab; sie hakte sich bei