Название | Eva und das Paradies |
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Автор произведения | Dominik Rüchardt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738009972 |
Eva konnte dem Beamten nichts von der Anonymisierung erzählen. Musste die Fassade einer heilen Farmwelt bewahren. Die Meldung konnte alles und nichts bedeuteten, aber in der Tat war Jasiris Rückkehr überfällig. In ihr schwoll eine verzweifelte Wut, aber sie schwieg. Es ließe sich sowieso nicht ändern. Ihr und Jasiris Leben hatte immer schon jenseits der Ordnung stattgefunden, und nun schien es ihr auf außerordentliche Weise zu entgleiten.
Ihre Ehe war nur für kurze Zeit eine normale Ehe gewesen. Bald nach dem Gerichtsverfahren und der Gründung der Farm waren die Zeichen unübersehbar, dass Jasiri beobachtet, verfolgt und bedroht wurde. Rufautos kamen zu spät, da sie offenbar mit besonderer Überwachung ausgestattet wurden, entlang seiner Wege häuften sich Unfälle, Personen, mit denen er verkehrte, wurden verhört oder geschädigt.
Der Ausweg war, ihn aus der digitalen Welt herauszunehmen und ihn damit aller Spuren zu entledigen. Sizilien hatte sich im Jahr 2064 von Europa gelöst und war zu Afrika übergetreten. Es hatte erklärt, Sizilien sei Teil der afrikanischen Kontinentalplatte und der Vulkangürtel zwischen Aetna und Stromboli die Grenze zu Europa. Im Rahmen des Übertrittes mussten die Datenspeicher getrennt werden. In dieser Zeit kamen befreundete Computerspezialisten an die zentralen Systeme heran und konnten für Jasiri und einige weitere Kollegen afrikanischer Herkunft einen Algorithmus aus der Geheimdienstszene einspielen, der alle Informationen, die neu zu deren ID eingespeichert wurden, sofort wieder löschte. Jasiri konnte damit ganz legal überall auftauchen, seine ID gab es ja weiterhin, weshalb er keinem System als verdächtig auffiel. Alles, was er tat, wurde aber sofort wieder vergessen. Leider war das auch mit ihrer Ehe so geschehen. Eva war seitdem verheiratet, aber ohne Partner.
Diese Erinnerung, das Geheimnis ihrer Ehe, war ein dunkler Knoten verwirrter Gefühle. Aus Verliebtheit und Liebe, Distanz und Nähe, Träumen und Verdrängung. Und der Knoten steckte in ihrem Kopf fest, als sie bemerkte, dass sie immer noch schweigend vor dem Beamten der Regionalverwaltung saß. Sie hatte keine Ahnung, wie lange schon.
„Danke, dass Sie mich informiert haben“, sagte sie schließlich fahrig, und reflexartig ergänzte sie: „Jasiri ist ja weiterhin Afrikaner − und die Farm hat einen diplomatischen Sonderstatus. Deshalb taucht er vermutlich bei Ihnen nicht auf.“ Diesen Satz hatte sie damals eingeübt.
„Ja, das wird es wohl sein. Trotzdem, unsere Datensysteme sollten eigentlich besser sein.“ Er wand sich, erhob sich schließlich. „Nun ja, ich gehe dann wohl.“ Irgendetwas musste er noch zum Abschied sagen: „Es tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten bringen konnte. Was soll ich sagen? Ich wünsche Ihnen viel Kraft!“
„Danke.“ Abwesend blickte Eva ihn an, als er ging.
Sie musste es den anderen sagen. Mirco Nemec, dem Verwalter der Farm, und Kemal Deixner, dem Leiter des Stadtbüros, der auch Lieferung und Versand regelte. Doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Sie wollte nicht, dass es wahr wurde. Sie spürte, wie sich all ihre Kraft auflöste. Wenn sie sich jetzt bewegte, bräche alles zusammen.
Schließlich nahm sie den Kommunikator und rief Mirco Nemec an. In knappen tonlosen Worten sagte sie, was sie wusste.
Nemec war außer sich und überfiel sie mit Fragen über Fragen. „Ich weiß auch nicht mehr“, beendete sie irgendwann verzweifelt das Gespräch, ging in ihr Zimmer, schloss die Vorhänge, legte sich auf ihr Bett und starrte in die Luft, wartete auf Tränen, die nicht kommen wollten, und wünschte sich zu verschwinden.
Auftrag - Büro der Botschaft der Afrikanischen Union in Berlin
Das Berliner Taxi fuhr sehr langsam, obwohl wenig Verkehr war. Leon Draeger, ein leicht ergrauter, in jeder Hinsicht durchschnittlicher Mann Anfang vierzig und Ermittler beim privaten Geheimdienst GlobalResearch, ärgerte sich. Er würde wieder einmal zu spät kommen, und das beim ersten Termin mit einem neuen Auftraggeber. Die Fahrerin nervte. Wenn sie gerade nicht ihre Frisur richtete, glotzte sie in ihren riesigen Bildschirm. Das individuell abgestimmte Unterhaltungsprogramm zur Aktivhaltung des Fahrpersonals. Ein aufgeblasener Liebesfilm. Immer wieder retteten übernatürlich gut aussehende Männer schöne Mädchen aus einer Gefahr, jeweils gefolgt von einer ebenso dramatischen Bettszene. Darauf tiefe Verzweiflung, dann schmerzhafte Trennung.
„Wieso geht das denn so langsam?“
„Führe ich schneller, würde ihnen ganz schön schlecht werden“, erklärte sie in einem lang gezogenen, gelangweilten Ton. „Das Auto bremst dann immer wieder plötzlich. Automatische Gefahrenerkennung, Sie wissen schon, Fußgänger, Tiere und so.“
„Dann stellen Sie die Automatik halt ab und fahren selber.“
„Das ist gegen die Vorschrift. Die Versicherung. Tut mir leid.“
Da ließ sich nichts machen. Leon Draeger hatte ja auch von Berufs wegen unauffällig zu sein, also wollte er keinen Ärger machen. Immerhin näherten sie sich ihrem Ziel, dem Büro der Afrikanischen Botschaft. Direkt neben dem Brandenburger Tor.
Irgendwie hatte er etwas Dramatischeres erwartet. Elefanten oder dergleichen. Was er schließlich sah, enttäuschte ihn fast. Ein modernes, helles und offenes Gebäude, gepflegte, höfliche Menschen und klare Aussagen. Er tat sich schwer zu verstehen, wo er war.
*****
Währenddessen blickte Ochudo Bakari, stellvertretender Botschafter der Afrikanischen Union in Berlin, aus seinem Büro auf Berlin und wartete.
Der drahtige Mittsechziger war im Geiste bisher nicht hier angekommen in Berlin. Europa und er passten nicht zusammen. Als Mann der ersten Stunde hatte er die Veränderungen Afrikas mitgestaltet, hatte die gesellschaftlichen Reformen zu Religion und Standesrecht vorangetrieben. Seine beste Zeit war beim Geheimdienst gewesen, als sie hinter den Kulissen die Fäden zogen, um Afrika aus den Klauen der Europäer und Chinesen zu befreien. Dann hatte er den Aufbau des afrikanischen Wirtschaftsmodelles mitgestaltet, das eine strenge Isolation vom Rest der Welt beinhaltete. Nun war er stellvertretender Botschafter in Europa. Leiter des Berliner Büros, eines der drei wichtigen neben Brüssel und Paris. Mit der Aufgabe, als Senior die Beziehung des neuen, selbstbewussten Afrikas zu Europa neu zu erfinden. Nur sollte man da, seiner Ansicht nach, so wenig wie möglich erfinden, sondern besser aufpassen, dass die Europäer nicht wieder in Afrika einfielen, um ihre hauseigenen Probleme zu lösen.
Die illegale Einfuhr von Nutzpflanzen aus dem mittleren Afrika in die Region Wien störte ihn schon lange. Das war Schmuggel, und dabei entstanden Abhängigkeiten, die er für gefährlich hielt. Nun war der Chef dieser Gruppe, Jasiri Tyrese, auf ungeklärliche Weise verschwunden und für tot erklärt. Tyrese kannten sie, er war ein aufrechter Idealist. Ihm konnten sie vertrauen. Doch jetzt konnte das System außer Kontrolle geraten. Für ihn, Bakari, hieß das erhöhte Aufmerksamkeit. Die afrikanischen Aktivitäten Tyreses kannten sie so weit, von den europäischen bekamen sie dagegen so gut wie gar nichts mit. Das beunruhigte ihn besonders.
Endlich meldete der Empfang die Ankunft des Agenten, der diskret die Hintergründe für sie herausfinden sollte. Der Mann, er hieß Leon Draeger, war so unscheinbar, wie Spione sein müssen. Draeger trat ein und Ochudo Bakari erläuterte ihm in knappen Worten seinen Auftrag, ohne seinen Platz am Fenster zu verlassen.
Er wies ihn an zu ermitteln, was die Mitglieder von Tyreses Farm weiter unternahmen und beschloss seine Ansage mit der üblichen Zusammenfassung:
"Sie erhalten Zugang zu allen uns bekannten Unterlagen. Damit meine ich das Dorf in Afrika, das die Waren liefert, alles, was wir über die Transportwege wissen, und nicht zuletzt unsere Kenntnisse über die Geschäfte am Wiener See. Es ist nicht viel, aber dafür beauftragen wir Sie ja. Sie sollen ein genaues Bild abgeben, wie die Organisation vernetzt ist und wie sie auf den Tod Tyreses reagiert. Für legale Aktionen erhalten Sie diplomatische Rückendeckung, sofern irgendwelche Fragen auftauchen. Sie sind im Auftrag des afrikanischen Zolls unterwegs. Illegale Aktionen können wir nicht decken. Das Ganze ist wie gesagt sehr heikel und wir, die afrikanische Staatengemeinschaft, wollen vor allem