Amerikanische Odyssee. E.R. Greulich

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Название Amerikanische Odyssee
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686415



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      "Der?" Edes Augen begannen zu leuchten, als stände der Junge vor ihm. Als wollte er das Bild noch besser erkennen, nahm er die Brille ab und begann sie nervös zu putzen. "Der ist genau solch ein Polterkopp wie sein Alter."

      "Komm wieder runter vom Baum der Selbsterkenntnis." Bauer drehte sich ein Stäbchen mit der Zigarettenmaschine "Top". "Hesse bedrückt etwas. Ich denke, es hängt mit dem Fragelager zusammen."

      Ede stülpte sich die Brille auf die Nase und starrte Bauer an.

      "Er war in der Quetschmühle?"

      Bauer nickte. "Es ist schon viel, dass er mir das überhaupt erzählt hat." "Du glaubst also, die Ursache für Hesses Ausbruch sitzt tiefer?"

      "So ungefähr."

      "Diese Muttersöhnchen machen den meisten Kummer", polterte Ede, "meiner wird nicht so, und ... "

      Bauer unterbrach die Familienerinnerungen Edes. "Am besten ist, den Vorfall sang- und klanglos zu begraben. Sage Kuhn Bescheid, er soll Hesse fester zur Arbeit heranziehen. Und nun verschwinde. Sonst fängt Bliss an zu murren."

      "Ich kann den ollen Zausel auch leiden", sagte Ede, als er ging.

      Hesse war nach Ede hinausgestürmt. Er lief, als könnte er vor seiner Beschämung ausrücken. Ich hasse Hysterie. Drei oder vier Ausbrüche Mamas sind mir in Erinnerung geblieben. Es ist jedes Mal peinlich gewesen. Warum kann ich nicht überlegen bleiben, schnoddrig, zynisch? Zermürbt mich die Sache mit Malleck so oder weil kein Brief von Eliza kommt? Wer wartet hier nicht auf Post von Frau oder Braut? Trotzdem tragen es die andern leichter. Eliza ist nicht meine Frau, nicht meine Braut. Die Weisen sagen, fast jeder denke von seinem ersten Mädchen, es sei die große Liebe. Aber ich bin kein Weiser ... Wenn mich Eliza vorhin in meiner Hysterie gesehen hätte ...

      Allmählich wurden Hesses Schritte weniger gehetzt. Die klare Luft brannte erfrischend im Gesicht. Einsam lagen die Baracken. Die Stille war wohltuend gegen die laute Geschäftigkeit am Abend. Bewusst nahm er sich vor, als er zur Bibliothek zurückging: Ich muss mich zusammennehmen ... , ich muss!

      Als Hesse am nächsten Morgen vom Waschen zurückkam, stutzte er. Vor der Schreibstube der Klee-Kompanie wimmelte es von PWs. Stimmengewirr klang von drüben. Hesse rannte zu seinem Bett, kleidete sich hastig an, eilte hinaus und warf sich beim Laufen die Jacke über.

      Die Ansammlung ballte sich vor einem Plakat an der Rückwand jener Baracke. Mit Mühe zwängte sich Hesse nach vorn und las dann: "Vergeßt nie, dass ihr noch immer Soldaten seid! Wählt einen guten deutschen Soldaten! Wählt Klee!"

      Rings um ihn wurde laut und hastig durcheinander gesprochen. Nirgends war jemand zu entdecken, der die ungefügen Zeilen auf dem weißen Karton verteidigte, vielmehr ging der Streit darum, wie der Provokation begegnet werden sollte. Dieses Plakat könnte auch Malleck hingehängt haben, erregte sich Hesse. Eine kalte Wut packte ihn. Das in einem Antinazilager. Diese Sätze schlugen ihm die Wahrheit ins Gesicht: Deine Erlebnisse sind kein Albtraum, sondern sie sind wirklich geschehen. Das Plakat könnte dort nicht ohne Genehmigung des Headquarters hängen.

      "Abfetzen!" - "Das ist Nazismus!" - "'runter damit!"

      Hesse sah die Gesichter von Bauer, Ede, Buschinski, Dieck und Kuhn auftauchen und wieder verschwinden. Ihre Münder bewegten sich, sie stemmten sich gegen Unüberlegtheiten. Hesse stand wie gelähmt, das von gestern war wieder da, und die verfluchte Politik hatte es verschuldet.

      Zwei der Lautesten hockten plötzlich vor der Wand, das eine Knie vorgestützt. Ein Dritter stieg auf ihre Knie, reckte sich langsam zum Plakat hoch. Triumphierend stand er und schaute lachend über die brodelnde Menge hin, während er in seiner Hosentasche nach dem Messer suchte. Er klappte es auf und schob die Klinge unter den ersten Reißnagel.

      "Idiot!" Hesse sprang ihn an und zerrte ihn nach unten, alle vier kugelten sich auf der gefrorenen Erde. Johlen, Klatschen und Pfeifen gellten in Hesses Ohren, als er sich aufrappelte. Auch der andere war wieder auf den Beinen. Feindselig starrte er Hesse an, klappte das Messer zu und ging in Boxerstellung. Unwillkürlich weitete sich um die beiden ein Kreis.

      "Das hast du nicht umsonst gemacht, du Klee-Figur. - Was habt ihr hier zu suchen? Warum seid ihr nicht in euren Faschisten-Camps geblieben?" Ungestüm drang er auf Hesse ein. Der wich zurück, dann spürte er einen Schlag am Kinn, der ihn taumeln ließ.

      Eben schwoll der Lärm wieder an, da erstarb er plötzlich, wie abgehackt durch den Ruf: "Wuntram ist da!"

      Jemand hatte einen Schemel an den Rand der Ansammlung gestellt, Wuntram stieg hinauf, sein immer blasses Gesicht war völlig weiß mit einem gelblichen Schimmer. "Kameraden! Es wurde mir heute früh von dem Plakat berichtet. Aus naheliegenden Gründen habe ich mich zurückgehalten. Jetzt hörte ich, dass einige Kameraden drauf und dran waren, in begreiflicher Empörung eine Dummheit zu begehen. Aber es wäre eine Dummheit. Deutlicher können uns doch die Leute um Klee nicht zeigen, wer sie sind. Mag der einzelne weltanschaulich stehen, wo immer er will, die Mehrzahl ist in dieses Camp gekommen, weil sie genug hat von Wehrmachtdrill und Hitlerzwang. Viele Antinazis haben diese Sehnsucht mit Drangsalierungen und Wunden bezahlen müssen, andere mit dem Leben. Und jetzt wollen ein paar Unbelehrbare den Höllentanz hier mit uns von vorn beginnen. Dieses Plakat dort beweist es. So gründlich, wie die ewigen Marschierer mit jenen Sätzen für uns Propaganda gemacht haben, können wir es nie tun. Keine Unüberlegtheiten, keine Gewaltanwendung, keine Wahlbeeinflussung. Lasst das Plakat hängen!"

      Beifall brach los. Hesse ertappte sich dabei, dass er ebenfalls klatschte, obwohl sein Kinn schmerzte. Der Kompanieführer der D-Kompanie tauchte auf. Wuntram stieg vom Schemel, ging zu dem Captain und meldete, er habe eben gesprochen, um Unbesonnenheiten zu verhindern.

      Verschlossenen Gesichts hörte der Offizier mit den Apfelbäckchen zu. Dann ging er zur Rückwand der Baracke und las den Plakattext. Er sagte nichts, die um ihn Stehenden bemerkten sein fast unmerkliches Kopfschütteln. Wortlos verschwand er in der Schreibstube, und wenige Augenblicke später kam ein Corporal mit einem Schemel und einer Schere. Missmutig hob er die Reißnägel aus dem Holz, rollte das Plakat zusammen und verschwand.

      Wuntram lächelte bitter. "Die lautesten Schreier waren Leute der A-Kompanie." Er wandte sich an Hesse. "Kennst du den, der dich verprügeln wollte?"

      Hesse überlegte. Sicherlich hatte er den Mann schon gesehen, aber das Gesicht war völlig fremd gewesen, von Wut verzerrt. Hesse sagte es Wuntram und dachte, wie ungenau die Sinne in solcher Erregung das Ganze wahrnehmen, nur Einzelnes bleibt überdeutlich haften. Er erinnerte sich, dass sein Angreifer nach der Rede Wuntrams verschwunden war. Zu gern hätte ihn Hesse zur Rede gestellt. Der Kampfhahn hatte ihn als Klee-Anhänger bezeichnet, hatte ihn mit dem Typ Malleck auf eine Stufe gestellt. Das war schlimmer als der Faustschlag.

      Gegen sein sonstiges diplomatisches Feingefühl sprach Wuntram weiter von den Radaubrüdern der A-Kompanie. Die andern schwiegen zu dem unbehaglichen Thema, bis Kuhn sagte: "Es ist noch einmal gut gegangen, und es steht uns frei, eigene Plakate zu malen."

      Wuntram fing sich. "Hast recht. Am Samstag ist die Wahl, wir haben keine Woche Zeit mehr."

      "Ist unser Wahlaufruf nun zensiert und zurück?" wollte Wulk, der Sprecher der Kompanie F, von Wuntram wissen.

      Buschinski holte hörbar Luft. "Den nehmen sie doch im Headquarter auseinander, um dementsprechend einen Gegenaufruf für Klee zu fabrizieren. Wetten, dass der früher genehmigt wird als der unsere? Oder siehst du es anders, Robert?"

      "Kaum." Wuntram hauchte sich in die klammen Hände und schaute auf die Armbanduhr. "Aber es hat den Vorteil, dass wir damit das letzte Wort haben."

      Alle lachten und taten ebenfalls zuversichtlich, als sie sich trennten.

      Kuhn und Hesse gingen zur Bibliothek.

      "Großartig, wie du den Messermann auf den Boden der Tatsachen gezerrt hast."

      Hesses Gesicht rötete sich vor Verlegenheit. "Du und viele andere hätten es auch getan, wären sie so dicht dran gewesen wie ich."

      "Von uns wäre es selbstverständlich gewesen."

      Hesse