Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Название Leben - Erben - Sterben
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847623144



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das Schicksal deines Sohnes zu beraten, fasse ich mich kurz. Ich habe Eiko die Gelder gestrichen, weil mein Sohn seit beinahe einem Jahr nichts mehr mit mir zu tun haben will. Schlimmer noch, er beklaut mich dauernd. Zelt, Fernrohr, Lebensmittel und jetzt der Laptop. Du weißt, dass ich eigentlich ein dickes Fell habe, aber jede Mensch erträgt nur ein bestimmtes Quantum an Ablehnung. Ich ...“

      „Du und dickes Fell, ja? Ich weiß nicht, wer von euch beiden die größere Mimose ist. Der Vater oder der Sohn. Außerdem bist du unterhaltspflichtig, und Eiko könnte dich theoretisch verklagen.“

      „Würdest du mich bitte zu Ende reden lassen?“ Kleine bedeutungsvolle Pause. „Danke vielmals. Sollte sich Eiko entscheiden, bei dir wieder einzuziehen, werde ich meinen Verpflichtungen wie gehabt nachkommen. Und falls er mich verklagen will - bitte, ich werde ihm mit Vergnügen vor Gericht gegenübertreten. Das dumme Gesicht des Richters möchte ich um nichts auf der Welt verpassen, wenn er Eiko fragt Wo wohnen Sie, junger Mann? und dein Sohn antwortet Meinen Sie letzte Nacht, morgen oder in zwei Wochen?“ Er lachte bitter auf, und irgendwie reichte die Kapazität meiner Lunge nicht aus, um tief durchzuatmen. Das Hinterhältige an der Rache unseres Sohnes - wofür auch immer er uns bestrafte - war ihr reibungsloses Funktionieren.

      „Hör mal, ich kann das nachvollziehen, Uwe. Einerseits jedenfalls. Du und Eiko, ihr wart früher ein Herz und eine Seele. Papa hier und Papa da, und Mama durfte ruhig wegbleiben. Aber gerade deshalb verstehe ich nicht, warum du diese Entfremdung so tatenlos hinnimmst? Wenn dir die Beziehung zu deinem Sohn etwas bedeutet, mein Gott, dann kämpf doch darum. Lass nicht zu, dass Eiko die Regeln in diesem Spiel bestimmt, und stell endlich dein pubertäres Verhalten ab. Du gefällst dir in der Rolle der gekränkten Leberwurst doch nur, weil es das Bequemste ist. Schmollen, Arme vor der Brust verschränken und ansonsten ganz bequem auf deinem Arsch sitzen bleiben. Und das ist genau das, was du in Krisen tust. Schmollen! Abwarten! Sitzen bleiben! Seit siebzehn Jahren.“ Mein Mitleid war so rasch wieder in sich zusammengefallen, wie es sich aufgebläht hatte. Ich geriet in Fahrt. „Du ziehst dich in deine Schmollecke zurück und jammerst mir die Ohren voll. Mama ist ja da, die Sache wieder zu richten, wozu soll sich Papa da aufraffen? Gut, streich ihm den Unterhalt, streich ihm, was du willst, was geht mich das an? Warum erzählst du mir das überhaupt? Soll ich jetzt finanziell für dich einspringen? Wenn du darauf spekulierst, hast du dich gewaltig geschnitten. Das Geld vom Jobcenter reicht gerade mal ...“

      Auch Uwe wurde lauter. „Ich wollte dich informieren - weiter nichts als informieren, verdammt noch mal. Du bist doch diejenige, die mich ständig mit Anrufen und Telegrammen belästigt. Sprich mit mir, Uwe, er ist doch unser beider Sohn. Denkst du denn nicht mehr an die guten Zeiten, Uwe. Bitte ruf mich zurück, Uwe“, äffte er mich in höchsten Tönen nach, bevor seine Stimme ins Brüllen geriet. „Mir reicht‘s! Mir steht die ganze Scheiße bis sonstwohin. Ich will nicht mehr, kapierst du das endlich? Ich will von keinem von euch beiden mehr irgendetwas. Weder von dir noch von Eiko. Und da wir gerade dabei sind: wenn du mich noch einmal im Kreis meiner Kollegen derart bloßstellst ...“

      „Und du?“, brüllte ich dazwischen. „Hat euch Arschlöchern Ingeborgs Vorstellung wenigstens Spaß gemacht, oder ...“

      Es klickte, das Gespräch war beendet. Soweit zu einem kultivierten Meinungsaustausch über die Zukunft unseres Sohnes. Sobald würden wir wohl keine neue Konferenz mehr einberufen. Ich ging Derek suchen. Als ich am Spiegel vorbeikam, biss sich das Wutrot meiner Wangen mit dem Kupferrot meiner Haare. Mein Date stand im Schlafzimmer am Fenster, die Hände auf dem Rücken, und sah mit sorgenvollem Gesicht der blutroten Sonne beim Untergang zu. Einen Moment lang geriet ich in Panik, weil ich in dem Schatten neben meinem Bett Churchill zu erkennen glaubte, doch es war nur der Hocker, der mir als Nachttisch diente. Der Hund war im Kleiderschrank.

      „Möchtest du lieber zu Hause bleiben?“, fragte Derek, ohne sich umzudrehen.

      „Nein!“, entgegnete ich gereizt. „Will ich nicht. Warum auch?“ Zuviel Rücksichtnahme nervt mich beinahe ebenso wie ihr Nichtvorhandensein. „Los, lass uns gehen. Diese Scheißwoche ist endlich zu Ende. Einen besseren Grund zum Feiern habe ich leider nicht anzubieten.“

      7.

      Dass ich beim Erwachen meine Stirn gegen eine nackte männliche Brust presste, und mich ein nackter, männlicher Arm wie eine hungrige Anakonda umschlang, ärgerte mich, obgleich es nach unserer Feierei am Vorabend nicht weiter verwunderlich war. Ich ärgerte mich auch nicht über den Mann in meinem Bett - wie konnte ich bei diesem Körper - sondern darüber, dass ich zu beduselt gewesen war, die Nacht richtig zu genießen. Ich musste endlich aufhören, mehr zu trinken, als meinem Vergnügen gut tat. Wir waren im Biergarten auf dem Werder gewesen, romantisch von den beiden Weserarmen umflossen, und hatten versucht, gegen das Stimmengewirr von hundert Touristen, unsere Vergangenheiten und Gegenwarten abzuarbeiten. Anschließend waren wir in der Beach Bar am anderen Weserufer gelandet und von dort aus nach nur fünfminütigem Fußmarsch direkt in meinem Bett. Worüber wir uns dort unterhalten hatten, falls überhaupt, entzog sich meiner Erinnerung. Hoffentlich war ich nicht kurz vor seinem oder meinem Orgasmus eingeschlafen.

      Derek murmelte etwas Ungnädiges und versuchte, seinen Arm unter mir wegzuziehen. Dann schlug er die Augen auf, wandte mir sein Gesicht zu und stöhnte: „O Gott.“

      War ich so mies gewesen? „Ich freue mich auch, dich zu sehen“, entgegnete ich beleidigt. „Vielen Dank.“

      Er lachte, und wieder fiel mir auf, wie tief die Narbe in seine Wange schnitt, wenn er lachte.

      „Mein Stoßgebet galt nicht dir, sondern diesem tauben Ding da, von dem ich vermute, es könne sich um einen meiner Arme handeln. Zumindest hängt es mir an der Schulter. Meinst du, es muss amputiert werden?“ Er knetete an seinem linken Arm herum.

      Ich kniff ihn ins Fleisch. „Spürst du das?“

      „Nein.“

      „Tja, dann wirst du dich wohl von ihm trennen müssen. Aber keine Bange, ich werde den Arzt bitten, für die Betäubung den Holzhammer zu benutzen, danach spürst du garantiert nichts mehr.“

      „Beschleichen dich morgens immer so mörderische Gedanken? War ich denn so grottenschlecht? Dabei bilde ich mir auf meine Standfestigkeit einiges ein.“

      „Es ging.“ Ich gähnte und hätte meinen Rausch gern vollständig ausgeschlafen.

      „Kostverächterin!“

      „Angeber!“

      „Wann gibt’s Frühstück? O Mann, im Augenblick frisst sich eine Armee Ameisen durch meinen Arm.“ Er verzog schmerzhaft das Gesicht.

      „Sobald du deinen knackigen Hintern wieder aus dem Badezimmer schiebst und Speck und Eier in die Pfanne haust. Mir ist nach etwas Handfestem zwischen den Kiemen. Falls du liegen bleiben willst, kannst du deine Ameisen verspeisen. In diesem Fall würde ich mich bereit erklären, dir den Honig vorbeizubringen.“ Ich setzte mich auf und bewegte vorsichtig meinen Kopf. Es hätte schlimmer sein können.

      „Honig?“

      „Geröstete Heuschrecken, in Honig gestippt, gelten als Delikatesse. Wenn du das Rezept ein wenig variierst, Ameisen statt Heuschrecken nimmst ...“ Ich zuckte die Achseln und verspürte tatsächlich Hunger. Zumindest Appetit.

      „Und womit röste ich sie?“

      Ich schwang die Beine über die Bettkante. „Ich denke, du bist so ein feuriger Liebhaber?“ Das Kopfkissen traf mich im Nacken, und ich nahm es mit ins Bad, damit es Derek in der Wartezeit recht unbequem hatte. Unter der prasselnden Dusche tastete ich vergeblich im leeren Seifenbehälter herum. Die Shampooflasche fehlte ebenfalls. Von unheilvollen Ahnungen geplagt, stürmte ich triefend in die Küche und riss die Kühlschranktür auf. Mit dem Frühstück würde ich keinen Eindruck schinden können, Eiko hatte mal wieder zugeschlagen, und seine Satteltaschen mit meinen am Vortag erst eingekauften Vorräten gefüllt.

      Wann, zum Teufel noch mal, dachte ich wutentbrannt und warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb zwölf. Um meine Füße bildete sich eine Wasserlache.