Schwestern. Elisa Scheer

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Название Schwestern
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754114384



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bisschen, aber nicht so arg.

      Und mehr Geld hatten die auch. Größere Wohnungen. Dani sogar ein Haus. Dani hatte auch einen Mann und Kinder – und sie selbst? Nichts davon. Was, wenn es mal ein Abitreffen gab? Was sollte sie da denn erzählen? Ich bin Single, wiege doppelt so viel, wie ich sollte, und bin Packerin bei einem Medikamentenversand? Tolle Bilanz…

      Warum war ihr Leben so schiefgelaufen? Warum hatte sie immer Pech? So einen schlechten Stoffwechsel, so dürftige Punkte im Abitur – wie hätte sie denn so studieren sollen? Und mit so einem armseligen Job verdiente man eben auch armselig…

      Sie schniefte auf und ließ sich aufs Sofa fallen, wo sie umgehend einschlief, ohne das Bett aufzuklappen oder ihr Bettzeug aus dem unteren Fach hervorzuangeln. Egal.

      II

      Mittwochs trafen sich die Schwestern stets bei Mutti, die Wert darauf legte, dass die Familie zusammenhielt, und deshalb mittwochs groß aufkochte.

      Keine der Töchter hielt das für eine besonders gute Idee, aber Mutti Heinrich pflegte so dermaßen nachdrücklich einzuschnappen, wenn man auch nur vorsichtige Kritik oder auch bloß Änderungsvorschläge wagte, dass sie sich eben fügten.

      Katrin fand, das Essen war schlecht, ungesund, verkocht und schmeckte obendrein nicht, Tanja suhlte sich in Selbstmitleid und Dani war kaum besser – genau wie Mutti!

      Dani hasste es, dass ihre Schwestern Georg nicht mochten – das stand nur ihr selbst zu! - und dass Mutti ihr ständig Haushaltstipps gab, als wäre sie selbst noch zu doof, ihren Haushalt zu führen. Mutti behauptete auch, Valli und Joschi seien frech und schlecht erzogen – und das konnte Dani auf keinen Fall durchgehen lassen, auch wenn sie ihre Kinder selbst öfter frech fand. Aber auf keinen Fall schlecht erzogen! Höchstens lag es Georgs schlechtem Vorbild…

      Tanja konnte es auf den Tod nicht leiden, dass Katrin ihre Figur angewidert zu mustern pflegte und fand, ihr Job sei wirklich zu armselig, etwas Besseres müsse sich doch wohl finden lassen, wenn man sich bemühte? Muttis Essen war nicht besonders lecker, aber wenigstens war es reichlich und machte satt. Gebratenes und Frittiertes, auf jeden Fall Knuspriges wäre ihr bei weitem lieber gewesen.

      Mal sehen, was heute geben sollte!

       

      Daniela hatte ihre Kinder gefragt, ob sie zur Omi mitkommen wollten, aber Joschi hatte Handballtraining und Valli musste einen Übungsaufsatz schreiben. „Außerdem kocht die Omi furchtbar, noch schlimmer als du, Mama! Und Tanjas weinerliches Getue macht mich rasend. Nee, geh da mal schön alleine hin.“

      Daniela hatte nichts anderes erwartet – und sie konnte ihre Kinder da beinahe verstehen. Muttis Genörgel, ihr Selbstmitleid und ihre sogenannte gutbürgerliche Küche, dazu Katrin, die alle Welt aufforderte, sich endlich mal zusammenzureißen und diverse schlechte Angewohnheiten abzulegen: „Dann würdet ihr euch auch gleich viel besser fühlen!“

      Nein, sie ging aus Familiensinn hin, Lust hatte sie darauf eigentlich nie. Familiensinn hatten die anderen ja eher nicht. Tanja wohl nur, wenn sie Mutti etwas abbetteln wollte – und Katrin verachtete sie ja sowieso alle. Worauf zum Henker bildete die sich eigentlich so viel ein? Aber immerhin bettelte sie nicht bei Mutti! Tanja hatte da bestimmt schon – na, ganz schöne Sümmchen jedenfalls! Ob das verrechnet wurde, wenn Mutti mal ihr Testament machte? Das Reihenhaus, in dem sie alle aufgewachsen waren, war alt und scheußlich, aber bei den Immobilienpreisen zurzeit: nicht so schlecht! Oder gehörte das eigentlich Vati?

      Um sieben. Naja, gegen halb zehn würde Mutti dezent ein Gähnen unterdrücken und zumindest Katrin würde daraufhin Müdigkeit vortäuschen und so den allgemeinen Aufbruch einleiten. Das konnte man überleben.

      Immerhin war Georg wieder nach Augsburg abgerauscht, um dort Netzwerke zu reparieren oder irgendwas zu verkaufen– eine Sorge weniger.

      Sie selbst vermisste ihn eigentlich nie, aber das fand Mutti wahrscheinlich wieder unangebracht für eine brave Ehefrau. Geistesabwesend rieb sie den blauen Fleck auf ihrem Unterarm und überlegte, ob sie jetzt ein Gläschen… um dieses Familienessen auszuhalten? Nein, lieber nicht, sonst rief Katrin wieder Boah, du hast ja eine Fahne! Eigentlich brauchte sie das Gläschen auch gar nicht, sie war ja ganz alleine in der Küche.

      Sie räumte etwas lustlos die Küche auf und füllte die Spülmaschine, dann stellte sie einige Flaschen Bier kalt, damit Georg, wenn er denn irgendwann mal nach Hause kam, nicht ärgerlich wurde. Ein ärgerlicher Georg war kein Spaß und sie wollte am Freitag nicht nach Hause kommen und sofort einen Krach kriegen, nur wegen des blöden Biers.

      Die Kinder waren in ihren Zimmern und dort blieben sie erfahrungsgemäß auch; freiwillig hatten sie ihre Mutter schon länger nicht mehr angesprochen, außer, wenn sie Geld für die Schule brauchten. Oder? Nein, nicht einmal dafür. Bezahlten sie Papiergeld und andere Dinge einfach selbst? Beide hatten ja auch einen Job, Valli an der Kasse im Supermarkt, Joschi im Baumarkt, samstags. Eigentlich sollten die lieber mehr für die Schule tun, sonst wurde aus ihnen auch nicht mehr als aus Tanja mit ihrem Primitivjob in dieser Packerei. Da hatte sie es mit Sachbearbeitung halbtags wirklich besser getroffen, das war doch nicht so – so – so ungelernt! Sie hatte ja immerhin eine Ausbildung!

      Warum hatte Tanja eigentlich nichts Besseres gelernt? Aber das war eigentlich Tanjas eigene Angelegenheit, da musste sie sich nicht einmischen.

       

      Katrin sah auf die Uhr: Viertel vor sechs, das war einigermaßen früh. Kurz nach Hause und dann zu diesem unsäglichen Essen. Wahrscheinlich war es wieder so ein Fraß aus Fett und Kohlenhydraten… wenn es wenigstens schmecken würde! Gute Kekse waren ja auch nichts anderes, aber die waren die Sünde im Allgemeinen auch wert, Muttis Fraß aber nicht. Und nachdem, was Valli ihr mal erzählt hatte, kochte Dani auch nicht viel besser, sie musste es wirklich bei Mutti gelernt haben.

      Vielleicht war Vati deshalb so früh abgehauen? Nein, er hatte eine Neue, das wussten sie ja schließlich, weil Mutti es ihren Kindern einmal erzählt hatte, obwohl sie normalerweise eher ausweichend auf direkte Fragen reagierte.

      Dass die Neue kochen konnte, war aber immerhin denkbar… netter Gedanke, damit könnte man Mutti sehr schön ärgern. Ach, wozu? Mutti war doch eigentlich arm dran.

      Sie würde hingehen, sich das allgemeine Gejammer anhören, keine guten Ratschläge verteilen, auch wenn ihr das verflixt schwerfallen würde, und freundlich Konversation über irrelevante Themen machen. Wahrscheinlich hatte Tanja wieder irgendwelchen Stuss im Fernsehen gesehen und musste sich dazu unbedingt äußern. Meinetwegen, dachte Katrin, während sie sich im Spiegel betrachtete und überlegte, ob sie sich umziehen musste.

      Nein, fand sie schließlich. Ganz dunkelblaue Jeans, ein dunkelblauer Sweatblazer und darunter ein T-Shirt in blassem Gelb. Da konnten sie nicht meckern.

      Eigentlich war es doch egal, ob die meckerten, weder Mutti noch Dani und schon gar nicht Tanja waren irgendwie maßgeblich, die sahen alle selbst scheußlich aus und kleideten sich auch so. Wäre ja egal, wenn sie nett wären, sinnierte sie weiter, aber das waren sie eben auch nicht. Superkritisch bei anderen, und bei sich selbst?

      Sie musste grinsen. War sie selbst nicht auch so? Das mussten die Familiengene sein!

      Aber sie sah ja auch nicht scheußlich aus und sie jammerte nicht über ihr schlimmes Schicksal, warum auch, wenn es ihr doch prima ging? Dass sie auch nicht besser war als die anderen, konnte sie so nicht akzeptieren!

      Tanja war schon da, als sie bei Mutti im Vogelbeerenweg ankam. Sie begrüßte sie höflich und wich nicht einmal Muttis Umarmung aus, obwohl sie dabei kurz überlegte, ob ihre Mutter sich zu vernachlässigen begann. Sie roch jedenfalls ein bisschen streng… und Tanja hatte doch schon wieder zugelegt? Sie schien kaum noch in den Sessel zu passen, den sie sich ausgesucht hatte. Dani tauchte unmittelbar nach Katrin auf.

      Katrin lehnte etwas zu trinken ab und lobte etwas verkrampft den Blumenstrauß auf dem Couchtisch. Mutti lächelte. „Nicht wahr? Und sie sehen doch wirklich echt aus, findest du nicht?“

      Huch, Plastik?