Schwestern. Elisa Scheer

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Название Schwestern
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754114384



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sie sich jetzt recht schön vor. Draußen stand nur noch der Wachmann, der ihr zunickte und die Tür zur Packerei dann sorgfältig abschloss. Ein Medikamentenversand lockte ja immer irgendwelche Junkies an!

      Alice, Max und Tobi waren schon auf dem Weg zum Bus, sie sah die drei noch von hinten, vom Rauch aus ihren blöden E-Zigaretten umwabert – dann konnte sie ja unbeobachtet zum Food Truck gehen und nachher zum Bus in Richtung Osten…

      Mit wieder zwei Frühlingsrollen, zwölf Wan-Tans und vier Samosas kam sie nach Hause. Schon im Lift steckte sie die Nase in die Plastiktüte und schnupperte genießerisch.

      Das hatte sie sich jetzt verdient! Das Essen kam auf einen großen Teller, die Chilisauce dazu und dann ließ sie sich aufs Sofa fallen und richtete die Fernbedienung auf den Bildschirm. Irgendwas anschauen, egal was, Hauptsache Geräusch.

      Ja, und fremde Schicksale. Im Vergleich zu denen war sie doch richtig gut? Nicht arbeitslos, nicht alkoholkrank, nicht total verschuldet.

      Sie aß und schaute und fühlte sich wieder zufrieden, Alice und Max waren vergessen und ihre blöden Schwestern, vor allem das Dauergemecker Katrins, ebenfalls.

      Aber sobald auch die Samosas verputzt waren und Tanja noch eine Tafel Marzipanschokolade als Dessert gefunden und gegessen hatte, ließ das Glücksgefühl wieder nach; sie fühlte sich vollgefressen – rülps! – und begann sich über sich selbst zu ärgern. Außerdem war diese Wohnung eine Katastrophe.

      Wieso hatte Dani ein Haus und Katrin so ein Riesending im feinen Zolling – und sie musste in diesem Loch hausen? Sie hatte eben immer Pech.

      Katrin würde jetzt sagen Also, ich verdiene auch deutlich mehr als du. Ich habe aber auch studiert und mir durch Praktika die nötigen Beziehungen verschafft – und du?

      Blöde Kuh.

      Ein richtiges Schlafzimmer wäre schön. Und eine richtige Küche. Gut, da würde Dani wahrscheinlich sagen: Wozu denn, ein Schrank voll Chipstüten reicht für dich doch?

      Dani tat ja immer so, als würde sie großartig kochen, aber Tanja hatte nicht nur einmal gehört, wie Valli und Joschi von Saufraß gesprochen hatten. Und Katrin? Die aß bestimmt da, wo sie arbeitete, Salate ohne Dressing in irgendeinem feinen Lokal, nicht in einer billigen Salatbar!

      Sie warf die Verpackungen weg – der Müllsack musste auch mal in die Tonne, der stank schon ziemlich. Später.

      Sie wollte ja nicht die Frau Langhammer treffen, die dann wieder schaute, ob sie auch keine Verpackungen in den Restmüll warf. Albernes Theater, das Zeug wurde doch sowieso irgendwo verbrannt?

      Katrin würde jetzt sagen, das sei Blödsinn und sie selbst eine ökologische Drecksau. Was wusste Katrin schon, die hatte ja wohl die Wahrheit auch nicht gepachtet!

      Ihr tat der Rücken weh. Und das linke Knie. Im Bad sah sie sich im Spiegel und erschrak wie immer: Ganz schön fett! Und immer so müde – warum nur? Sicher war die Arbeit anstrengend, aber so müde?

      Sollte sie den Spiegel wenigstens mal putzen?

      Später.

      Im Flur hingen vier Jacken an den Garderobenhaken, die blaue, die graue, die schwarze und die rosa Jacke. Passten die ihr eigentlich alle? Die graue bestimmt, die hatte sie ja vorhin erst getragen.

      Die blaue ging, als sie hineinschlüpfte. Gut, zugeknöpft war sie schon eng, aber man konnte sie noch zuknöpfen. Schwarz? Naja. Der Reißverschluss ging zu, aber atmen konnte man dann praktisch nicht mehr – und das rosa Ding war bestimmt zwei Nummern zu klein.

      Sie rollte sie zusammen und warf sie im Kleiderschrank auf den Boden, zu all dem anderen Kram, der ihr nicht mehr passte.

      Im Bad stand auch die Waage. Hm. Wollte sie das wirklich so genau wissen? Wie bei The Biggest Loser sah sie noch nicht aus, aber viel fehlte da auch nicht mehr.

      Wie konnte das passieren? Sie aß doch gar nicht so viel? Aber wenn sie sich das so ansah – das waren doch bestimmt, naja, über achtzig Kilo?

      Dani und Katrin sahen nicht so aus… Dani war das egal, Mutti auch, aber Katrin schaute sie, wenn sie sich schon mal sahen, immer leicht verächtlich an. Wahrscheinlich dachte sie dann Fettsack. Und Danis unerzogene Bälger dachten bestimmt auch nichts anderes…

      Verdammt, das war doch wohl ihre Sache? Wenn sie sich damit wohlfühlte, hatten Katrin, Valerie und Joshua überhaupt nichts zu kommentieren!

      Aber eigentlich fühlte sie sich damit eben gar nicht so wohl. Außer, wenn sie vor einem Teller mit leckeren Sachen saß.

      Sie stieg nun doch auf die Waage: 107,9.

      Betäubt wankte sie einen Schritt zurück und stolperte gegen die Badezimmertür: Hundertacht? Die Waage musste falsch gehen, anders konnte das nicht angehen!

      Achtzig, das wäre noch „vollschlank“ gewesen, wie Mutti das nannte. Schlimm genug – aber hundertacht, das war fett.

      Wirklich ungerecht! Ein langweiliger Job, eine winzige, hässliche Wohnung an der scheußlichsten Ecke Leisenbergs, nicht mal ein Auto – und jetzt noch diese Lüge über ihr Gewicht!

      Sie musste sich trösten.

      Eigentlich hatte sie ja vorgehabt, wenigstens mal staubzusaugen und vielleicht eine Ladung Wäsche zu waschen, bevor sie überhaupt nichts mehr anzuziehen hatte, aber jetzt? So ein Scheißtag! Im linken Oberschrank musste doch noch – genau, die Familientüte Käseflips! Die war jetzt genau das Richtige! Und zur Feier des Tages – sie lachte bitter auf – würde sie die nicht aus der Tüte, sondern aus der großen Glasschüssel essen. Richtig genießen! Käseflips waren hier in der Gegend schwer zu kriegen, der Supermarkt hatte sie nur manchmal, genauso wie diese tollen Orangenmarzipanpralinen mit weißer Schokolade. Aber von denen hatte sie sich bei der letzten Gelegenheit drei große Packungen gesichert – und zwei hatte sie jetzt noch. Etwas Süßes, nach den Käseflips.

      Sehr gemütlich! Sie lag auf dem Bettsofa, griff sich immer zwei Flips auf einmal und verfolgte eine Seifenoper. Als die Nachrichten kamen, zappte sie weiter und fand diese Telenovela, die in einem bayerischen Hotel spielte. Das musste gefühlt Folge fünftausend sein – wenn schon. Um Viertel nach acht sollte ein alter Agatha Christie kommen, dazu passten dann die Marzipanküsschen perfekt…

      Nach dem Spielfilm war ihr ein bisschen übel und sie ärgerte sich, dass sie so viel gegessen hatte. Und die Wohnung war immer noch schmutzig und die Wäsche nicht gewaschen. Müde war sie jetzt auch, am besten ging sie mal früh ins Bett – naja, früh? Jetzt war es Viertel nach zehn! Und morgen um acht musste sie schon wieder in der Packerei sitzen!

      Was für ein Scheißleben… Dani und Katrin hatten es natürlich viel besser. Und sie musste diesen blöden Job machen und außerdem noch etwas finden, was sauber war und ihr obendrein noch passte.

      Die schwarze Stretchhose vielleicht? Schwarz machte schlank, und die Biesen auf den Beinen sollten doch streckend wirken? Sie zwängte sich hinein und begutachtete sich vor dem Spiegel: Furchtbar! Wieso kaschierte der dunkle Stoff denn diese Speckrollen nicht? Wäre vielleicht eine weite, glatte Hose besser? Die dunkelblau-rosa gemusterte mit dem Gummizug in der Taille?

      Ja, wenn sie sie bis zur Taille hätte hochziehen können! Die Beine waren mitnichten weit, sondern zu eng. Und der Stoff war 100 % Viskose, die riss schnell, wenn sie zu stark beansprucht wurde. Mit zerrissener Hose konnte sie nicht in der Packerei sitzen!

      Die dunkelbraune aus Cord? Mist, die hatte sie gerade in die Wäsche sortiert. Aber jetzt noch in den Waschkeller? Keinesfalls, sie wollte jetzt ins Bett.

      Ach, sie würde die Hose von heute nehmen und diese Riesenbluse mit den Blümchen. Problem gelöst. Und übel war ihr auch schon fast gar nicht mehr.

      Was würde sie sich morgen in der Mittagspause beim Food-Truck holen? Samosas vielleicht? Die hatten ja auch frittierte Krabben… und Pommes hatte sie diese Woche noch gar nicht gehabt!

      Okay, es war erst Dienstag, aber trotzdem.

      Sie wusste gar nicht, woher der Speck kam – sie aß doch