Immer mutig. Paul Scheerbart

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Название Immer mutig
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742766236



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ich so viel spreche.

       Wenn bloß diese Schildkröte ein wenig schneller

       gehen wollte.

       Ich möchte so gerne noch heute ans Ende der Welt

       gelangen – ans Ende!

       Geh schneller, liebe Kröte!

       Ich möchte ja endlich mal die Größe der ganzen Welt

       begreifen – oder verstehen – fassen!

       Aber wie soll ich das?

       Ich kann ja doch nicht ans Ende kommen, denn es

       gibt ja kein Ende!

       Geh schneller, liebe Kröte!

       Sie will natürlich wieder nicht.

       Was hilft mir da ihre Größe?

       Alles wird immer größer – und es hilft uns Alles

       nichts.

       Es nützt auch nichts, daß unser Durst immer größer

       wird!

       Den Weltrand werden wir niemals an unsere Lippen

       setzen können.

       Ich würde auch den Weltrand zerbeißen.

       Geh schneller, liebe Kröte!

       Nützen zwar tut es nichts – aber mir kommt dann –

       wenn Du Dich beeilst – wenigstens die Zeit nicht so

       maßlos groß vor.

       Ach, du »liebe« Zeit!

       Kaum hatte das Nilpferd die Lektüre dieser drei Geschichten

       beendigt, als sich eine Türe knarrend öffnete und ein zweites

       Nilpferd aufrecht hereinspazierte. Dasjenige, welches mich gerettet

       hatte, verließ eilfertig seinen Schaukelstuhl und sagte, während es

       zögernd auf mich zukam: »Die Herren gestatten wohl, daß ich sie

       einander vorstelle: Herr König Ramses aus Ägypten – Herr

       Dichter Scheerbart aus Europa.«

       Ich verließ meine Ofenbank, verbeugte mich höflich gegen den

       neuen Ankömmling und stotterte verlegen: »Majestät –

       entschuldigen!«

       Doch das kleine Nilpferd lachte und sagte:

       »Laß nur das Ceremoniell! So wie wir jetzt aussehen, paßt es

       nicht mehr recht für uns. Nenn mich ruhig Du und alter Ramses.

       Das genügt. Gerne würde ich Dir die Hand schütteln, aber ich

       habe ja keine. Übrigens nennen sich die ägyptischen Könige, die hier

       wohnen, King – da es uns so vielen Spaß macht, daß die Engländer

       noch immer unser Vaterland regieren. Behalte nur Platz – und lege

       Dir gar keinen Zwang auf.«

       Da fühlte ich mich aber etwas peinlich berührt, denn ich hielt

       nun meinen Retter auch für einen ägyptischen King und sprach dem

       entsprechend.

       Mein Retter lachte jedoch und sprach:

       »Ich bin kein King. Ich bin der Pyramideninspektor Riboddi.«

       Nun machte ich denn doch ein sehr erstauntes Gesicht – und da

       lachten die Nilpferdchen mit ihren breiten Mäulern so laut, daß es

       oben in den Gewölben wie Donnergrollen erschallte.

       »Er wundert sich doch noch!« rief der Pyramideninspektor

       dazwischen.

       Und ich mußte dazu ebenfalls lachen – so wie die beiden alten

       Ägypter; das Lachen erschien mir immer die beste Art zu sein –

       um schnell über eine peinliche Situation hinwegzukommen.

       Wir setzten uns jetzt alle drei in Schaukelstühle, und der König

       Ramses sagte gleich ganz offen:

       »Lieber Scheerbart, Ihren Namen habe ich öfters gehört – aber

       gelesen habe ich noch nicht eine einzige Zeile von Ihnen. Würden

       Sie nicht so freundlich sein, mir etwas zum Lesen zu geben, damit

       ich weiß, wie Sie sind? Entschuldige, daß ich Dich aus Versehen

       Sie nannte – aber mir ging plötzlich die Lebensgeschichte eines

       ägyptischen Priesters durch den Kopf.«

       Die acht Geschichten, die ich dem ersten Nilpferdchen gegeben

       hatte, waren von diesem bei Seite gelegt, und es sagte jetzt lächelnd

       – wobei seine faustgroßen Vorderzähne leuchteten:

       »Onkelchen, knausere nicht! Greif in Deine Taschen und hole

       aus jeder ein neues Manuskript hervor; ich will auch was Neues

       haben. Aber wähle nicht erst lange – gib, was Dir zuerst in die

       Hand kommt.«

       Und da bekamen die Herren das Folgende.

       Platzende Kometen

       Was ist das?

       Es wird immer dunkler und so schwül.

       Blitze zucken, aber es donnert nicht.

       Jetzt pfeift es oben – so gellend wie Lokomotiven, die

       Angst haben vorm Tunnel.

       Und nun fliegen Hagelstücke runter, große

       Hagelstücke und kleine Hagelstücke. Sie sind nicht rund,

       sie sind zackig und kantig wie schlecht gehauener Zucker.

       Aber Zucker ist das nicht – es schmeckt kühl und

       herzhaft.

       Und jetzt rauscht es oben in den Wolken.

       Die Wolken jagen blitzschnell vorbei.

       Ein Sturm wirbelt durchs Land.

       Die Bäume brechen ab, die Dachziegel fliegen mit

       Blumentöpfen, Menschenhüten und flatternden Krähen

       weit weg – ins freie Feld.

       Es hagelt dabei und regnet.

       Der Regen schmeckt so kühl und herzhaft wie die

       Hagelstücke.

       Da steckt was Seltsames drinn in diesem Hagel und in

       diesem Regen.

       Die Gelehrten fahren mit ihren Galakutschen aufs

       Rathaus und halten dort lange Reden; alle Gelehrten

       haben Hagelstücke in der Hand, einige haben noch

       Flaschen mit dem neuen Regenwasser.

       Die Gelehrten reden ausgezeichnet, und währenddem

       hagelt's und regnet's draußen immer stärker.

       Und der Sturm heult – heult.

       Im Rathause erklären die klugen Gelehrten, daß das

       kein gewöhnlicher Hagel sei – auch kein gewöhnlicher

       Regen.

       Und sie kosten alle von den Hagelstücken und trinken

       das Regenwasser.

       Und sie sagen, da sei ein neuer Stoff drinn – im

       Himmel müsse ein Komet geplatzt sein – es müsse ganz

       bestimmt ein Komet gewesen sein.

       Kometensalz ist der neue Stoff.

       Er wirkt nur so komisch.